Faksimile

Text

box 39/3
goth Birthdar
Seite 2
Breslauer Theater=Woche
Nummer 18
nis dieses Dichters: die innere Einstellung auf Schnitz¬
der Wiener Dichter ist. Und daß seinen Dichtungen, bei¬
lers Wienertum.
spielsweise seiner „Liebelei“, durchaus die Wertung einer
Und ich fürchte, daß es einer großen literarhistorischen
klassischen Schöpfung gebührt. Als Schlüssel zu Schnitz¬
Distanz bedürfen wird, um Schnitzler, jenseits der hä߬
lers Schaffen sollten die gleichen Worte gelten, mit denen
lich aktuellen Aeußerlichkeiten, an denen er, der Vornehm¬
Grillparzer sich selbst gekennzeichnet hat:
esten und Stillsten einer, keine Schuld trägt! in seiner
Hast du vom Kahlenberg dir rings das Land besehn,
ganzen dichterischen Größe zu erkennen. Aber gerechter¬
So wirst du, was ich schrieb und was ich bin, ver¬
maßen sollte auch unsere Generation bereits wissen, daß er
stehn.“
Wie Strindbergs „Totentanz“ entstand.
Zur Strindberg=Gedächtnisfeier im Lobe-Theater.
Von Emil Schering.
Während seines Aufenthaltes in der füdschwedischen
den Worten: „Die schreibe ich, wenn ich recht alt werde“:
Universitätsstadt Lund (189699) machte Strind¬
und ein andermal sagte er: „Es ist eine schwere Arbeit,
berg die Bekanntschaft des jungen schwedischen Lyrikers
historische Dramen zu schreiben“. Er fühlte das Bedürf¬
Emil Kléen, der zweimal in der Woche von Malmö, wo er
nis, sich bei modernen Stoffen zu erholen. Zunächst ging
80
wohnte, herüberkam, um mit Strindberg zusammen zu sein
an ein Volksstück, das das restaurierte Sti, kholmer
Schließlich, im Herbst 1898, kam Kléen ganz nach Lund,
Volkstheater, das Theater des Südens, einweihen sollte.
leider nicht freiwillig, sondern weil er sich wegen fort¬
Der Stoff verstand sich für Strindberg, das Stockholmer
geschrittener Schnindsucht ins Krankenhaus aufnehmen
Kind, von selbst: Mittsommer, das charakteristischste Stock¬
lassen mußte. Hier besuchte ihn Strindbere täglich und
holmer Fest; zumal er längst einen Zyklus Spiele für die
wurde Zeuze seines langen, langsamen Todeskampfes.
Feste des Jahres geplant, den er 1898 mit dem Weih¬
Von Tag zu Tag sah er den Körper des Kranken immer
nachtsspiel „Advent“ begonnen hatte und mit einem Passi¬
mehr zusammenschrumpfen, die Knochen immer mehr
onsspiel „Ostern“ fortzuführen gedachte. Die Arbeit an
hervortreten. An einem der ersten Dezembertage kam
„Mittsommer“ während des Sommers 1900 ging langsam
er gerade ins Zimmer, als der Kranke, ihm ein letztes
von statten; ####ußte die Poesie kommandieren. „Ich habe
Lebewohl zunickend, verschied.
keine Freude mayr an der Arbeit“, klagte er in dieser Zeit:
Dieses Erlebnis ist der Keim zum „Totentanz“; der
und ein andermal sogar: „In zwei Jahren bin ich fertig,
habe ich mich ausgeschrieben!“
Dichter trug ihn jahrelang mit sich herum, bis er sich zu
dem Werke auswuchs, das wir jetzt besitzen.
