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eerr
Sehnsuchtsschrei noch vor kurzem seelisch
geradezu enthusiastisch braunbehemdeter
Bühnenkünstler nach baldigsten Wiener
Gastspielen. Merkt man da was? Die Kon¬
junktur auf dem Theatermarkt hat nämlich
völlig umgeschlagen. Wien ist wieder die
Theaterstadt, ist der einzige geistige Kon¬
zentrations= und Kulminationspunkt des
deutschen Spielplans, ist das große Rollen¬
und Ruhmesreservoir, ist die gepriesene
Zuflucht stabiler Verträge und Erfolge.
Wien, das ironisch übersehene und barsch
beiseite geschnauzte Theater=Wien, in das
sogar die unversöhnlich verachtungsvollen
Wien=Hasser heimgefunden haben. So innig
heimgefunden haben, daß uns nun, dank
ihrer Initiative, Schnitzler mit Operetten¬
musik blühen wird. Da es gefährlich ist, sein
Schaudern rechtzeitig einzubekennen, nenne
ich die Chanson=„Liebelei“ im vorhinein
ein Meisterwerk ihres Genres. Doch die
Begebenheit an sich ist nicht gerade über¬
mäßig wienerisch, ist, Verzeihung, nicht
übermäßig schnitzlerisch.
*
In St. Gilgen, vor geduldig grinsen¬
der Filmkamera, erklärte sogar Oskar Sima
seinen Kollegen, alles sei bloß Zeitungs¬
gewäsch ... Ei, ei, es gewährt also keine
restlose und reckenhafte Befriedigung mehr,
das braune Hemd des Pogromisten ge¬
tragen zu haben? ... Hansi Niese schreibt
uns einen sehr würdigen und sehr sachlichen
Brief, mit dem einen monumentalen Satz,
dessen fast tragischer Inhalt nicht verschwie¬
gen sei:
... wenn mir irgend ein Mensch alle
Sorgen abnehmen würde — dann such'
ich mir Stücke — die Filme — die Thea¬,
ter — die Partner alle vorsichtig aus ...
Aber ich muß alles selber bezahlen, alles
allein bestreiten — die Schulden des
Theaters — alles. Kein Mensch frägt, wie
ich all diesen erdrückenden Verpflichtun¬
gen nachkemme.“
Und weiter: „. daß Herr Sima mit¬
spielt — habe ich durch Sie erfahren.“
Genug, liebe, hochverehrte Hansi Niese und
genug über die Methode oder die Dumm¬
heit dieses Zwischenfalls. Der Niese kann in
der so oft von ihr tief gerührten Treue
unseres Gemüts wirklich nichts schaden.
Niemand will nun ein Nazi gewesen
sein: Heimkehrer von deutschen Gastspielen
ob nur aus männlicher Reue oder aus
begreiflichem Ueberdruß. Opernsänger, die
noch vor kurzem Hitler=Stammtische grün¬
deten und in der leibhaftigen Wiener
betrieben.
Pg.=Werbung
Staatsoper
„Filmschaffende“, die im Augenblick freilich
nichts vorzubringen haben, als daß man ihr
durch solch leidige kulturpolitische Ueber¬
triebenheiten und Gehässigkeiten gefährde¬
tes Geld schonen möge. Sie alle, alle wissen
nicht, wo Hitler wohnt .. Bitte: Einver¬
standen! Es war also alles, alles nicht ernst
gemeint. Es war nur ein Arierparagraph
des Rollendurstes, der die „Fahnenjunker“
in Marsch gesetzt hat. Es wird ja Geduld
genug geübt, in wohlweislicher psychologi¬
scher Erfassung eines Tatbestandes, dem
man ursprünglich freilich die gebührenden
Pfuirufe nicht ersparen konnte.
Aber: Wenn jetzt soeben etwa in Wien
Liane Heid auf der Filmfläche erscheint,
marzipansüß lächelnd und ach wie kindlich
kokett — kümmerte sich kein Zuschauer und
keine Zeitung bisher darum, daß diese
Dame derzeit geschworene und verzückte
Nationalsozialistin ist. Sie soll es sein, sie
darf es sein; solange sie nicht denunziert
und agitiert, sei sie als Filmnotizenstar
weiterhin willkommen und bezüglich der
e
chet,
die Tatsachen mich ebenso glänzend wie er¬
schütternd gerechtfertigt. Seit Werner Krauß
ein führendes Amt in der deutschen Nazi¬
Theaterkammer angenommen, gibt es wohl
keine Ausflucht gut gemeinter Entrüstung
mehr. Natürlich bleibt Werner Krauß der
dämonische und von mystischem Glanz fast
jedes von ihm gesprochenen Wortes um¬
dämmer Gestalter, der er ist und sein
wirdder dumm machen soll uns auch
ein Schauspielergenie nicht, zumal wenn
ihn sein Gesinnungschef, Herr Goering,
jedesmal so prompt bloßstellt.
Sie alle, alle wollen sich von Wien
und dem Wiener Publikum nicht trennen.
Krauß hat sich in Döbling eingemietet, die
Dorsch will im Volkstheater auftreten, die
Wiener Kinos kaufen Luna=Filme. Mögen
sie... Denn man will weder Geschäft noch
Gesinnung stören, nur reinliche Trennungs¬
linien ziehen. Jede Aufklärung ist will¬
kommen, aber es naht sich uns weit und
breit keine derartige Aufklärung, denn das
korrekte Eingeständnis wankelmütiger und
druckerschwärzelüsterner Schauspielerseel¬
chen, sich gröblich verrechnet zu haben,
würde prompt und bitter geahndet werden.
Karlheinz Martin ist ein Wiener Theater¬
munn geworden, Jeßner, Piscator, Bar¬
nowsky, Charell sind im Exil . . . wo und
was sollen die Nazi=Prominenten spielen?
Es ist ein Pyrrhus=Sieg, der, seit es
eine Theaterkulturgeschichte gibt, irrigsten
Spekulation. Die wieder erwachte Theater¬
stadt Wien — schon als sie schlummerte,
war sie reicher und reiner an magischen
Kräften — wird großmütig sein. Soll man
dagegen protestieren? Soll man nicht lie¬
ber hoffen, daß mehr Flachheit als Bös¬
willigkeit am Werke war? Soll man ver¬
zeihen .. .? Noch nicht! Aber auf Einsicht
und Haltung hoffen. Durch das Gegenteil¬
ist bis jetzt nichts erzielt worden, als
Rollenverlust und Theaterkrach des Geistes¬
Die Diskussion über Werner Krauß
aber möchte ich mit der Feststellung des
enden, daß das Genie über der Rasse steht
Aber auch über der Rassenfrage.
Ludwig Ullmann