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1. Miscellaneous
Sieg dei Vittoria geschrlebenen Eroica, dann in der
Seine Märtyrerlaufbahn begann. Gefängnis, Exil,
Irrenhaus sollten ihre Stationen werden.
Ob der gezahlte Ruhmespreis nicht doch zu hoch
war? Ob das Erreichte auch nur annähernd dem
entspricht, was er gewollt hat? Aber wer übersieht
was er will! Ahnen wir doch kaum, was wir müssen.
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Sellos Gedichte.
Einsam, ach, in dem vermorschten,
Schwanken, sompaßlosen Kahn,
Treib' ich auf dem unerforschten,
Unbarmherzigen Ozean.
Unter den Rechtsanwälten — in der auf Albert Träger
folgenden Generation — sind heute die entschiedensten Lyriker
Suse in Hamburg und Justizrat Sello in Berlin. Von
vornherein denkt man: ein Advokat wird pathetische Lyrik
machen ... oder schlagende Stachelverse. Suse jedoch und
namentlich Sello äußern in höherem Grad ein reiches Liebes¬
gefühlsleben; Sello zeigt in den Versen etwas durch Schwer¬
mut Glanzvolles, bald wird es in gemeinfaßlicher Form
durch Wein (im Römer) befeuert. „Im Glase“, sagt er ein¬
mal zutreffend,
„Im Glase blinkt das edle Naß,
Im Morgenstrahle welch Gesunkel!
Dem jungen Tage gilt mein Glas,
Der siegreich dort emtsteigt dem Dunkel.“
Und so. Man gewahrt eine frische Mannesindividualität,
die vielleicht von Wildenbruch (und Geibel) angeregt ist;
der es an phantastisch=düsteren Zügen auch nicht fehlt¬
Sello steht etwan auf hohem Altane in Nacht und Sturm,
die rostige Wetterfahne kreischt auf dem Turm. Und er
singt an andgrer Stelle, wie erwähnt:

Einsam, ach, in dem vermorschten,
Schwanken, kompaßlosen Nahn
Treib' ich auf dem unerforschten
Unbarmherzigen Ozean.
Den wesentlichen Raum in Sellos Gedichten verlangt
aber nach wie vor die Liebe.
Rein, weine nicht, mein Lieb! Erschwer uns beiden
Den Abschied nicht. Ich will dich heiter seh'n —
beginnt ein „Abschied“ benanntes Gedicht; Sello schließt
es mit den Worten:
Ich aber wandle still auf nächtigem Pfade,
In meinem Busen neue Liederblüten
Und über meinem Haupt die ewigen Sterne. —
Alles in allem: der glänzende Verteidiger (den jeder
von uns noch einmal braucht) hält zu seiner eigenen Be¬
friedigung poetische Momente fest, welche die Liebe, Er¬
innerungen, Getränke, Sagenstoffe umfassen, auch knapp¬
sentenziöse Aphorismen:
Wie sie kreischen, wie sie schwatzen!
Höchst gesellig lebt fürwahr
Das gemeine Dolk der Spatzen;
Aber einsam haust der Aar.
Neben alledem spricht die ehrliche Neigung zu ein paar
lieben Menschen. Dies letzte bleibt das Beste. Man
merkt: es kommt dem Autor zunächst auf dis Leben selber
an. Das ist vielleicht mehr als Gedichte machen.
Sello bildet ein Gegenstück zu meinem Freunde Arthur
Schnitzler, der von Fach Arzt ist. Schnitzler leistet was als
Poet ... und hat sich im erlernten Beruf neulich komische
Blößen gegeben. Während Sello im erlernten Beruf
hervorragend ist . .. und Gedichte macht, die ich als Klient
außerordentlich finden würde.*)
Alfred Kerr.
Das Büchlein („Ein später Strauß") ist von Schuster & Lössler
verlegt.
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