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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR 22-24
Zeltang, Berliner Volkszeitung
# Morgen-Rusgebe
Adrasse, Berlin
14 MAISZ
Datum:
Jubilar Arthur Schnitzler.
Am 15. Mai, also morgen, wird Arthur Schnitzler sechzig Jahre
alt. Dreißig Jahre steht er nun im Vordergrunde der Literatur.
Neue Richkungen sind gekommen und vergangen; jüngere Wett¬
bewerber stürmten vor und verschwanden irgendwo, andere traten
an seine Seite, — aber keiner war da, der ihm den Ruf des repräsen¬
tativen Dichters Deutsch=Oesterreichs streitig gemacht hätte. Den
Rhythmus jener von Melancholie überschatteten Heiterkeit Wiener
Lebens, den seit mindestens zwanzig Jahren jeder Sommerfrischler
spielend konstatiert, hat dieser sensitive dichterische Mensch zuerst in
eine heute noch zwingende Form gebracht. Diese mit allen Organen
der Seele aufgefangene Melodie, verleiht seinen epischen und dra¬
matischen Werken ihren diskreten Zauber, rettet vor Banalität, wenn
er sich auf den abgetretenen Boden des Gesellschaftsstückes begibt.
läßt selbst in der Tragikomödie von Salonpuppen, wie im „Weiten
Land“ die natürliche unverkünstelte Anmut ihres Schöpfers ahnen.
Er hat das, was so wenige unter den neueren deutschen Dichtern ihr
Eigen nennen dürfen: das Wissen um die Seele liebender Frauen.
Wir haben stärkere Dramatiker, aber keinen, dem so viele lebensechte
Frauengestalten gelungen wären. Man soll den Geburtstag eines
Künstlers, der mit seinen Früchten nicht gekargt hat, nicht mit
biographischem Kleinkram und von Belesenheit zeugenden Notizen
entweihen. Der Dichter des „Anatol“, der „letzten Masken“, der
„Dämmerseelen“, der „Hirtenflöte“ ist keine literarische Paradeleiche,
sondern ein lebendiger Mensch, dem wir auf den Geburtstag einen
Strauß leuchtender Frühlingsblumen wünschen. Aber keine ge¬
lehrten Abhandlungen und erst recht keine Ehrendoktorhüte! 0.
Arthur Schnitzler.
Zum 60. Geburtstage des Dichters, 15. Mai.
Von
Dr. G. Fillbogen.
Dem Dichter, Arthur Schnitzler, der am 15. Mai seinen
60. Geburtstag feiert, hat Josef Körner ein wertvolles
Geburtstagsgeschenk gemacht: Die Monographie „Arthur
Schnitzlers Gestalten und Probleme“ (Vmal¬
thea=Verlag, Zürich=Leipzig=Wien 1921, 227 Seiten).
Körner ist ein abgesagter Feind der „Pest des Historis¬
mus“; ihm kommt es lediglich auf Erkenntnis des Kunst¬
werkes selbst an, nicht auf die Kennmis der Biographie des
Schöpfers dieser Kunstwerke und die psychologischen Voraus¬
setzungen ihrer Entstehung. So werden wir denn mit bio¬
graphischen Einzelheiten und allerlei indiskreten Fragen, wie
sie sich bei einem Dichter von Schnitzlers Art für Anhänger
der historisch=biographischen und der psychoanalytischen
Methode ergeben müßten, die Frage z. B. nach den Urbildern
seiner süßen Mädels, leidenschaftlicher Liebhaberinnen und
Ehebrecherinnen, verschont, dafür aber durch genaue Analyse
tief in die Welt von Schnitzlers Dichtug eingeführt.
Er faßt ihn im wesentlichen els Sexualpoeten. Denn
wenn auch Schnitzler mehrfach sich auf anderes Gebiet be¬
geben hat, die Sexualpoesie bleibt doch seine eigentliche
Domäne, hier sind ihm die ästhetisch vollendetsten Werke gelungen,
das andere ist doch nur Nebenwerk. In der Literaturgeschichte
wird seine Dichtung als Sexualpoesie weiterleben.
