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Grillnarzer-Preis
artiges Ding muß man schlechterdings als provinzmäßig bei
zeichnen, provinzmäßig im bösesten Sinne des Wortes.
Zu den Klassikeraufführungen des Deutschen Volkstheaters
wurden auch die Schulen offiziell eingeladen und da ergab es
sich nun, daß ein Bezirksschulrat den Besuch empfahl, den
„Nathan“ Lessings aber von der Befürwortung ausschloß.
heater. Heus (h
Natürlich große Aufregung darüber! Aber warum? Soll man
azer Volksblatt“.)
wirklich die Volks= und Bürgerschüler von dem süßredenden
Juden über das Religionsbetenntnis aufklären lassen? Wir
ßien, 24. Jänner 1908.
stimmen dem Bezirksschulrat vollständig bei, er hat nur seine
Grillparzerpreis.
Pflicht getan.
Gretchen. — Das liebe
Weiters hat die ehrenwerten Gemüter aufgeregt, daß die
m.)
christliche Presse sich abfällig über die Zuerkennung des Grill¬
hepunkt der heurigen Spiel¬
parzerpreises an A. Schnitzler ausgesprochen hat. Darüber ein
auerndes das Jahr gebracht
offenes Wort: Wir häben der Aufführung des preisgekrönten
m die reifen Früchte pflücken
Stückes („Das Zwischenspiel“, Komödie in drei Akten)
die Erträgnisse so traurig
wieder beigewohnt und uns dabei auf das äußerste geärgert.
re und das Wort von der
Wie konnte man diesem Stück überhaupt einen dramatischen
s ist wieder wahrgeblieben.
Preis zuerkennen? Es entbehrt jeder Bühnenwirkung, es ist
Bühnen, die nun einmal Tag
nichts wie die dreimalige breite, saft= und kraftlose Wiederholung
ständigem Mangel an gutem
eines kleinen dünnen Feuilletongedankens. Es befriedigt nie¬
sikern greifen, die verhältnis¬
manden, die Handlung, wenn man überhaupt von einer solchen
nn die anderen fühlen ja den
reden darf, scheint unmöglich, gesucht und der Ausgang unnatür¬
derzeit geradezu von klassi¬
lich, allem früheren nicht entsprechend. Das Stück scheint uns
wurden bisher im Jänner
im übrigen auch gar nicht originell. Es erinnert zu deutlich an
heater beginnt man mit einem
Ibsens „Rosmersholm“ und „Nora“; zum Teil kommen Mo¬
him Raimundtheater kommen
tive des französischen Ehebruchsschwankes in die Quere und
gruber zum Wort. Das ist
schließlich wagen sich sogar Hermann Bahrsche Theaterkunst¬
Direktionen nicht erst in der
stücklein in das Gewebe der eigenartigen Komödie. Wir sind
niem Rettungsseil griffen und
der Ansicht, daß sich das Stück ohne die Kraft eines Kainz,
n Stücke entsprächen. Vom
eines Treßler und einer Frau Witt überhaupt unmöglich
sprechen, das hat wohl nur
aufführen ließe. Und doch halten es unter anderen zwei Uni¬
alles daranzusetzen, um dem
versitätsprofessoren (Minor und Schmidt) für würdig eines
form zu geben. Zwar bei der
Grillparzerpreises! Und diese sprechen dazu im Namen
hat man wieder so manches
einer kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Man fragt un¬
len nicht ungerecht sein, das
willkürlich, ob denn gar kein anderes Stück in Betracht kam.
ngenheit sollte seine Grenzen
Aber ja, Schönherrs „Familie“ wäre in jeder Beziehung preis¬
ie keine Wolter ist, soll auch
wert gewesen. Aber darin — man denke sich — wird der Ehe¬
Medea der Frau Römpler¬
bruch verdammt und schwer gestraft! Das ist natürlich unbrauch¬
hinnehmen. Aber das Rai¬
führung von „Des Meeres bar! Das nennt man, um eine Entschuldigung für die Ablehnung
en heftigsten Tadel; ein der= zu haben, Schicksalstragödie! Überhaupt gehört ja Schönherr,
wenn er auch mit vieler Mühe Burgtheaterfähig geworden ist
nicht zur Clique; also bleibt nichts übrig, als Schnitzler ein
stimmig auf den Schild zu erheben. Es ist eine wahre Tra¬
gödie! Oder sollte man diese Preiszuerkennung nach Schnitzlers
Art eine Komödic heißen? Eine traurige Komödiel#
Damit haben wir nun erst über die drei vornehmeren
Theater gesprochen. Was treiben die anderen? Kurz: sie wieder¬
holen. Einen Tag um den anderen nird das gleiche Stück ge¬
geben. Alle fünf anderen Theater nähren sich von einem
Stück, das Josefstädter von der Operette „Die Försterchristl“,
das Lustspieltheater vom „französischen“ Schwank des „Ver¬
zollens“, das Intime Theater von einem grauenvollen Detektive¬
stück „Ein seltsamer Fall“ das Kleine Schauspielhaus
von der „Frau Baronin“ ind das Bürgertheater von der
Spitzenklöppelei, die ein sicheres „Gretchen“ betreibt. — Er¬
innern sich die Leser noch, welche Versprechungen der neue Di¬
rektor des Intimen Theaters im Dezember gemacht hat? Jetzt
geht er hin und läßt an allen Ecken große Plakate in den
schreiendsten Farben anbringen, die das Publikum in sein Theater
locken sollen. Auf diesem Plakate, das jeden guten Geschmack
verwirrt und alles eher ahnen läßt, als daß es für ein Kunst¬
institut werben soll, wimmelt es von losgehenden Revolvern.
Halloh! Räubergeschichten! Auf ins Intime! Beim jüngst ab¬
gehaltenen „Huldigungsfest“ der Wiener Theater wurde dem
Erzherzog Rainer auch ein Schauspieler des Intimen Theaters
vorgestellt. Der hohe Herr hatte aber den Mut zu sagen,
dies Theater kenne er gar nicht. Vielleicht tragen die famosen
Plakate dazu bei, es — berüchtigt zu machen —; nun hat das
Beispiel auch das Bürgertheater nachgemacht; freilich, die Pla¬
kate sind besser, aber das Stück umso schlechter, für das nun
noch lärmender in die Trompete geblasen wird. Es wird dieser
Tage zum hundertsten Mal aufgeführt werden, das „Gretchen“.
nämlich, die Groteske mit dem geknickten Lilienstengel.
O unser liebes Publikum! Man möchte bittere Tränen
weinen, wenn man nicht klug genug wäre, zu wissen, daß es
nicht das eigentliche „Volk“ ist, das solche Unsinne und Unsitt¬
lichkeiten wie rasend beklatscht. Es sind größtenteils die soge¬
nannten „Gebildeten“, die sich hier — unterhalten wollen
mehr wird vom Theater ja nicht verlangt; — aber dies eben
verlangt die heftigste Kritik und die erlauben wir uns zu üben.