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Wie wenige gleichwohl erfahren solche Berufung und
so wahr nun der Tod nicht die Angelegenheit einer bevor¬
angewollte Erhöhung! Blicken wir in unsere Zeit, lassen wir
rechteten Klasse ist, s# wahr ist die Liebe der Weg des Ichs¬
die Beiträger zur schönen Literatur des letzten Menschenalters
zur Welt; die erlöste Einsamkeit bleiht bei der Zweisamkeit¬
Revue passieren, so bietet sich uns in deutschen Landen kaum
nicht stehen. Liebe, die Geschlechtsliebe. erweckt das soziale
ein Halbdutzend Namen an, die im erwähnten Sinn zu klassi¬
Denken, das Und zwischen Tisch und Beti ist eine soziale
fizieren wären. Unbestritten aber und einleuchtend steht der
Klammer diesseits und jenseits der Legitimität, urnotwendig!
Name Artur Schnitzler in dieser kleinen Reihe. Wir grüßen
Liebe ist umstürglerischer als Haß.
Ihn: grüßen ihn als den, der uns immer schon schien: als
Schon „Liebelei“, meinen wir — mit der unendlich rüh¬
ein Asthet mit Gewissen.
renden Kontrastierung der Geliebten, für die „man“ stirbt
Denn nicht bloß zur Umschrift seines für sich bestehen¬
und der anderen, für die „man“ nicht stirbt — war eine soziale
deu geistigen Bildes sangt diese Formel sondern auch des
btung. Und der „Reigen“ der in so hlendend geistreicher
Weltbildes, das der Führer voranträgt. Woher wir die For¬
se den absoluten Eros die gesellschaftliche Relativität auf¬
vel abnehmen? Vielleicht aus der kühnen Selbstinventur des
hoben laßt, war es erst recht.
Herrn von Sala („Der einsame Weg“); ar ist der Schnitzler¬
Diese Beionung des Sozialen bei Schnitzler erübrigt ja,
Mensch latexochen. Diese Schnitzler=Menschen betrügen oft
eigentlich, wenn mar (wie wir hoffen) sich mit unserer Formel
ihre Mitmenschen, niemals sich selbst. Sie mögen Lebens¬
„Asthei mi Gewissen“ einverstanden fand. Denn was heißt
lügen in Umlauf bringen um des holden Scheines und eihres
Gewissen haben anders, als das Ich auf das Du der Welt
größeren Genusses willen: an sich selbst jedoch erfüllen sie
abstimmen? Gewissen fordert, die letzten Masken fallen zu
immer die ideale Forderung der Wahrhaftigkeit. Und ohe sie
lassen vor der Welt, die Seele nackend zu zeigen. Welche
aus ihrer Not eine Tugend machen, bekennen sie die Not ein.
Größe des Bekenntnisses, das Friedrich Hofreiter sim „Weiten 5#
Aber wenn auch in dem zitierten Stück sich die ange¬
Land“) vor seiner Geliebten ablegt: „Wenn mau Zeit hat und#
schriebene Jormel besonders faßlich markiert, so bleibt ein
in der Lanne ist, haut man Fabriken, erobert Länder, schreibt#
Stück doch stets nur Stück eines Ganzen, des Gesamtwerkes,
Symphonien, wird Millionär ... aber glaube mir, das ist
des Oeupre, wie man modisch sagt, und auf diesem Ganzen erst
doch alles nur Nebensache. Die Hauptsache — seid ihr! —
ruht die Führerwirksamkeit des Dichters. Denn derlei Wirk¬
ihr — ihr! ...“
samkeit ist erst aus der Fülle denkbar, erst aus einer Fülle
Wenn in den Theaterstücken und in den Erzählungen!
von Worten, Gestalten. Situationen, Stimmungen bildet sich
Artur Schnitzlers mehr Duelle geschlagen werden, als sich in
das seelische Agens. Um Seelisches geht es ja hier, um ge¬
den letzten 30 Jahren runtherum zugetragen haben, so in¬
fühlsbeionte Weisheit, nicht um einfach intelligibles Wissen.
diziert auch dies die Tieflotung seines Gewissens. Der Sinn!
Der Dichter als Führer — nicht der Schriftsteller mittlerer
des Duells — von dem blasphemischen Unfug des Ehren¬
Klasse kann es sein, der Moraltendenzen verfolgt und Moral¬
ke#er entkleidet — ist: für eine Überzeugung, für eine Wahrheit#
rezepte verabreicht, etwa dem gehörnten Ehemann anrät:
deu Tod auf sich zu nehmen. Man hat Gewissen nur um den
„Tucla!“ Noch würden wir einem Autor schon um deswillen
Preis, daß man zu sterben bereit sei. Aber es stirbt sich
Führereigenschaft zubilligen, weil ein von ihm kreierter Typus
schwer, so schwer im Liebesverlangen nach den Masken und
bewisse äußere Entsprechungen in der sogenannten Wirklichkeit
Wundern der Welt!
gefunden hat. Also nicht den Dichter des „Anatol“ feiern
Liebe und Tod, Tod und Liebe — die beiden Urmächte
wir hie als Führer. Schon darum nicht, weil wir ihn damit
stehen am Ende des Weges, der diesen Dichter, den Stabreim
eher verstimmen würden, denn die Anatol=Folgen hat Schnitz¬
von Geist und Güte über sich schwingenden, „zu den Müttern“
ler so wenig enthusiastisch bedankt, wie der Werther=Dichter
hinabführt. Es ist ein Weg parallel zum Zeitlauf: vom Un¬
die Werther=Tollheit.
