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usschnitt aus: # 10. 1900
vom: BERLINER TAGBLATE
E. II. Im Lustsptelhaus wurde gestern zum ersten Mal
Maurice Baucaires dreiaktige Komödie „Fesseln der
Liebe“ — der echte Titel lautete: „Petit chagrin“ — aufgeführt.
Arthur Schnitzler hat über das französische Werk außerordentlich
warme Worte geschrieben und veröffentlicht, und bei seiner Auf¬
So
kam man
führung in Wien fand es vielen Beifall.
mit einigen Hoffnungen ins Theater. Aber wie so
oft: enttäuscht ging man heim. Ein Stoff, der einen hübschen Ein¬
akter abgeben könnte, die zwischen zwei Frauen unsicher pendelnde
Liebelei eines guten Jungen, deren Fäden ein zart empfindender Meister
nüancierten Stils wie etwa Schnitzler auch vielleicht mit Glück breiter
ausgesponnen hätte — er ist hier mit geringer Bühnengeschicklichkeit,
mit geringem Geiste und geringem Humor in die Länge gezogen
worden. Und dieses schwache Stück wurde in den tragenden Rollen
von ungeeigneten Darstellern vorgeführt. So mußte es einen un¬
lustigen Abend geben, und nur die Allerliebenswürdigsten der Zuhörer
rafften sich dazu auf, dem zweiten und dritten Akt einigen Applaus
nachzusenden.
Der Inhalt dieser Komödie ist schnell erzählt. Der junge be¬
güterte Georges Breteau, der ein herzliches Liebesverhältnis mit der
netten Konservatoristin Mimi Foy unterhält, ist von seinen Eltern,
halb mit seinem Willen, mit einem Mädchen aus ihrer Gesellschafts¬
schicht nerlobt worden. Nun gilt's, von Mimi sich trennen. Bei
inem sorgsam zugerichteten Mahl im Bois wollen sie feierlich
Abschied nehmen. Aber Mimis treuherzige Schwärmerei besiegt den
schwachen Georges: er will bei ihr bleiben und der Verlobten ent¬
sagen. Doch wieder wendet sich sein Schicksal. Als die Eltern seiner
Braut, die von dem Liebesverhältnis mit Mimi erfahren haben,
ihren Zorn entfliehen lassen und Georges verzeihen, da kehrt er in
die Arme der Verlobten zurück. Man wird erkennen, daß nicht
der Stoff, sondern nur seine Formung den Wert dieses Schauspiels
ausmachen kann. Da aber erweist sich Bancaires Kraft als zu
gering. Er vermag die leisen und wechselnden Empfindungen,
die die Herzen dieses Georges und dieser Mimi durchziehen,
nicht in Worte zu fassen er zeigt nur selten Grazie und
Humor. Die Unterredung bei dem Abschiedsmahl, die den
ganzen zweiten Akt ausmacht, bleibt in den Keimen stecken:
und im dritten Akt verliert der Autor vollends den Halt, und sein
Georges erscheint als erbarmenswerter Trottel, und die beiden Frauen,
die ihn lieben, treten sich in einer stilwidrigen Szene voller falscher
Tragik gegenüber. Man denkt an ähnliche Szeuen, die Arthur
Schnitzler in seinem „Abschiedssouper“ und seiner „Liebelei“ ge¬
schaffen hat — wie haben sie uns mit ihrem weichen Humor
und ihrer süßen Melancholie ergriffen, wieviel höher steht der
Deutsche über dem Franzosen, den er durch so liebenswürdige Worte
ausgezeichnet hat!
Doch die Wirkung dieses Lustspiels wäre gestern gewiß nicht!
peinlich gewesen, wenn sich für die Hauptrollen zwei
so
Meister ihrer Kunst eingesetzt hätten. Fritz Spira und
Antonie Tetzlaff waren solche Meister leider nicht. Vor
allem der junge Herr Spira scheiterte vollkommen an seiner
Aufgabe. Er war trocken, kalt und ungelenk, wo er herzlich,
liebenswürdig und gewinnend sein sollte. Kaum eine Spur von
dem schwachen, aber guten und lieben Juligest, als welcher er gewiß
lei Sympathie sich gewinnen könnte. Etwas glücklicher wirkte
zlaff, die wenigstens in die wichtige Abschiedsszene einige
Liebesstimmung brachte. Aber im übrigen erkannte man
wohl eine gewandte Schauspielerin ist, hier aber an eine
ung wenig entsprechende Stelle geraten war. Von den
virkenden verdient nur noch Franz Schönfeld
erden, der einen Don Inan mit gutem Humor ver¬
Iuszenierung war sehr hübsch und üppig; leider
ht zu retten.
e ehet bonn, hurenau ur elen ee
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-Vork,
Taris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. T’etersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
voln:
Hus dem Kunstleben.
