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1. Miscellaneens
Derliner Li#don Cewier, Herlis
Morgenausesb.
5IX. 1919
Milage drs Deeiines Vorien de
Freitag, 5. September 1919.
des Schaffenden für seine Kreatur, denn als Dra¬
matiker. Er ist, wo er novellistisch kommt geduldi¬
Felix Salten.
ger, der Gestalt ergebener, begleitet sie künstlerisch
menschlich, viel weiter, hört ihr zu, läßt sie leben
Zu seknem 50. Geburtstag (6. September).
und ausleben, wird ihr gerecht und zahlt ihr seine
Von Max Prels.
In der stillen symbolischen Wiener Vorstadtgasse, poetische Schuldigkeit. Gegen seine Bühnenmenschen
wo Schnitzlers „Anatol“ und „Leutnant Gustel“ ihre ist er ungerecht; die führt er im schnellen Einakter¬
literarischen Begegnungen feiern, ist auch der Felix stempo spazieren, verkuppelt sie an Effekte, hängt
Salten, der jetzt fünfzig Jahre alt wird, in seinen An- ihnen Kostüme um, die freilich tadellos sitzen, aber
ist vielleicht für auf den Schultern ist Watte aufgelegt. Sie müssen
fängen Hazieren gegangen.
Arthur Schnitzler gar kein Vergnügen, daß alle jün= ihre Kunststücke zeigen: Sentimalität Ironie, sym¬
geren Wiener irgendwie von ihm abgeleitet werden, bolisches Zwinkern; so wie Kinder, die schlecht er¬
wie eine unregelmäßige Verbalform von einem Zeit= zogen, irgendeinem Verlegenheitsonkel ihr Repertoir
wort, aber, „da kann man halt nix machen“ er istl vorsagen sollen. Sicherlich das Repertoire gehört
wirklich der litexarische Pate der neunziger Jahre des schon zu den Kindern aber es gehört nicht zu ihnen,
vorigen Jahr##nderts, und auch Felix Salten kommt daß sie nur zu dem Zwecke vor fremde Leute bemüht
werden, um es herzusagen. Pathetik und Welt¬
aus dieser Gegend, die in den besagten neunziger
sehr mit Kahlenbergluft vollgepumpt anschauung, anekdotische Schlankheit und artistische
Jahren
wurde, daß Generationen daran zu tragen hatten,Kompression, ein Herumschlendern um einen starken
Sanquinismus, das gibt diesen Einaktern, den
dieses etwas parfümierte Ozon aufzuatmen. Salten
„Kindern der Freude" und „Vom anderen Ufer“
ist sicher robuster als sein Pate, weniger intim we¬
niger seidig, weniger in die Untergründe und Hinter= Farben, Rhythmus, Ton, Haltung. Der Dialog
gründe, mehr in die Menschen selbst, die seiner Federknistert, die Typen springen scharf und lebendig aus
den Szenen, Lösungen, die alle tragischen Ansätze
zulaufen, verliebt. Seine Psychologie hat härteren
mit einem heiteren und liebenswürdigen Aktschlu߬
Griff, sie offenbart sich rascher, schäumt von der Ober¬
fläche mehr glitzerndes Blasenspiel ab als Schnitzlers Kompromiß prellen, machen sie bekömmlich, schmack¬
sanftes Leuchten aus der tiefsten Tiefe heraufholt.haft. Aber die Kraft der Anschauung die ausge¬
Und Saltens Ironie ist die streitbauere, sie bleibt, in schöpfte Gestaltung wird doch erst den Menschen, den
sehr viele weiche Liebenswürdigkeiten gewickelt, mit wahrhaften Menschen seiner Epik zuteil. Seine „Ge¬
dem Peluche heiterer und dämpfender Worte zuge=denktafel der Prinzessin Anna“ wird bleiben;
Dafür herbstlich aufglühende Süße der Geschichte von der
deckt, noch immer scharf, schneidend, spitz.
Meisterschaft und „Der
trägt er aber auch keine Stirnlocke, sondern struppig „Kleinen Veronika“
Schrei der Liebe“ hallt frech und jauchzend aus Ur¬
aufgezwirbeltes Haar. Man dichtet schließlich so, wie
trieben.
man frisiert ist; wenigstens in Wien.
Das Wien, dessen Leute man Phäaken nannte,
Dann ist da noch eines zu beachten: Arthur
gibt sich in Saltens dokumentarischen Büchern „Das
Schnitzler macht einen großen Bogen um alles, was
österreichische Antlitz" und „Das Wirtshaus von
Journalismus heißt; er faßt die Zeitung mit zwei
Oesterreich“ ein letztes Stelldichein vor dem Sterben.
längstlich gespreizten Fingern an, am liebsten mit
Dieses Wien ist jetzt tot, und seine Geigen sind vom
Handschuhen, und auch dann noch mit der hein#lchen
Himmel gefallen; aber in zwei Büchern die wie zwei
Felix Salten aber faßt den
(Assoziation: Seife
Museen sind, ist es in Bild und Ton für alle Ewig¬
Journalismus erst gar nicht an, er umarmt ihn; er
keit festgehalten von Felix Salten, geboren zu Buda¬
ringt dieser Umarmung ab, was sie hergibt; wenn
pest, mit Leib und Seele aber zuständig nach Wien
man von den dichterischsten Arbeiten Saltens eine
ideale Linie zu ihren letzten Ausgangspunkten zöge,
man könnte daran, wie auf der Rutschbahn im vor¬
mals k. k. Prater, sanft, jäh und sehr direkt in vie
bunte Ebene des Tagesschrifttums zurückrutschen
Einmal wollte er sich vom Journalismus irgendn
frei machen, sozusagen das Herumstreichen aufgeben,
sich von den vielen Liebesnächten des journalistischen
Zufalls trennen, und ein gottwohlgefälliges, tugend¬
haftes Dichterleben beginnen. Da hat ihm ein k. k.
Hofrat sein Jugendwerk „Der Gemeine“ verboten,
und Felir Salten ging weiter auf die Straße; die
vunte Straße. in der die Aktualitäten einen an¬
sprechen und zu Feuilletons verführen. Er wurde in
der sehr auf Plötzlichkeit eingestellten Wiener Feuille¬
b es brannte, ob
tonschule der flinkste Aktualist.
die „Fürschtin“ Metternich ein frisches Faß Wohl¬
tätigkeit anzapfte, ob weiter oben, wo Wappen und
goldene Vließe glänzten, ein bißchen Staub aufge¬
wirbelt wurde, ob der Kaiser Franz Joseph über die
Mariahilferstraße nach Schönbrunn fuhr, oder eine
große Kriminalaffäre die Wiener zum Anhalten des
Atems verpflichtete — Felix Salten stand schon parat.
Wie ein fleißiger Imker zog er den Honig der Stim¬
mung aus den Waben der Begebnisse; und die
Pointen, denen andere ächzend nachliefen, die dräng¬
ten sich an ihn heran, schmiegten sich sauft und freund¬
lich an ihn. Seine Feuilletons wurden dann immer
das, was man brillant nennt; sie waren ja auch
wirklich wie Brillanten geschlissen, und das Zeitungs¬
blatt trug sie zum Schmuck, so wie man eben aus
luxuriöser Laune und höchst überflüssig Schmuck
um aufmufallen und zu gefallen. Aber
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