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0. Antisenitisn
— 181 —
Gesinnungen: ist doch das Christentum aus
dem Judentum hervorgegangen, und vollzog
sich doch die jüdische Emanzipation durchaus
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im Geiste des Humanismus und des von

ihm abstammenden Liberalismus. So kämpfen
sie gegen das Judentum, da es erstens „art¬
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fremd“, „fremdrassig“, „undeutsch“ ist und
zweitens vom biblischen Zeitalter bis zu
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Spinoza, Marx und dem „jüdischen“ Sozialis¬
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mus jenes menschheitliche, religiöse Ethos
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vertritt, das im schärfsten Gegensatz zu dem
Egoismus des nationalistischen und des Rasse¬

gedankens steht.
Darin liegt das Neue und Barbarisch-Reak¬
tionäre des heutigen Antisemitismus, der in
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seiner ganzen Gefährlichkeit und Kulturfeind¬

schaft nicht immer richtig erkannt wird. Im
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Namen der Humanität haben zu allen Zeiten
edle Menschen gegen den Antisemitismus pro¬
testiert und häufig ihn auch erfolgreich be¬
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kämpft. Als zur Zeit der Dreyfusaffäre auch
in Frankreich die antisemitische Giftsaat auf¬
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ging, schrieb Emile Zola sein Manifest „Pour
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les Juifs“ (1896) und nannte darin die Juden¬
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feindschaft „eine dumme und blinde Sache,
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die uns um Jahrhunderte zurückführen wird“
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Er wußte, daß diese Gesinnung der Rassen¬
feindschaft in die Barbarei führen muß: „Die
Bemühung der Zivilisation besteht gerade
darin, dieses rohe Bedürfnis, sich auf seines¬
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gleichen zu stürzen, wenn es nicht vollständig
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seinesgleichen ist, zu vernichten. Im Laufe

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der Jahrhunderte ist die Geschichte der
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Völker nur eine Lehre der gegenseitigen Duld¬
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samkeit, ebenso wie der Traum, sie endlich
Bleistiftzeichnung
Susanne Carvallg-Schülein
alle der allgemeinen Brüderlichkeit zuzu¬
Arthur Schnitzler
führen, sie alle mit gemeinsamer Zärtlichkeit
angeblichen Machthabern von morgen entgegenkommen
zu tränken, um sie soweit wie möglich vor dem gemein¬
möchten. Die seelischen Wirkungen der antisemitischen
samen Schmerz zu retten. Daß wir unseren Haß
Hetze zeigen sich in dem Empfinden des Ausgestoßen¬
entwaffnen, daß wir die Menschen über die Grenzen
seins, der Ungerechtigkeit und in der Unsachlichkeit,
hinaus lieben und die Rassen in einer einzigen Familie ver¬
mit denen schöpferische Leistungen beurteilt werden.
einigen müssen: das war die Antwort dieses Franzosen
Man leidet nicht um der Person, sondern um der Sache
auf die antisemitische Bewegung seines Landes. Heute
willen, in deren Dienst man die eigene Begabung ge¬
aber und in Deutschland will man bewußt die Ideale, in
stellt hat. Die geistige Wirkung dieses Antisemitismus
deren Namen ein Zola gegen den Judenhaß protestierte,
endlich geht über den Juden hinaus, da der Rassenglaube
vernichten und die Ideale der Barbarei wieder auf den
ja auch den Geist der Humanität, der Völkerversöhnung
Thron setzen. Da man eine Rassenideologie erfand und
und der wahrhaft religiösen Mission aller Kultur negiert.
die eine Rasse für besser als die andere hält, da man den
Die Fanatiker des Nationalismus und des Rassegedankens
Haß bejaht und die Liebe verachtet, da man die Faust
bekämpfen den jüdischen Geistigen, der in seinem Werk
höher schätzt als den Geist — gilt dieser Protest Zolas
der Gemeinschaft der allmenschlichen Kultur dienen will.
heute als ohnmächtig und veraltet.
Sie wollen ihm die Zugehörigkeit zur deutschen Nation
III.
absprechen, die etwa gerade der jüdische Schriftsteller
Dreifach sind die Schädigungen, die der Antisemitis¬
immer wieder durch die einfache Tatsache offenbart, daß
mus dem geistigen Juden zufügt: materiell, seelisch und
er in deutscher Sprache schreibt, denkt, lebt und ge¬
geistig.
staltet. Es gibt für den Schriftsteller keine tiefere Ge¬
Der schöpferische Jude, sei er Künstler oder For¬
meinschaft mit seiner Nation als die der Sprache. Der
scher, wird mehr oder weniger bewußt zurückgedrängt,
Franzose Chamisso wurde ein deutscher, der Pole Joseph
boykottiert und wirtschaftlich vernichtet. Aufrufe und
Conrad ein englischer Dichter, da sie in deutscher bzw.
Resolutionen ergehen, daß man Bücher jüdischer Au¬
englischer Sprache schrieben. So gehören sie zu ihren
toren nicht kaufen, ihre Stücke nicht spielen, jüdische
Nationen. Keiner wagt, diese Zugehörigkeit zu bestreiten.
Schauspieler nicht auftreten und jüdische Dozenten
Aber man bestreitet sie dem deutschen Schriftsteller.
nicht lehren lassen soll. Und schon sind die Wirkungen
wenn er Jude ist.
dieses antisemitischen Radikalismus zu spüren, um
Worin zeigt sich denn eigentlich sein Judentum?
so mehr, als viele amtliche Stellen schon heute den