Faksimile

Text

—.—
box 39/3
gothBirthdar
1178
Echo der Bühnen: Wiesbaden, Berlin. — Echt der Zeitungen
1177
sein Dichten. Schrieb er seinen „Vatermord“ nur aus
umgearbeitet und erweitert, sondern sich daran ge¬
einem dunklen Instinkt heraus, so war es jedenfalls nicht
nügen lassen, nur hie und da einige frische Pinsel¬
der des Dramatikers, der ihn befeelte. Der Dramatiker hat
striche anzubringen.
es in den Nerven, in Hirn und Herzen, daß eine Leiden¬
Neue Kunde von Gottfried Keller vermittelt uns
schaft das Geschöpf ganz beherrschen und wirblicht machen
endlich sein Briefwechsel mit J. V. Widmann,
muß, soll man an die Gewalt der Leidenschaft glauben.
Zwei Triebe in der gleichen Brust machen den Trieb an
den des letzteren Sohn, Max Widmann, im Rhein¬
sich verdächtig. Ein Vatermörder, dem noch Atem bleibt,
verlag (Basel und Leipzig 1922) herausgegeben und
der Mutter nachzutrachten, ist nur ein Dilettant der Leiden¬
erläutert hat. Von den 22 Briefen Kellers finden
schaft und des Mördermessers nicht wert.
sich 17 bereits bei Bächtold=Ermatinger, dagegen
Ein ungeheuerliches Stoffgefüge, dem nur verhältnis¬
erscheinen die 43 Briefe Widmanns hier zum ersten¬
mäßig schwächliche Wirkung gegeben ist. Manche Szenen
mal im Druck. Das geistige Bild der beiden Men¬
schnaufen, das Schauspiel als Ganzes benötigt der Sauer¬
schen und Künstler und ihres Verhältnisses zuein¬
stoffzufuhr.
ander erfährt zwar im ganzen keine neue Beleuch¬
Arnolt Bronnen besitzt das unleugbare Takent, zu
schreien, was andere flüstern. Pech für ihn, daß in dieser
tung, doch bedeutet der Zuwachs im einzelnen er¬
Welt der dunklen Ahnungen und der verschleierten Ge¬
wünschte Bereicherung. Willkommen ist auch am
fühle ein Wort, das, geträumt, gerannt, den Wahrheits¬
Schluß der Wiederabdruck von drei „Bund“=Auf¬
keim trägt, laut ausgesprochen zu geschminkter Banalität
sätzen Widmanns über Kellersche Werke.
zu werden pflegt. Aber: Arnolt Bronnen hat das Talent
der robusten Kehle.
Glück für ihn, daß seit Grabbe das Talent der robusten
Kehle immer wieder mit dem des dramatischen Genies
verwechselt worden ist.
Ansonsten kommt Bronnen und entdeckt sich den Natu¬
ralismus, auch harin Grahbe verwandt, ein rückwärtsge¬
Eche der Bahnen.
wandter Prophet. Er krebst (ein gutes bismarcksches Wort
anzuwenden) mit Leichen. Und fängt vor Sonnenauf¬
Wiesbaden
gang in der Dämmerung der unkenntlich gewordenen
Grenzmarken sich den Charakter des Vaters ein. Aber
isonova in Dux.“ Tragikomödie in einem Akt von Ernst
„bold e¬
Lissauer. (Uraufführung im Staatstheater am 17. Mai 1922.)
(Buchausgabe bei Oesterheld & Co. in Berlin.)
Oissauer betrat mit seinem Einakter nicht zum ersten
72
— Male die Bühne. Er hat sich diesmal einen siebzig¬
jährigen Helden gewählt, Casanova, der auf Schloß Dur
P
burltng(4 Srten
4 1
———
El.
deren Wesen Wechsel zu bedeuten scheint, und selbst manche
„süße Mädel“, die Botinnen zwischen jenem engeren Wien
und der Vorstadt. Doch selbst da verirren sich manchmal
Gedanken und Träume (wir sind Freud schon sehr nahe!),
und am Ende ist nichts mehr sicher, alles, alles Spiel.
Zweifel und Spiel: es ist das wieder= und wiederkehrende
Komödienthema Schnitzlers, von seinem Zauberer, Hyp¬
notiseur, Psychoanalytiker und Arzt Paracelsus besonders
deutlich ausgesprochen („Wir spielen immer; wer es nicht
weiß, ist klug"). Und hier geht es nicht um einen shakespeari¬
schen Maskenzug, sondern eben um „Komödie“. Keiner
weiß, wann er Ernst macht, wann es mit ihm Ernst wird,
keinem ist schließlich ein Vorwurf selbst aus seinem Zwitter¬
wesen zu machen („Fink und Fliederbusch“), ja es zeigt sich
ganz deutlich, daß der einzelne Akteur vielleicht gerade noch
seine Rolle spielt, wahrscheinlich aber überhaupt an einem
Draht hängt: als Marionette. Die Komödien der Worte