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Grillparzer-Preis
Verepiror Traur.
Alex. Weiges Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
„OBSERUER“
Lösterr. behördl. konz. Burean für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-York,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus
Sonn- u Montags-Courier, Wien
vom: 23. 1. 1905
Die höchste literarische Ehre, die Oesterreich
zu vergeben hat, der Grillparzerpreis ist wieder
(schon zum drittenmale!) an Gerhart Haupt¬
mann verliehen worden. Akademisch betrachtet
(wenn man nämlich die Intention unseres großen
Franz in Erwägung zöge) wäre dagegen an sich
nichts einzuwenden. Man wird schwerlich den
Hut, den man vor Hauptmann, dem Dichter der
„Weber“ oder des „Fuhrmann Henschel“ so tief
gezogen, heute, weil der Schlesier zweifelsohne
seniler geworden, unmanierlich wieder aufstülpen
wollen. Nur läßt sich doch wohl mit Verlaub
die Frage nicht abweisen, warum wir unseren
ersten Preis so unbedingt immer stets demselben
Reichsdeutschen zu Füßen legen müssen, als
hätten wir wahrhaftig keine komischen Dichter,
als wäre das Wort von der „absteigenden Linie“
im Schaffen Gerharts wirklich nur leerer Schall
und als sei die Aufgabe eines Preisrichters, sich
mehr nach dem Renommee, denn, nach dem je¬
weiligen Schöpferprofil des Auszuzeichnenden zu
richten. Es soll Leute geben, die, von Reichs¬
deutschland abgesehen, über einen Schönherr oder
Hofmannsthal und merkwürdigerweise selbst einen
sicheren ArthurSchnitzler als echte, begnadete
Poeten sprechen, ja sich nicht entblöden, die
meisten und gerade jüngeren Werke dieser in¬
ländischen Künstler dem „ästhetischen Gewissen“
des Herrn Hartel für bekömmlicher zu empfehlen,
als den prämiierten „Armen Heinrich“. Wir
haben das Talent, wir haben eine Stiftung, es
zu ehren und müssen zusehen, wie unser Lorbeer,
unser Geld (leider echt österreichische Export¬
artikel!) ohne rechte Nötigung ins Ausland ge¬
tragen werden!
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Die Zutunst.
wäre, ist längst beantwortet. Den Preis, der vom Tage der Stiftung an in jedem dritten
Jahr zu vergeben ist, sollen Dramen erhalten, „die durch eigenthümliche Erfindung und
durch die Gediegenheit in Gedanken und Form auf die Anerkennung dauernden Werthes
Anspruch haben.“ Das Drama muß aufgeführt und als das „relativ beste“ unter denen,
die in den letzten drei Jahren auf die Bühne kamen, von den Richtern auerkannt sein. An¬
zengruber und die Herren Wilbrandt und Wildenbruch erhielten den Preis. Ganz schön.
Daß man ihn Herrn Wilbrandt noch ein zweites Mal (für die süßliche Phraseologie des
„Meisters von Palmyra“) gab, war schon schlimm. Undals gar „Rosenmontag“, das un¬
seine Spektakelstück des Herrn Hartleben, gekrönt ward, gabs ein Gelächter. „Gediegenheit
in Gedanken und Form“; „Anerkennung dauernden Werthes.“ Wer denkt heute, nach drei
Jahren, noch an diese bunte Coulissengeschichte, die tief unter den literarischen Leistungen
des Herrn Hartleben blieb? Jetzt hat, wie 1896 und 1899, Herr Gerhart Hauptmann den
Preis bekommen. Also zum dritten Mal in neun Jahren. Das geht über den Spaß.
Selbst wer den feinen schlesischen Poeten noch viel höher schätzt, als ichs leider vermag,
muß solche Häusung sinnlos finden. Ichhätte, ohne eine Minute zu schwanken, den Preis¬
Herrn von Hofmannsthal für seine „Elektra“ verliehen. Andere, denen die Freude an
diesem prachtvollen Wurf durch die Erinnerung an die alten Tragiker verkümmert wird,
konnten an den „Schleier der Beatrice" oder den „Einsamen Weg“ des Herrn Schnitzler
denken. Auch der „Graf von Charolais“ des Herrn Beer=Hofmann war noch zu rechter
Zeit auf die Bühne gelangt. Sind diese Dichter ausgeschlossen, weil sie Oesterreicher und
auch in ihren Werken dem Klima Grillparzers viel näher sind als der Weberpoet? In
drei Jahrzehnten haben die Verwalter der Stiftung 32800 Kronen verteilt; 14600
davon hat Herr Hauptmann bekommen. Jeder gönnts ihm; aber wird auf solche Weise
etwa die „dramatische Produktion gehoben“? Konnte man nicht armen Dichtern vor¬
wärts helfen, durch die Krönung Hofmannsthals oder Schnitzlers nicht dem Oesterreicher
einschärfen, daß ihm im Vaterland Künstler leben, auf die er stolz sein darf? Sehr wichtig
sind diese Preisgeschichten ja nicht; doch man muß manchmal darüber reden, damit die
sonderbaren Richter nicht wähnen, ihrer Willkür Alles gestatten zu dürfen. Ob ein Kaiser
oder eine Kommission Preise verleiht: schließlich kommts immer auf das Selbe hinaus.
Wenn Herr Schleuther (ohne dessen rührige Diplomatie die wiener Jury weder an den
„Fuhrmann Henschel" noch an den „Armen Heinrich“ gedacht hätte) das Recht hat, nach
seinem Privatgeschmack Preise zu vergeben, hats sicher auch Wilhelm der Zweite. Nun
naht, nach Nobel und Grillparzer, der „Schillerpreis des deutschen Volkes“ (das der
Goethebund würdig vertritt). Den wird zuerst wohl auch Herr Hauptmann erhalten.
Der gebührt ihm auch. Wir haben hier keinen besseren Mann. Danach aber werden wir
wieder die schönsten Dummheiten und die häßlichsten Klüngelmächlereien erleben.
Eine lustigere Geschichte von literarischen „Preiskrönungen“. Der Verlag von
Bruno Cassirer (der die ungemein reiche und seine Zeitschrift „Kunst und Künstler“ her¬
ausgiebt) ließ am zweiten November 1904 Flauberts Education sentimentale in
deutscher Ausgabe (unter dem Titel „Der Roman eines jungen Mannes“) erscheinen.
Vierundzwanzig Stunden danach empfing er einen Brief, der die Unterschrifttrug: „Ge¬
schäftsstelle Von Haus zu Haus“ und mit den Worten begann: „Wir gestatten uns, Sie
ergebenst darauf aufmersam zu machen, daß bei unserem letzten großen Preisausschreiben
über empfehlenswerthe Bücher und Prachtwerke, die sich zu Weihnachtgeschenken eignen,
auch ein Werk Ihres geschätzten Verlages (Flauberts , Roman') durch einen Preis aus¬