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1. Miscellaneons
Telefon 12801.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte. Ausschnllt
Nr. 99
„OBSERVER
I. österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachrichten
Wien, IX/1 Türkenstrasse 17.
1filialb in Budapest: „Figyelö“ VIII. Josefsring 31a. —
Ausschnitt aus: Srtam
vom 277
Salod
G
Und noch etlbas Hocherfreuliches wäre zu berichten. Ueber Nacht
hdie Welt — nein, die Welt nicht, aber Wien — einen neuen Dichter
erhalten. Er hat einen Wiener Roman geschrieben, oder eigentlich doch
wieder keinen Roman, sondern eine von den neuesten, so beliebten
Porträtgalerien. Man legt die Linien zweier oder mehrerer bekannter
und miteinander verwandter Köpfe aufeinander und erhält so inter¬
essante Durchschnittsbildnisse, Räthsel und Rebusse, deren Lösung auch
dem Bornirtesten keine Schwierigkeit bereitet. Der Eine sagt zwar
Hermann Bahr und der Andere sagt Arthur Schnitzler. Doch haben
Beide Recht, denn die Figur ist ja Bahr und Schnitzler.
Nach diesem Verfahren ging auch der jüngste Dichter vor. Es
ist kein Schreibfehler, bitte! Dichter! Das nenne ich Carrière machen.
Gestern war der Name in dieser Eigenschaft noch völlig unbekannt und
heute jubelt man über die colossale Bereicherung der zeitgenössischen
Litteratur, die man ihm verdankt. Man staunt über die scharfe Bes
obachtungskunst, man jubelt über seinen göttlichen Humor und die über
legene Höhe seines Spottes. Ein paar Blätter haben ausführliche
Feuilleions darüber gebracht, die sich nicht etwa mit Phrasen begnüg¬
ten, sondern das Lob auch kritisch begründeten. Und die Blätter, sonst
so verschieden, kamen in Bezug auf den neuen Dichter zu dem nämlichen
erfreulichen Ergebniß.
Wenn nur eine quälende Frage nicht wäre, die Frage, ob denn be¬
sagter Autor so enorm viel Talent hätte, wenn er zufälliger¬
weise nicht Adolf Dessauer hieße und zufälligerweise nicht Director der
50 Allgemeinen Depositenbank wäre? -
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Telefon 12801.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte.
Ausschuft
„OBSERVER“ Nr. 76
Isterr. behördl. cone. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelo“ —
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usschnitt ause“ Neuee Wiener Journal¬
m 77/**),
7
(„Jung=Wien.“) In einem Wiener Briefe der „Frankfurter
Zeitung“ finden wir folgende treffende Schilderung der unter dem
Namen „Jung=Wien“ bekannten literarischen Clique: Es gibt
hier eine Reihe von Leuten, welche von sich reden machen, indem
sie reden. Es sind Journalisten, einige Theaterschriftsteller von
localer Bedeutung, doch meist solche, die nur durch ein oberflächlich¬
persönliches Inseresse mit der „Literatur“ zu thun haben. Man
versammelt sich des Nachmittags in bestimmten Kaffeehäusern,
und das erhabenste Thema aller Gespräche ist das Theater.
die un¬
ist
Schauspieleranekdoten, Komödiantenklatsch
versiegbare Quelle endloser Erörterungen; der erfolgreiche
Bühnendichter ist Autorität; in noch höherem Maß der
Kritiker. Ein bedeutender Romancier etwa würde in diesem
Kreis eine höchst bemitleidenswerthe Rolle spielen. Es ist vor¬
gekommen, daß ein berühmter Novellist gefragt wurde, wo man
denn eigentlich seine Bücher „bekommen“ könne. Junge Leute
drängen sich herzu, welche Unterhaltung und Belehrung suchen,
und Manchem gelingt es, sich auf einem unscheinbaren Wege die
Freundschaft eines Machthabers zu erwerben. So kommen dann
E
Stücke wie das „Dreiec, auf die Bühne und noch manches
Andere, von dem ich nicht reden will. Mit der Kunst hat das
Alles nichts zu schaffen, mit geistigen Interessen noch viel weniger.
Gegenseitige Lobespflicht ist die verbindende Kette, und die Angst,
allein zu stehen, bildet zugleich die günstigste Chance des Erfolges#
Das ist zu sagen über den Begriff „Jung=Wien“, welcher auf
dem Punkte steht, ein Gegenstand der Lächerlichkeit und des
Für
Achselzuckens aller Einsichtsvollen zu werden; in einer Stadt wie
Wien, wo das spielerische Interesse an allen Dingen so sehr vor¬
herrscht, ist es nicht wunderbar, daß die Kunst zum Tummelplatz
rein gesellschaftlicher Vergnügungen und Ziele geworden ist. Des¬
Abe halb scheint es Pflicht, darauf zu achten, daß die Ernsten und die
Abo, der Sache dienen, von dieser Atmosphäre der üblen Meinung
befreit werden. Es gibt kein „Jung=Wien“.Es gibt einige
Literaten, welche schreien, Gezänke insceniren, sich protegiren lassen,
oder, wenn sie die schmutzige Leiter des Erfolges emporgeklettert
sind, selber zu beschützen beginnen, welche nur der Eitelkeit dienen
durch eine Liebschaft oder ein Theaterstück das Geschwätz der
— hier wie überall, nur prätentiöser
Neugierigen entfesseln
lärmender, erhitzter, schmieriger, naiver als sonstwo. Es gibt
aber auch einige andere Leute, wie Schnitzler, Hofmanns¬
thal, Laugmann, welche alledem ferne sind, und die zu
Jenen gehören, welche sich dazu verurtheilt sehen, aus Gering¬
schätzung zu schweigen, wenn man pompös von diesem „Jung
Wien“ spricht, welches sich prügelt und Siegesmahlzeiten feierte
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