wesentlichen zum Wesentlichen zu gelangen. Die ältere Ge¬
Der Dichter als Führer — um zur Hanptlinie unserer
neration, unsere Elterngeneration, darbte dieser Tendenz im
Argumentation zurückzukehren — wirbt nicht mit der Kraft
allgemeinen und das vor allem mag erklären, wenn ihre Kin¬
der Überzeugung, sondern mit der Kraft der Sympathie. Von
der ihr mit jener behutsamen, aber zugleich respektlosen Nach¬
Herz zu Herzen, von Leben zu Leben. Dichtung, die über
sicht begegnen, die man Kranken und Narren erweist. Indem
uns Macht erlangen sol' müssen wir erleber wie einen reellen
wir uns auf diese Fortgeschrittenheit ein wenig zugute tun,
Inhalt, müssen wir un# als ein Lebendiges einverleiben. Wel¬
tun wir es heute nur aus dem Grunde, das Führerverdienst ##
ches Erlebnis sich ann in doppelter, entgegengesetzter Weise
unseres Dichters auch nach dieser Richtung hervorzuheben.
auswirkt: wir mögen „dasselbe“ nicht noch einmal erleben;
Überhaupt galt es ja hier, eine an sich anonyme Wirkung
oder, im Gegenteil, wir werden fortan danach unser Wollen
klar zu machen und beim Namen zu nennen beim verehrungs¬
und Handeln einrichten. Die Reinigung der Leidenschaften,
würdigen Namen Artur Schnitzlers. Als ein reichsdeutsches
die der führungsmächtige Dichter vollbringt, entspringt einer¬
Theater vor einigen Jahren „Das Märchen“ Anno neunzig
seits seinem Abmahnen, anderseits seinem Hinweisen. Er ist
geschrieben, wieder in den Spielplan nahm, fragte ein. Re¬
also auch eir Warner; Warner und Führer das ist er.
zensent: Wozu? Das Stück renne offene Türen ein. „Aber
Wenn etwa, in der unverblühten „Liebelei", der Vaiere daß das Stück ein wenig dazu beigetragen hätte, besag'e Türen
Weiring von dem armen Geschöpf erzählt, das seine Schwester
zu öffnen, blieb ungesagt“ — des Dichters eigenste Worte an
war und das er behütet habe „von allen Gefahren — und
einen Getreuen. Er brachte sie ohne besondere Bitterkeit hor,
.. so hat das mohr als jede wirkliche ohne mit dem Gesetz der Welt zu rechten nach welchemühr
vor allem Glück,“
Befahrnis uns von schnöder Philistermoral abgesondert. Ganz Lohn Undank ist — ihrem ehernsten Lohngesetz.
Oswald Brüll.
wie „Das Vermächtnis“ uns bourgeoise Gefühlsverengung noch
gotteslästerlicher erscheinen ließ als sie ohnehin ist, — jenes
Der Racpbruck der vorstehenden Beitrige ist verbeien.
betränte Dramolet von dem jäh verstorbenen Sohn aus guter
# mreaen
ETETN AA PRIFRKEERARA MERT
Familic, der eine Geliebte niedèren Standes und ein Kind
zurückläßt, die nun von der guten Familie ins Elend gehetzt
Vom Büchertisch.
werden. Und hat nicht schon „Das Märchen“ uns den Vor¬
urteilen unserer Kaste entrückt durch die Macht des Mitgefühls
Franz Werfel. Nicht der Mönsder, har Er¬
mordeteist schuldig. Eine Novelle. Kurt Wolff, Ver¬
mit leidenden schönen Seelen? „Es ist Zeit, daß wir es aus
lag. München.
In den Frühlingstagen des Jahrs 1922, in
der Welt schaffen, dieses Märchen von den Gefallenen.
denen Franz Wersels Tragitomödie „Bocksgesang“ im Wiener?
Woher nehmen wir nur das Recht, jedes Weib für rechtlos
Raimund=Theater zu sehr erfolgreicher Uraufführung gelangt
ist, der Dichter hierauf
zu erklären, das die Kühnheit hatte, zu lieben, bevor wir er¬
in einem dichtgefüllten Konzertsaal ###
eigene Gedichte mit beträchtlicher Wirkung vorgetragen hat,
schienen?“... Oder verlassen wir den dramatischen Trakt
ferner seine magische Trilogie „Spiegelmensch“ im Burgtheater ##
des dichterischen Lehrgebäudes (das in ihm allerdings seine
nach wiederholtem Aufschub herauskommt, endlich der Poet E.
stärkeren Vastionen hat) und verweilen wir im epischen bei
selbst mit seinem nicht unfesselnden, doch ein wenig theatralisch¬#
posierten Wesen und als seine treue Zeugerin des „Neuen
einer Episode aus „Frau Veate und ihr Sohn". Wo eine
Wegs aus Wahn und Eitelkeiten“ wie's in der Widmung zum ##
edle, reife Frau, die sich einem Halbwüchsigen geschenkt hat,
Spiegelmenschen“ heißt, zugleich als eifrigste Folgerin Alma
nun anhören muß, wie der Bub sich der Gunst mit dem bübi¬
Maria Mahler bei allen seinen Veranstaltungen zu sehen war,
— diese Episode der Dichtung also
schesten Wort berühmt
n diesen Tagen griff man natürlich auch mit besonderer
hat für under Empfinden mebi als alle Wahrheit den Sexual=] Neuaier nuch der einzigen größeren Prosadichtung, die Wersel