Lustspielbaus.
Vaucaire: „Fesseln der Liebe“.
(Petit chagrin).
Dichter, selbst so klare und vernunftbegabte Wesen
wie der feinsinnige Wiener Poet Arthur Schnitzler,
sind oft recht unzuverlässige Kritiker. Schnitzler
hat zur deutschen, von O. Eisenschütz besorgten
Ausgabe dieses Stückes mit dem unglaublich nichts¬
sagenden, banalen und tausendfach dagewesenen
Vorwort
ein
Titel „Fesseln der Liebe“
den Verfasser
in Gestalt eines Briefes an
geschrieben, in dem die „Komödie“ so ziemlich als
das Rührendste und Geistvollste ihrer Gattung hin¬
gestellt ist. Nachdem wir das Stück gestern Abend
selbst erlebt haben, müssen wir sagen: Es ist ein
Glück, daß uns Schnitzler durch die Tat bewiesen
hat, wie viel geistreicher und rührender er selbst zu
gestalten weiß, als Herr Vaucaire. Sonst könnte
man aus seinem Urteile über „Petit chagrin“
wahrhaftig peinliche Schlüsse auf die Anspruchslosig¬
keit ziehen, mit der er der Gestaltungsfähigkeit
Schnitzler hat
eines Dichters gegenübersteht.
den gleichen
seiner „Liebelei“ ungefähr
in
Stoff behandelt, wie gestern Herr Vaucaire.
Eine „Geliebte“, ein braves, ehrlich und selbstlos
liebendes Mädchen aus dem Volke, ist gerade gut
genug, einem jungen Herrn über die Langeweile und
Triebhaftigkeit seiner Liebes=Flegeljahre hinwegzu¬
helfen. Sobald der „reifere Mann“ in ihm erwacht,
naht die standesgemäße Verlobung mit irgend einer
höheren Tochter besserer Stände; das brave Mädchen
aus dem Volke aber, das liebte und geliebt wurde,
sitzt verlassen und halb mißachtet da. Es gibt solche,
die von da an einen resoluten Entschluß für's Leben
fassen und erfahrungsgewitzigt entweder höchst
unsentimental ihren Handschuhmacher heiraten,
oder als desillusionierte Abenteuerinnen ihre
Rache an eben der Gesellschaft nehmen, die
sie betrog. Es gibt aber auch solche, deren
Zukunft fortan die Vergangenheit bleibt, die über
der Erinnerung hängen und brüten und an dem
einmal erlittenen Choc zugrunde gehen. Schnitzler
und Vaucaire haben die letztere Abwandlung des Stoffes
gewählt. Auch Fontane hat ihn übrigens in seinem
Roman „Irrungen, Wirrungen“ neu gefaßt. Aber
was die beiden Deutschen leibhaftig darstellen,
bleibt bei Herrn Vaucaire alles zwischen den
Die Personen behaupten nur immer,
Zeilen.
daß es so oder so in ihnen aussehe, das
was etwa wirklich in ihnen vorgehen könnte, spricht
nicht selbst zu uns. Sie reden über ihre Leiden¬
schaft, über ihr Geschick, Geschick und Leidenschaft sind
nicht persönlich vorhanden, um sich tätig zu vertreten.
So wird aus dem Ganzen ein recht langweiliges
Gemisch von sogenannter Tollheit und von Wehmut.
Nur daß beide Stimmungen, die, wie es scheint,
ganz Vaucairische Besonderheit erhalten haben, daß
einem bei der Wehmut toll und bei der Tollheit
weh werden kann. Daß ein kenntnißreicher und
hochbegabter Autor, wie Schnitzler, mit der ange¬
führten Vorrede in solcher Weise mehr seinem guten
zen, als seinem Urteile Ehre zu machen im¬
stande war, scheint uns nur daraus erklärbar, daß
er mit Dichterangen auf dies Werk, wie auf einen Ver¬
wandten seines eigenen, ihmliebgewordenen Kindes, sah.
Was an dem Rohstoffe ihn gereizt hatte, fand er
auch hier. Was aber in der Ausgestaltung fehlte, an
allen Ecken und Enden zu vermissen blieb, das tat er
aus dem eigenen Werke, in dem es so menschlich=schlicht,
ergreifend und ohne Anklägerpose hingestellt war,
ergänzend hinzu. Dichter sind Schwindler. Sie
flechten und weben.
Was etwa an dem Stück noch hie und da geist¬
reich und besser empfunden war, ward durch eine
schier dilettantenhafte Vorstellung vollends verdorben.
Es lohnt sich wirklich nicht, davon zu sprechen.
Paul Mahn.