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1. Niscellaneous
250 Balduin Groller: #8888#88
wird ja niemals zugeben, daß er etwas nicht unter den Scheffel weitläufiger und unförm¬
könne und täte er es je, so soll man ihn licher Schuhe stellt. Auf elegante und pi¬
nur gleich mit der Hacke erschlagen.
kante Chaussure hält sie viel, und wenn sonst
Also stellen wir den Typus fest. Aber vor¬
auch aus verschiedenen Gründen ausnahms¬
her wird man mir doch erlauben, mich noch
weise die Toilette nicht sehr soigniert sein sollte,
ein wenig zu winden.
die Beschuhung ist immer tadellos, und der
gewissenhafte Beobachter hat selbst bei schlech¬
Nur der Stil könnte uns eine Aufklärung
geben. Was die Wienerin betrifft, so gibt
tem und regnerischem Wetter keine schlechten
es einen Stil, der ihr adäquat und konge¬
Zeiten. Die Wienerin geht bei nasser Witte¬
rung in ihrer rührenden Sorgfalt für den
nial ist und der uns ihren Typus glaubhaft,
überzeugend zum Bewußtsein bringt. Man
Saum ihres Kleides und der Röcke sehr weit,
braucht nur die Bilder von Fendi, Dan¬
und die Ansprüche, die sie hier im Punkte der
hauser und Waldmüller anzusehen, um sich
Reinlichkeit stellt, erheben sich nicht selten
eine vollständig korrekte und zutreffende Vor¬
ziemlich hoch. Dabei wird es dann dem
stellung zu machen, wie die Wienerin —
ernsten Forscher zum Bewußtsein gebracht,
war. Das ist es eben: — wie sie war!
daß die Füße als die niedlichen Grundlagen
Seither ist ein halbes Jahrhundert vergangen.
des zierlichen Baues nach oben eine in der
Die Mitte des vorigen Jahrhunderts ist für
Linie graziös geschwungene und ausreichend
uns schon eine Epoche, die wir als Altwien
solide Fortsetzung finden. Der ganze Bau
zu bezeichnen pflegen. Seither ist uns aber
ist überhaupt im Gegensatz zu der ander¬
ein wirklicher Stil nicht zugewachsen; wenig¬
wärts oft gebräuchlichen Bauordnung ziem¬
stens haben wir nicht das Bewußtsein davon.
lich stark profiliert. Ausgeschlossen mag es
Ich käme in ernstliche Verlegenheit, wenn
ja nicht sein, daß, wo die Natur mit dem
ich auch nur einen bedeutenden Künstler
Baumaterial etwas zu sparsam gewesen sein
namhaft machen sollte, der in seinen Werken
sollte, die Kunst bereitwillig ausgeholfen hat
den Typus der modernen Wienerin festge¬
— in früherer Zeit. Die Gegenwart darf
stellt hätte. Möglich, daß auch das von der
wohl von einem solchen sonst strafgerichtlich
verpönten Delikt der Vorspiegelung erdich¬
höheren Warte einer späteren Zeit aus keine
teter Tatsachen ohne weiteres und alimine
Schwierigkeiten bieten wird. Vorläufig
freigesprochen werden. Denn die sezessioni¬
stehen wir zu sehr in der Tiefebene und sind
zu sehr mitten drin, um die richtige Optik,
stische Mode die gegenwärtig herrscht und
oder wie Sie's
Perspektive, Draufsicht
die an der Wienerin einen starken Rückhalt
sonst nennen wollen, gewinnen zu können.
hat, fordert gebieterisch die Linie, also
äußerste Magerkeit, und dann höchstens noch
Die echteste wienerische Musik ist ein
Lannerscher Walzer. Setzen Sie diesen in
die Fläche, und gegen die Mode gibt es
keine Auflehnung.
Fleisch und Blut um, und Sie haben die
Das Gesicht der Wienerin hat keinen be¬
echte Wienerin, oder transponieren Sie diese
in Noten und Sie haben den rechten Lanner¬
stimmten Typus. Infolge der bereits er¬
schen Walzer. Sie danken höflichst für diese
wähnten besonderen Umstände sind alle
Spielarten vertreten, und der gemeinsame
Methode und erklären, daß Sie nun gerade
Zug tritt erst in der Hitze des Gefechts in
so klug sind wie zuvor. Lästern Sie nicht,
schöne Freundin, denn Sie waren auch schon
die Erscheinung, beim lebhaften Gespräch
und in der ungebundenen Heiterkeit, und in
zuvor sehr klug und Sie müssen einsehen, daß
diesem Zuge lebensprühender Gutmütigkeit
ich mich abzappele, einen Lannerschen Walzer
zu erzählen. Ich unterwerfe mich. Die begegnen sich dann alle Formen und Nuan¬
Wienerin kommt nur in der gemäßigten Zone
cen von der römischen bis zur böhmischen,
zwischen Favoriten und dem Praterstern, welch letztere jedoch nur in ihren liebens¬
würdigen Abarten zu konstatieren sind. Der
und Schwechat und dem Kahlenberger Dörfel
Kopf sitzt stolz und selbstbewußt auf dem
vor. Das ganze Territorium liegt an der
schlanken Halse. Die Gesamterscheinung ist
wieder ein
„schönen blauen Donau“ —
Walzermotiv! Sie nährt sich von Wiener
von üppiger, lebensfreudiger Lieblichkeit und
heiterer Plastizität.
Schnitzeln und anderen Dingen und greift
Mit diesem äußeren Bilde harmoniert
den Menschen an, wenn sie gereizt wird.
Aber auch den Menschen greift es an, wenn
ganz vorzüglich der „Hamur“ der Wienerin.
sie ihn reizt, und sie reizt ihn, was durch
Ist es nicht bezeichnend, daß sie selbst für
Zeugen dargetan werden kann, sehr oft.
jede Gemütsanlage, für den ganzen Charak¬
ter, sei er sonnig oder trübe, liebenswürdig
Sie hat das so in sich. Sie ist reizend.
oder grauslich, den Ausdruck „Hamur“ an¬
Die Wienerin lebt gern auf großem Fuße,
wendet? Es gibt eben einen guten und
aber ihren Füßen sieht man das nicht an,
einen schlechten „Hamur“. Die Wienerin
und wer mit Begriffen, die er im Ausland,
hat einen guten Humor, und wenn es ein¬
etwa in Britannien, erworben, also mit sehr
mal ausnahmsweise auch ein schlechter ist,
erweitertem Gesichtskreis, nach Wien kommt,
ein Humor ist es doch immer. Dieser Humor
der macht große Augen über die kleinen
ist kein produktiver, sondern ein rezeptiver,
Füße, die zu verbergen die Wienerin sich
er ist aber darum nicht schlechter als jener.
keine bemerkenswerte Mühe gibt. Nicht un¬
erwähnt dürfen wir lassen, daß die Wienerin Sie ergreift nicht die Initiative zu einem
das Licht ihrer schönen Füße durchaus nicht Spaß oder zu einer „Hetz“, aber wenn der