Sehr fein macht Körner (denn wenn er auch auf die Be¬
trachtung des Kunstwerkes, eingestellt ist und nicht auf die
Biographie des Autors oder die Geschichte seiner Zeit, so fällt
er nun doch nicht in das andere Extrem, die Zusammenhänge
des Kunstwerkes mit seinem Antor und seiner Zeit völlig zu
ignorieren und das Kunstwerk im lustleeren Raum zu isolieren)
darauf aufmerksam, wie die politisch tote Zeit in Oesterreich, in
der Schnitzler lebte, dem jungen Autor die Beschäftigung mit
den großen Fragen des Weltlebens, vor allem der sozialen Frage,
verwehrte, wie sie ihn zurückwarf auf die Beschäftigung mit der
eigenen Seele, wie um den bedeutsamen Teil des Lebens, den die
Sphäre des Eros ausmacht, mit dem Leben selbst verwechselt
wurde und auf diesen kulturhistorischen Voraussetzungen die
Sexnalphilosophie Schnitzlers entstand — in demselben Jahrzehnt,
in dem — gleichfalls in Wien — Weiningers Sexnalphilo¬
sophie und Freuds Sernakviologie entstanden.
Sernalpoesie, nicht Liebespoesie. Denn das ist ja
die große Frage, wie weit in dem Verhälinis der Geschlechter
zu einander neben der geschlechtlichen Urkraft auch rein feelische
Empfindungen, mich Liebe mitwirkt. Alle Nuancen sind da
vertreten, von der brutalen Herrschaft des physischen Triebes
bei dem alternden Casanova, bis zu dem Kokettieren mit
Liebesempfinden („Liebelei“) und der restlosen, Hingabe der
Geliebten an den Mann. Aber ist das Liebe? — Man wird
vorsichtiger Weise nur von einem „Erregungszustand“
sprechen können, den Schnitzlers Gestalten Liebe nemien.
Haben die wesentlichen Dichtungen Schnitzlers also nur
ein Hauptmotiv, so spaltet es sich doch in eine unzählige
Menge von Einzolmotiven. Die gleichzeitige Liebe eines
Mannes zu zwei Franen und die verschiedenen Konflikte, die
sich daraus ergeben können; das Chaos der Empfindungen
in des Menschen Brust, die gleichzeitig Haß und Liebe, Treue
und Untreue zu beherbergen vermag; die dirnenhaften Triebe,
die auch in der anständigen Fran schlummern; die Steigerung
des Lebens und des Liebeslebens insbesondere durch die
Gewißheit des unentrinnbaren Todes — diese und so manche
anderen Motive Schnitzlers zeigen, daß sein Thema für den
Seelenkeniter schier unerschöpflich ist.
Schnitzker steht all seinen Gestalten mit dem gleichen
Wohlwöllen, mit der gleichen Unparteilichkeit gegenüber. „Als
ein Hiologischer Poet beobachtet er mit unbeirrbarem Auge
das Lebewesen Meusch — und was wäre das für ein Natur¬
forscher, der die Objekte seiner Untersuchung moralisch be¬
urteilte
Dem entspricht auch seine Arbeitsweise. Er löst den Fall,
efaßt, sänberlich heraus und stellt ihn möglichst
den er ins Au
rein dax; wie eine seiner Personen (im Drama „Zwischenspiel")
sagtenmn einem Stück kann ich ja den Fall viel klarer dar¬
stellen, als er sich tatsächlich präsentiert, ohne das überflüssige
episodische Beiwerk, mit dam uns das Leben verwirrt!“ Das hat
allerdings zur Folge, daß seine Menschen häufig nicht in ihrer
vollen Gestalt auf der Bühne erscheinen, sondern nur soviel
von ihnen, als für die Abwicklung des vorliegenden Falles
nörig ist. Es scheint, daß für ihn nicht die Charaktere das
erste sind, aus denen sich die Handlung ergibt, sondern der
Fall, für den nur die Menschen erst geschaffen, um nicht zu
sagen: konstruiert werden müssen.
Immer ist seine Sprache kultiviert und wohlgepflegt.
Körner hat der Versuchung widerstanden, seinen Helden
zu überschätzen; er kennzeichnet genan seine Grenzen. Aber
innerhalb dieser Schrauken, innerhalb des Psychologischen und
Erotischen, meint er, ist er wirklich ein Dichter. Mir scheint,
diese feinsinnige und geschmackvolle Studie ist auch für Schnitzler
in den Tagen, da sein Ansehen durch den großen Erfolg der
„Reigen“=Aufführungen nicht gerade gewonnen hat, eine
wertnalle Gabo.