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Die Direktion des Deutschen Volkstheaters hat am Allerseelen¬
tage das Grab des ehemaligen Direktors Emmerich v. Bukovics
mit Blumen geschmückt. Das ist ein schöner Zug, der die Richtig¬
keit aller Aussprüche über die Pietätlosigkeit der Mimen über den
Haufen wirft. Man hat dem wackeren Manne, der große Be¬
Theater und Kunst.
liebtheit genoß, ein schönes Andenken bewahrt. Und Allerseelen
sah man es deutlich, daß der Name des früheren Direktors noch
im Repertoire aller Herzen fortlebt.
Hinter den Kulissen.
„Lieber sterben, als weiter so leben!“ ruft dafür Herr Schmedes.
(Der große Krach.
Die Antrittsvisite bei
Der Exdirektor. —
Schlenther. —
Er fühlt sich nämlich sehr unbehaglich. Allerlei Privatangelegen¬
Ein gehaltenes Versprechen. — Eine Lautenburgiade.
Die Pächter.
ist
Operette
Der geschlagene Konkurrent.
heiten bedrücken sein Gemüt. Sie kosten ihn Geld, so viel Geld,
Trumpf. — Die Direktoren als Verleger. — Ein Theatertrust. — Die
daß er es jedem erzählt, wie nötig er eine Gageerhöhung hat.
Was er im
Interessen der Autoren. — Der lebendige Schnitzler.
Jetzt ist er zum Fürsten Montennovo gegangen. Vorgestern machte
Grabe täte. — Das Malheur des Redners,
— Der pietätvolle Kollege
er dem Allgewaltigen der Hoftheater einen Besuch und trug ihm
Weisse. — Die Sorgen des Herrn Schmedes.)
seine Schmerzen vor. Er verlangte eine Erhöhung seiner Bezüge
Man hört nicht auf, davon zu sprechen. Von Lautenburgs
— das war das erste; dann beanspruchte er die Garantie für
Glück und Ende nämlich. Alles, was zum Theater gehört, be¬
einen vierwöchigen Urlaub in der Saison — das war das
schäftigte sich mit der Angelegenheit: sie drängte alle übrigen Er¬
zweite; dann wollte er einen Modus geschaffen wissen, daß
eignisse in den Hintergrund. Ein bißchen Schadenfrende macht sich
man ihm in Krankheitsfällen nicht das ganze Spielhonorar
natürlich geltend. Herr Lautenburg hatte proklamiert, daß er
streiche
das war das dritte. „Sonst nichts?“ dachte
den Wienern zeigen werde, wie man Theater spielen müsse. Nun
Fürst Montenuovo. Aber Herr Schmedes hatte eine Reihe von
weiß man es. Ehe er sein Amt übernahm, machte er eine An¬
Argumenten zur Hand, um seine Bitte zu unterstützen. Er hatte
standsvisite bei Schlenther.
im vorigen Monat sehr häufig abgesagt, und als der Gagetag
„Sie können ruhig sein, ich werde Ihnen keine Konkurrenz
kam, erhielt er eine so kleine Summe ausgezahlt, daß ihm nach
bereiten“, versicherte er und Schlenther meinte in seiner üblichen
Abzug aller seiner Verpflichtungen ungefähr 150 Kronen für den
trockenen Manier: „Ich hoffe, Sie werden Ihr Versprechen
ganzen Monat zum Leben übrig blieben. Natürlich hat er noch
halten.“
sonst einiges Geld, aber die Tatsache selbst besteht und Herr
Jetzt erinnert man sich an diesen Dialog. Man zitiert aber Schmedes will unter allen Umständen von seiner Kunst auch den
auch zur Illustration jene hübsche Anekdote, wie Lau enburg im
Vorteil haben. Lieber geht er nach Amerika. Und der Fürst
vergangenen Sommer nach Berlin kam und das Plakat einer
hörte ihn wohlwollend an, sagte ihm ein paar freundliche Worte
großen Ausstattungspantomime studierte: „Die letzten Tage von
und entließ ihn mit der Versicherung, daß die Wünsche und Be¬
Pompeji“. Kopfschüttelnd las er den Titel und fragte: „Die
schwerden geprüft werden sollen. Herr Schmedes ist jetzt ein
letzten Tage von Pompeji? Wieso? Sind denn die Leutewenig getröstet.