Auf einmal ein Umschwung, Herbst 1900; strömende
Inzwischen ging Strindberg in seinen historischen
Produktivität, aus dem Innersten heraus: Im Laufe
Dramen auf, deren erste beiden, „Die Folkunger“ und
weniger Wochen „Ostern“ fertig, und unmittelbar darauf,
„Gustav Wasa“, er noch in Lund vollendete. Den Sommer
in noch kürzerer Zeit, „Totentanz“ (Teil I). Das Ge¬
1899 verbrachte er in den Stockholm vorgelagerten Schä¬
heimnis dieses Umschwungs war Harriet Bosse, Strind¬
reninseln mit der Arbeit an „Erich XIV.“, um im Herbst
bergs dritte Frau. „Ich habe wieder Freude an der Ar¬
dauernd nach Stockholm überzusiedeln. Hier erwertete
beit“, erzählte er glücklich.
ihn eine Theatersaison, wie sie selten einem lebenden Dra¬
„Ostern“ und „Totentanz“ gehören nicht nur zeitlich
matiker zuteil wird. Das „Schwedische Theater“ spielte
eng zusammen. „Ostern“ war innerhalb des Festspiel¬
seine ganze Wasatrilogie „Meister Olof“, „Gustav Wasa“,
zyklus eher geplant, als ein Kern vorhanden war; den
brachten die Östertage 1900, an denen Strindberg die zehn
„Erich XIV.“ mit einem Erfolg, dessen Größe man aus
der Zahl der Aufführungen in dieser einen Saison ermessen
Jahre alten Akten des Scheidungsprozesses seiner ersten
kann: „Meister Olof“ 60, „Gustav Wasa“ 50, „Erich XIV.“
Ehe durcharbeiten mußte. Gestalt nahm die Osteridee dann
40; berücksichtigen muß man dabei, daß Stockholm nur
an, als er in Harriet Bosse die das Österevangelium
der Erlösung bringende Mädchengestalt der Eleonore sah.
300000 Einwohner hat. Durch diesen Erfolg sah sich das
Dramatische Theater veranlaßt, eins von den neuen mo¬
So bedeutet „Ostern“ für den Dichter den Beginn einer
dernen Dramen Strindbergs, nämlich „Rausch“, aufzu¬
neuen Zeit, einer neuen Jugend; und als Gegenstück dazu
wurde „Totentanz“ die Abrechnung mit der alten Zeit, mit
führen, das es trotz der vorgerückten Saison noch auf
der Vergangenheit. Stand für die Hauptfigur in „Ostern“
30 Aufführungen brachte, um dann in den Ferien mit
40 weiteren Aufführungen einen Siegeszug durch die Pro¬
Harriet Bosse Modell, so Strindberg selbst für Kurt im
vinz zu machen. „Diese Saison wird ein Markstein in der
„Totentanz“. Den Horizont beider Dichtungen aber gab
Geschichte des schwedischen Theaters bilden“, schrieb da¬
die transzendentale Weltanschauung ihres Schöpfers: er
sah die beiden Hauptgestalten an der Grenzscheide der realen
mals der Literaturhistoriker Prof. Warburg. Mit einem
und der irrealen Welt stehen.
Schlag war Strindberg aus dem bestgehaßten der popu¬
lärste Mann Schwedens geworden. Er ruhte sich in diesem
Damit war „Totentanz" für Strindberg „fertig“; das
Niederschreiben war das wenigste. Er knüpfte an die Ver¬
Glück aus und schrieb gemächlicher als sonst, im Laufe von
sechs Monaten, Winter 18991900, seinen „Gustav Adolf“.
gangenheit an und ließ die Gestalt seines „Vaters“ aufer¬
stehen: er knüpfte an die Vergangenheit an und nahm die
Er glaubte am Ziel zu sein und eine gewisse Ruhe trat ein
Technik der „Gläubiger“ auf; „aber ohne deren Intrige“,
nach den ungeheuren Aufregungen („Inferno“!) und An¬
streugungen der letzten Jahre. Die historischen Dramen
wie er sagte. Als er die letzte Zeile geschrieben hatte (es
ließ er vorläufig liegen; deren Entwürfe zeigte er mir mit handelt sich vorläufig nur um den ersten Teil), ging er aus