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goth Birthday
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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Wiener Stimmen
Adresse:
Wien
ZUMAISS
Datum:
Aber der Moral, die über die Zurücksetzung, nicht Wien beachtet werden durfte. Daß
Zu den stärksten Beweisen gegen den Materialis¬
dankbare Anerkennung.
über die Aussendung der Ferkelchen entrüstet tut, ist Heil
mus gehört die Schamröte und das Genie.
Zionismus und nationaldemokra
widerfahren. Frohlockend hielt sie gestern den „W. St.“
Friedrich Vischer.
die Entdeckung entgegen, „daß der hervorragendste Führer quittierten unisono mit Schleckerb
stürzen sich, weit entfernt davon, in
der christlichsozialen Partei und Erbe Luegers, Herr Dok¬
der Ablehnung des „Reigen“=Schni
tor Weiskirchner, mit Familie der Festaufführung des
Schnitzlerschnitzer.
Anerkennung des anderen, des rein
Burgtheaters zu Ehren Schnitzlers am Vorabend seines
Wäre der Fall, zu dem der Schnitzler=Zwischenfall ge¬
schen Schnitzler kritische Unbefangen
60. Geburtstages in der Proszeniumsloge beigewohnt
zu erkennen, in rührendem Wetteifer
macht wurde, nicht so bezeichnend für das Handwerk, das
hat.“ Man denke nur! Und im Verein mit dem Zionis¬
auch schon den Besuch des „jungen 2
bek derartigen Anlässen in Funktion tritt, so könnte man es
mus hält uns die Nationaldemokratie des „Wiener
beweis gegen die Verurteilung d
bei dein, was zur Aufregung jüdischer Blätter bereits be¬
Mittag“ für widerlegt und jubelt mit dem zionistischen
trommeln, Betätigung fester Grundsc
frk Porden ist, bewenden lassen und über die Fortsetzung
Jubelschrei, ohne sich erst über ihn prüfende Gedanken zu
Uebereinstimmung als Widerspruch
des Larms mit einem Lächeln der Befriedigung hinweg¬
machen. Woher denn auch die nehmen! Und so ward es der
Schnitzer, nichts weiter. Aber so schn
ehn Aber die Versuche, den Sachverhalt im Bewußtsein
typische Hereinfall der völkischen Bierbank auf einen
immer, bis ihr Publikum sich einer
der Oeffentlichkeit umzustülpen, sind zu typisch und das Drein¬
jüdischen ad hoc-Einfall.
gegenübersieht.
gröhlen eines völkischen Bierbasses in den Zionschor ist gar
Seit wann ist denn das Burgtheater für Christen ge¬
zu vergnüglich.
sperrt? Besteht für sie nicht an allen Abenden Besuchs¬
Die „Reigen"=Schweinchen, die von den „Wiener
recht? Und ausgerechnet der Nationalratspräsident sollte¬
Stimmen“ im Bilde zu Herrn Schnitzler mit einem Gratu¬
nicht an jedem beliebigen Abend Nachschau halten dürfen,
lationslorbeerkranz geschickt wurden, damit sie dem Dichter,
was es im Staatstheater gibt? Aber was reden wir von
der es ihnen an nichts fehlen ließ, am Tage der Ehrungen
Rechten! Wurde an dem Abende etwa Schnitzlers „Reigen“.
und der bilanzierenden Rückschau auf ein Lebenswerk nicht
gespielt? Nein, sondern Schnitzlers „junger Medardus“!
ganz fehlen, liegen denen, die an solchen Tagen des Nimbus
Der steht doch im Geruche, daß er die Anwesenheit auch
keine Schweinerei leiden mögen, die sie sonst mit Lust und
solcher Oesterreicher verträgt, die eine Vorführung des
Liebe pflegen, noch immer im Magen. Seltsame Mentalität:
„Reigen“ als „grobe Geschmacklosigkeit" und „unflätige
Sie fand es in Ordnung, als der Dichter die „Reigen“¬
Besudelung“ des Rufes von Wien beklagen. Er bringt im
Ferkelchen auf die Wiener Bevölkerung losließ; daß es aber
Rahmen dichterischer Zutat österreichische Historie, führt
gewagt wurde, sie dem Eigentümer bei passender Gelegen¬

den Pomp und das Gepränge und die Kostüme ver¬
heit zurückzuschicken, empfindet die „Wiener Morgenztg.“
sunkener glanzvoller Wiener Tage vor, ist ein patriotisches
(Nr. 1185) als „unflätige Besudelung“ des „Reigen"=Er¬
Stück sozusagen, wurde von der Kritik der nichtjüdischen
zeugers. Kann ein Dichter durch Konfrontation mit seinen
Presse nicht mißgünstiger besprochen, als von der der
eigensten Erzeugnissen „besudelt" werden? Ist für ihn selber
andern. Warum also hätte gerade diesem Stück der Prä¬
zu schlecht, was er unbedenklich der Oeffentlichkeit aufgenötigt
sident des österreichischen Nationalrates nicht beiwohnen“
hat? Oder wünschte man, den Anlaß zu benützen, um den
sollen? Und könnte der Präsident der Volksvertretung für
Sechziger als einen anderen erscheinen zu lassen, als er war
sich nicht die nämliche Begründung der Anwesenheit in An¬
und ist? Fürchtet man für den Ruf des Dichters, wenn ihm
spruch nehmen wie etwa die nationaldemokratischen Referen¬
an dem Tage, an welchem die Blicke der großen Ooffentlich¬
ten, die keinen Schnitzler“ auslassen, ohne zu fürchten, da¬
keit auf ihn gerichtet sind, der Spiegel seines ganzen
durch in jenen Ruf zu kommen, in den ihre Presse für ihrs
Lebenswerkes vorgehalten würde, aus welchem die „Reigen“¬
Leben gern den Nationalratspräsidenten gebracht sähe?
Evisode zu löschen doch niemand anderer berechtigt ist als der
Dichter selber, der aber keine Miene dazu macht? Die
Und schließlich, der Jubilar, dem zu Ehren sein Parade¬
Sorge hat uns nicht zu bekümmern; auch Literaten von Ruf
dürfen die Schweinchen, die ihre Phantasie gebiert und die stück gegeben wurde, ist doch ein gebürtiger Oesterreicher
ein reger Geschäftssinn auf Kundenfang schickt, postwendend und Wiener, ein Umstand, der von dem Präsidenten der
österreichischen Volksvertretung und Altbürgermeister vor
zurückgestellt werden.