schon pleite?“
Es war eine kurze Herrlichkeit. Von der Literatur schwenkt
man zur Operette ab. Karczag, Wallner und Lehar haben das
Rennen im Raimund=Theater gemacht. Die Direktoren Aman und
Eibenschitz sind verstimmt; sie hatten sich gleichzeitig um den Pacht
beworben, aber sie boten bloß 100.000 Kronen; die Konkurrenz
schlug sie mit 102.000 Kronen. An solchen Kleinigkeiten scheitern
oft die schönsten Pläne. Das Wiener Theaterleben soll also jetzt
ganz von der Operette beherrscht werden; nächstes Jahr kommt
noch das Johann Strauß=Theater hinzu, und überall
wird es singen und klingen. Solange gute Werke auf den Markt
kommen, ist ja auf Erfolg zu rechnen. Aber wenn die Produktion
der Nachfrage nicht standhält, kann es bös werden. Immerhin:
erbaulich ist es nicht, daß wieder einmal für Autoren, die ernste
und heitere Komödien schreiben, eine Bühne weniger vorhanden
ist. Wir sind armselig genug bestellt. Man braucht bloß den
Fall zu setzen, daß plötzlich irgendwo ein Mann erstünde, der
einen „Verschwender“ schreibt. Was geschieht? Er kann sich
bestenfalls ans Deutsche Volkstheater wenden. Er reicht das
Stück ein, es bleibt ein Jahr ungelesen liegen, dann bekommt er
es zurück: „Sehr hübsch, aber für uns nicht geeignet.“ Das
Bedürfnis nach einer Bühne für harmloses, volkstümliches
Amüsement wird sich fühlbar machen. Aber die Erfahrungen
haben gelehrt, daß die Geschichte in der Regel verkehrt angefaßt
wird und plötzlich alle schönen Grundsätze ins Wasser fallen.
Beispiele sind genügend vorhanden. Das beweist aber nichts gegen
die Ideen, sondern nur gegen die Leute, die sie ausführen.
Nun haben die Herren Karczag und Wallner eine Operetten¬
bühne mehr. Es sind zwei geschickte Direktoren, das muß man
ihnen lassen. Aber in der Eile hat man übersehen, daß für
die Opern= und Operettenautoren eine neue, große Gefahr herauf¬
beschworen wird. Karczag und Wallner sind seit einem Jahr
nimlich auch Bühnenverleger. Das heißt: sie erwerben die Werke
und vertreiben sie selbst. Natürlich wollen sie im Theater an der
Wien nur solche Operetten aufführen, die in ihrem Verlage
erschienen sind. Für andere Werke haben sie keinen Platz. Ihre
eigenen Operetten kommen zur Darstellung, werden forciert, und
da sie Direktor und Verleger in eigener Person sind, können sie tun und
lassen, was ihnen beliebt. Die Autoren müssen sich fügen, denn bis jetzt ist
gewöhnlich der Verleger der Vertreter des Autors gegenüber der
Direktion. Es ist aber nicht anzunehmen, daß die Herren Karczag und
Wallner gegen sich selbst Prozeß führen. Also eine Zwangslage.
Willst du aufgeführt werden, darfst du über dein Werk nicht nach
Gutdünken disponieren, sonst bleibt dir das Theater an der Wien
verschlossen. Von nun ab kommt das Raimund=Theater hinzu.
Eine ungeheure Macht wird in den Händen der Herren Karczag
und Wallner vereinigt: sie können die Preise diktieren, Tantiemen
sätze — nach unten — abrunden, Geschmacksrichtungen bestimmen
kurz: machen was sie wollen. Erwägt man auch, daß schon wiederholtvon
einem Direktorenkartell zwischen Theater an der Wien und Carl=Theaterld