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Arthur Schnikler.
Zu seinem 60. Geburtstag am 15. Mat.
Niemals hat dieser sanft ironische, sentiment#le
und zur Schwermut neigende Dichter aufgehört, ein
Arzt zusein, Egleich es einen Tag gegeben hat, wo
er darauf der Ichtete weiterhin nur für die Kran¬
ken dazusezn. Wer Alltag war zu voll von beun¬
ruhigende Errebnissen geworden, es ging nicht
mehr ihn im Sprechzimmer durch Diagnosen zu
derledigen. Nicht als ob er hafür etwas ganz außer¬
ordentliches und besonderes zu leisten sich vorge¬
nommen hätte, — er wußte schon, daß das Gewöhn¬
liche, das Unbesondere tausendmal mehr vom Leben
durchblutet ist als das viel enger abgegrenzte Un¬
gewöhnliche von leichter sichtbarer Bedeutung. Und
von vornherein wandte er sich ab vom sogzenannten
großen damatischen Stoff, dem einmaligen, ge¬
enhafte
schichtlichen Ereignis, in dessen Grenzen
on zu¬
Charaktere angesiedelt werden — er hatte
viel erfahren, um Helden gestalten zu können, das
Leben war für ihn mit nichts anderm mehr zu
überbieten. Wenn er die verschlungenen, ver¬
schwiegenen Wege zu den Katastrophen des Ge¬

fühlslebens im Alltag nachdenklich entwickelle,
zeigte er sich flets als Arzt, als Kundiger der Men¬
schen, der niemals über seinem Plan die organischen
Bedingungen vergißt. Er geriet so in die Nähe von
Tschechosf und irgendwie auch von Chopin. Die
Mitte blieb ununterbrochen Wien um die Jayr¬
hundertwende, die alte Kaiserstadt, von der er
wußte, daß es keine Hoffnung mehr für ihre Zu¬
kunft gab, daß jeder, der sie liebte und von seiner
Liebe sprach, der Dichter ihrer Agonie, der Arzt an
ihrem Sterbebette werden mußte. Und er wurde
beides, enthüllte wie kein anderer die süße, leiden¬
schaftliche Schönheit und die namenlose, bezaubernde
Melancholie des Sterbens. Das Wienerische steht
am Ansang und am Ende seines Werkes, einge¬
fangen mit einer seltenen Art ruhig entsagender
Sachlichkeit, einer Präzision des Seelenlebens, die
nur gelegentlich von Schwärmerei für Stunden
Wien in seinen letzten Zügen,
unterbrochen ist.
ausgebreitet und aufgezeigt mit allem, was dazu¬
gehört: das Lebenswerk eines wissenden, aber nicht
verzweifelten, sondern vom Sinn des Lebens und
Sterbenmüssens tief ergriffenen Dichters. Nun liegt:
*
seine wundervolle Welt in Trümmern und er selbst“
erreicht das Alter, wo die menschlichen Konflikte *
beinahe nichts bedeuten vor dem stillen Lächelp“
M. R. M.“
weiser Resignation.
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BERLIN SO 16. RUNGESTRASSE 22-24
Königsberger Hartungsche Zeitung.
Ausschnitt aus Nr. vom
Abendblatt — Morgenblatt.
Arthur Schnitzler
zu seinem sechzigsten Geburtstag.
Wir entnehmen einer Rundfrage aus der bei S. Fi¬
scher, Berlin erscheinenden „Neuen Rundschau“ die
folgenden Aeußerungen zum 60. Geburtstag Arthur
Schnitzlers:
Arthur Schnitzlers warme und feine Begabung besitzt einen Zug,
der in Deutschland selten ist, Grazie. Es ist deutsche Grazie, keine
französische. Seine Gestalten, sein Theater ist unaufdringlich bis zur
möglichen Grenze. Man wird diesen deshalb manchmal ein wenig
blaß anmutenden Schriftsteller immer wieder revidieren müssen, um
die farbigen Reize und großen Schönheiten seines Werkes nicht zu
verlieren und für den deutschen Dauerbesitz zu retten. Den Sinn
für Schnitzler besitzen, heißt Kultur besitzen, und sich von Schnitzler i
angezogen fühlen, heißt die Kultur suchen. Es sollte viel mehr, als
es geschieht, Schnitzler gespielt werden.
Gerhart Hauptmann.
Ich bin der wiederkehrenden Gelegenheit froh, Arthur Schnitzler d¬
meiner alten und immer neuen Bewunderung zu versichern. Die
Stunden, ich wiederhole es, die ich im Theater oder zu Hause im Lese¬
stuhl mit der Anschauung seiner Werke verbrachte, waren solche künst¬
lerischer Geborgenheit, unzweifelhaftesten Vergnügens, glücklich er¬
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höhten Lebensgefühls. Vollendet österreichisch, ist er heute für jene
seelische Sphäre in eine ähnlich repräsentative Stellung hineinge=h
wachsen, wie etwa Hauptmann für das Reich. Seine Schöpfungen ##
besitzen allen Schmelz, alle Geschmackskultur, alle Liebenswürdig¬
keiten des Oesterreichertums; aber als ihr besonderes Charakteristikum
erscheint mir eine gewisse Lebensstrenge, die weh tut — und die wohl
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eigentlich nicht österreichisch ist. Hofmannsthal ist traumhaft intensiv,
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aber er hat nicht dies, und auch Altenberg hat es nicht. Es mag vom
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Aerztlichen herrühren, — das Unempfindliche, Unerbittliche. Es ist
außerdem erotischer Ernst, die Lebensstimmung des Friedrich Hof¬
reiter im „Weiten Land“, der sagt: „Ah, hältst du das für so besonders
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lustig?“ Steinrück, eine schroffe Natur, sprach es unüberirefflich.
Leidenschaft . .. ist sie österreichisch? Aber von Anfang war auch
das andere im Spiel: Weisheit; zuerst als Skepfis und Lockerheit,
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dann immer männlicher und gütiger sich ausbreitend. Was aber
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wäre liebenswert, was ehrwürdig, was ergäbe Dichterwerk, Dichter¬
leben, wenn nicht die Vereinigung von Leidenschaft und Weisheit,
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Strenge und Güte?
Thomas Mann.
Ich habe Schnitzler vom allerersten Anfang her begleitet und ge¬ bee
liebt. Meine Sätze stehn in der „Welt im Drama“: Band I, Seite S##
119—142. Band II, Seite 275—309. Er war ein Mehrer des Reichs
Ifür die Frage der Vermischung oder Unvermischbarkeit zweier Seelen
Alfred Kerr,
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