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„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Wr. Allgemeine Zeitung, Wien
vom:
27.AUG. 1333
ER
BAU
Seeeeesen
in
Niemand will ein Nazi
Jetzt will es niemand gewesen sein. paar unerheblichen Konzentrationsgreuel
und „Fluchtversuchmorde“ ihrer Partei¬
Durch die ältesten Esplanadenbäume säufelt
freunde ihrem eigenen niedlichen Gewissen
Beschwichtigungsflüstern. Vermittlungs¬
überantwortet. Es besagt nichts gegen ihr
briefe treffen ein. Und es kann nur mehr
Spiel, daß sie bei Goebbels jausnet.
von einer „Proskriptionsliste“ der Einfalt
Ueberhaupt, die Nazirecken, die jetzt die
die Rede sein. Selbst der grimme Salzburg¬
Theaterdirektoren „berennen“
Wiener
stürmer Eugen Klöpfer setzt, wie man hört,
mögen unbesorgt sein. Ihr Talent und
philosemitische biographische Details in
dessen sachliche Kritik bleibt ihnen unbe¬
Umlauf. Die Käthe=Dorsch=Legende un¬
nommen, Sympathie und Vertrauen lassen
erschrockener Hilfsbereitschaft wächst an und
sich freilich nicht wieder zurechtdementieren.
mit Ergriffenheit hörte ich im Herzen von
Und nun der Fall Werner Krauß, der
Ischl die ehrerbietig überbrachte Kunde, der
mir vielfach verübelt wurde. Zahlreich
Nazitheaterkommissär Hinkels habe zu= und
waren die Versuche, das politische Kinder¬
eingestanden: Elisabeth Bergner sei eine
gemüt des großen Schauspielers festzu¬
gute Schauspielerin.
stellen und zu beteuern. Nunmehr haben
Aus Berlin dringt und drängt privater
die Tatsachen mich ebenso glänzend wie er¬
Sehnsuchtsschrei noch vor kurzem seelisch
schütternd gerechtfertigt. Seit Werner Krauß
geradezu enthusiastisch braunbehemdeter
ein führendes. Amt in der deutschen Nazi¬
Bühnenkünstler nach baldigsten Wiener
Theaterkammer angenommen, gibt es wohl
Gastspielen. Merkt man da was? Die Kon¬
keine Ausflucht gut gemeinter Entrüstung
junktur auf dem Theatermarkt hat nämlich
mehr. Natürlich bleibt Werner Krauß der
völlig umgeschlagen. Wien ist wieder die
dämonische und von mystischem Glanz fast
Theaterstadt, ist der einzige geistige Kon¬
jedes von ihm gesprochenen Wortes um¬
zentrations= und Kulminationspunkt des
dämmerte Gestalter, der er ist und sein
deutschen Spielplans, ist das große Rollen¬
wird... Aber dumm machen soll uns auch
und Ruhmesreservoir, ist die gepriesene
ein Schauspielergenie nicht, zumal wenn
Zuflucht stabiler Verträge und Erfolge.
ihn sein Gesinnungschef, Herr Goering,
Wien, das ironisch übersehene und barsch
jedesmal so prompt bloßstellt.
beiseite geschnauzte Theater=Wien, in das
Sie alle, alle wollen sich von Wien
sogar die unversöhnlich verachtungsvollen
und dem Wiener Publikum nicht trennen.
Wien=Hasser heimgefunden haben. So innig
Krauß hat sich in Döbling eingemietet, die
heimgefunden haben, daß uns nun, dank
Dorsch will im Volkstheater auftreten, die
ihrer Initiative, Schnitzler mit Operetten¬
Wiener Kinos kaufen Luna=Filme. Mögen
musik blühen wird. Da es gefährlich ist, sein
sie... Denn man will weder Geschäft noch
Schaudern rechtzeitig einzubekennen, nenne
Gesinnung stören, nur reinliche Trennungs¬
ich die Chanson=„Liebelei“ im vorhinein
linien ziehen. Jede Aufklärung ist will¬
ein Meisterwerk ihres Genres. Doch die
kommen, aber es naht sich uns weit und
Begebenheit an sich ist nicht gerade über¬
breit keine derartige Aufklärung, denn das
Verzeihung, nicht
korrekte Eingeständnis wankelmütiger und
mäßig wienerisch, ist,
Schauspielerseel¬
übermäßig schnitzlerisch.
druckerschwärzelüsterner
* *
chen, sich gröblich verrechnet zu haben,
In St. Gilgen, vor geduldig grinsen¬
würde prompt und bitter geahndet werden.
der Filmkamera, erklärte sogar Oskar Sima
seinen Kollegen, alles sei bloß Zeitungs¬
gewäsch ... Ei, ei, es gewährt also keine
restlose und reckenhafte Befriedigung mehr,
das braune Hemd des Pogromisten ge¬
tragen zu haben? ... Hansi Niese schreibt
uns einen sehr würdigen und sehr sachlichen

So ziehen sie, jene Opfer ihrer eigenen und
viel zu geschäftigen Voreiligkeit, immer
noch die bald stillsch weigend, bald deutlich
knurrende Wiener Verachtung dem sicheren
Berliner Konzentrationslager vor.
Wir wollen ihnen, mehr einsichtig als
großmütig, zu Hilfe kommen. Von Anbe¬
beginn dieser leider unumgänglichen Kam¬
pagne wurde hier nichts anderes und um
kein Jota mehr gefordert, als das garan¬
tiert unpolitische, menschlich empfundene,
moralisch bedingte, künstlerisch gefühlte
Theater. Wir schützen auch den Schauspieler
noch immer vor sich selbst, wenn wir seine
übertriebenen Geistes= und Gesinnungs¬
schwächen rügen. Wir fühlen es selbst gut
genug: Die Zeit der Nazitheaterkonjunktur
gedankenlosen Zugriffs ist bereits vorbei.
Der Spielplan des Dritten Reiches ist —
wie ein witziger Wiener Direktor kürtlich
verkündete — „Kyritz=Pyritz“! Noch ragt
Hilpert als einsame Säule. Aber Max Rein¬
hardt holt sich Welttriumphe in weitem
Bogen rings um die deutschen Grenzpfähle,
Karlheinz Martin ist ein Wiener Theater¬
mann geworden, Jeßner, Piscator, Bar¬
nowsky, Charell sind im Exil . .. wo und
was sollen die Nazi=Prominenten spielen?
Es ist ein Pyrrhus=Sieg, der, seit es
eine Theaterkulturgeschichte gibt, irrigsten
Spekulation. Die wieder erwachte Theater¬
schon als sie schlummerte,
stadt Wien
war sie reicher und reiner an magischen
Kräften — wird großmütig sein. Soll man
dagegen protestieren? Soll man nicht lie¬
ber hoffen, daß mehr Flachheit als Bös¬
willigkeit am Werke war? Soll man ver¬
zeihen ...? Noch nicht! Aber auf Einsicht
und Haltung hoffen. Durch das Gegenteil
ist bis jetzt nichts erzielt worden, als
Rollenverlust und Theaterkrach des Geistes.
Die Diskussion über Werner Krauß
aber möchte ich mit der Feststellung ber
enden, daß das Genie über der Rasse steht
Aber auch über der Rassenfrage.
Ludwig Ullmann.##