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11. Miscellanee.
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nun alle zusammen den amüsantesten Winkel des Schnitzlerschen Werkes
bilden. Auch ihre Bekanntschaft machte der selbst noch auf seine
Berufung Wartende im Wartezimmer seines Vaters.
Dort sind aber die Geheimnisse der Seele noch nicht in
Erfahrung zu bringen. Gehen wir weiter:
An das Wartezimmer stößt das Ordinationszimmer. Gibt jenes
einen äußeren Querschnitt durch die Geseilschaft, so lernt
man in diesem die innere Struktur des Menschen kennen.
So wurde der Dichter. Jetzt hätten wir alles. Bleibt nur noch
die Sorge, ob er uns das Lustspiel schenken wird ... Was aber
das Sterben anlangt, so wird die Platzkenntnis im jenseits wieder
von anderen Psychologen erklärt. Einer beruhigt uns vor allem
darüber, daß die Diagnosen, die Schnitzler in seinen Werken
stellt, durchaus zutreffen.
. Uberdies hat das Medizinstudium Schnitziers noch etwas Gutes:
alle die Personen, die in seinen Stücken und namentlich in seinen
Novellen von hinnen gehen, sterben eines soliden Todes. Man weiß
genau woran, und man ist beruhigt daß die Behandlung eine richtige
gewesen ist. Man denke an die Frau, die den Geliebten ohne Nachricht
läßt, weil sie, von Kopftyphus befallen, zu Bette liegt, das sie nicht
mehr verlassen soll; man denke an Personen, die zunächst nicht ein¬
mal sterben, sondern nur unglücklich werden. Wie zum Beispiel jene
Liedersängerin, die alles Augenlicht verliert. Wieso wird sie
blind? Wir lesen’s ausdrücklich: infolge einer Gehirnhautentzündung.
Wie erklärt sich aber der Weg ins Freie?
.Am liebsten nahm Arthur Schnitzler sein Nachtmahl im Freien.
Dieses Nachtmahlen im Freien — es ist bis heute eine Art Schwärmerei
des Dichters geblieben. Zum fünfzigsten Geburtstag wußte er sich kein
lieblicheres Geschenk als sich eine kleine freie Veranda an die Garten¬
seite seiner Villa bauen zu lassen. Da wird soupiert. Das Richtige ist
freilich das volkstümliche Abendessen in einem Wirtshausgarten —
bestehend aus Gulyas, Käse und Bier. Als Nachtisch eine dünne
Virginier. Da sieht man Leute, die man später einmal brauchen kann!
Nun wäre schon vieles erklärt, der Dichter im Arzt, der
Arzt im Dichter, der Dramatiker, der Villenbesitzer, der starke
Esser, das Nachtmahl im Freien, der Weg zur Neuen Freien, kurz
das meiste. Wie aber erklärt sich Schnitzlers Wesen überhaupt? Ganz
einfach: aus der Rasse. Ja, aber aus welcher Rasse? Ganz einfach:
Seine Art und sein Werk sind ein Dokument unserer Rasse.
Die alte Kultur des Wienerischen und die noch ältere des
Jüdischen sind die Elemente seines Wesens.
Herr Specht ist es, der so zwischen den Rassen schwankt.
Herr Großmann, der viele politische Uberzeugungen, aber dafür
nur eine Rasse kennt — der als Anarchist zur Arbeiter-Zeitung,
als Sozialdemokrat zum Berliner Tageblatt und als Journalist zu
einer Theaterdirektion kam, jedoch im Rassenpunkt immer Farbe
bekannt hat — drückt sich viel klarer aus:
Ein Schulkamerad Schnitzlers erzählte mir: „In der Schule hat
"Man kann
er meistens einen sehr schönen Samtanzug getragen
sich den milchweißen und rotblonden Buben vorstellen, der mit großen
melancholischen, die Erfahrungen eines Jahrtausende alten Volkes
bergenden Augen dreinschaute, (auch wenn man das Bild des reifen
Arthur Schnitzler betrachtet).
Vom Wurstelprater bis zum Schwarzenbergplatz, vom Jordan
bis zur Donau, vom Anarchismus bis zur Theaterdirektion —
wahrlich, das alte Volk hat seine Erfahrungen und kennt sich aus.
Aber ich, ein Abtrünniger aus ganzem Herzen, kenne mich noch
besser aus, ich weiß, wie Jubiläen entstehen, und ich zeige, wie sie
aussehen. Wieso werd' ich nicht blind? Woher hab ich das?