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Text

Altarschihlers Müller.
Ein Gedenkblatt.
Von
Jenny Schnabl.
Aus alten Briefschaften kam mir kürzlich eine verblichene Teilt und Rhythmus einhielt. Wie sie, liebte der Dichter die
Musik. Seine Musikalität durchklang seine Sprache in Vers und
Ansichtskarte zur Hand mit der Unterschrift: „Luise Schnitzler"
Prosa wie eine leise Melodie. Und so manche seiner Gestalten,
Die flüchtig hingeworfenen, wenigen Zeilen, die bei aller Kürze
wie der alte Musikant in „Liebelei“ oder der Freiherr Wogen¬
ihre eigene Note hatten, ließen mir das Bild der Mutter Artur
thin und die schöne Anne seines Romans, sind mit ihren Ge¬
Schnitzlers wieder aus der Erinnerung erstehen. Ich sah sie vor
schicken ihr verhaftet.
mir: Das schmale, lebensprühende, geistreiche Gesicht mit den
An ihren kleinen musikalischen Abenden versammelte Frau
klugen, durchdringenden Augen, die ganze zierliche, bewegliche
Schnitzler manchmal die Freunde ihres Sohnes um ihren gast¬
Gestalt der verehrten Frau.
lichen Tisch, von denen manch einer, damals noch ungekannt,
Eines Sommers zu Gossensaß im „Wielandhof“ wurde ich
später in die Unsterblichkeit einging. Einmal, als sich einige
mit ihr bekannt und befreundet. Heiter, gesellig, vom Leben ganz
Gäste zum Abendessen bei ihr einfanden, kam die Rede au
erfüllt, wie sie war, wurden bei dieser geistig hochstehenden Frau
das Theater und eine Schauspielerin, die in einem neuen Stück
die Distanz der Jahre nicht fühlbar, obwohl ich dem Alters
auftrat und die Frau Schnitzler auf der Bühne und im Leben
unterschied nach ihre Tochter hätte sein können. Die Frische und
sehr mißfiel. Sie äußerte sich nicht gerade schmeichelhaft über
Jugendlichkeit ursprünglicher Naturen ging von ihr aus wie ein
sie, ohne zu ahnen, daß der neue Freund der Künstlerin, mit
Fluidium. Nach Wien zurückgekehrt, lud sie mich zu sich und er¬
dem sie seit kurzem liiert war, sich unter den Anwesenden befand.
widerte auch meine Besuche. An meinen Empfangstagen
Als ihr der Dichter nachher vorhielt, was sie angerichtet, ent¬
damals „Jour benannt — kam sie immer am frühen Nach¬
mittag als erster Gast, wo sie sicher war, mich noch allein an= gegnete sie schlagfertig: „Ja, lieber Artur, da mußt du mir eben
nächstens eine Liste der Freundinnen deiner Freunde geben,
zutreffen. Diese Stunde im Gespräch mit Frau Professor
Schnitzler hätte ich nicht missen mögen, denn sie hatte eine denn man kann wirklich nicht von mir verlangen, daß ich alle
ihre Beziehungen in Evidenz halte.“ Nach dem Sensationserfolg
bezaubernd liebenswürdige Art zu plaudern, einfach, natürlich
der „Liebelei“ war der junge Dichter Mode geworden; Held
unbeschwert, voll Geist und Humor. Die feine Ironie und
aller Salons, umworben und gefeiert von jungen Mädchen und
skeptische Einstellung zu Menschen und Dingen mochte dem
Frauen, die geradezu einen Kult mit ihm trieben. Frau
Dichter von ihr überkommen sein, ebenso seine divinatorische
Schnitzler wußte davon zu erzählen, bis zu welchem Grad der
Beobachtungsgabe und jener Wirklichkeitssinn, der erst den
Aufdringlichkeit sich dieses Interesse für ihn äußerte. Sie, die
visionären Dichter zum Gestalter, Menschenbildner macht. Si¬
Patrizierin von Haus aus, von alter Tradition, aus einem
selbst stand auf festen Füßen im Leben. Mystik, subti¬
Stimmungen — geheime Unterströmungen der Seele —, das anderen Milieu, hatte für diese losgebundenen Frauen nur eine
innere Abwehr.
Schicksalhafte, Transzendente der Dichtungen ihres Sohnes
Endlich lernte ich dennoch Artur Schnitzler persönlich
waren ihr fremde Bezirke.
kennen, und zwar in offizieller Sendung, im Auftrag des
Dennoch war viel Gemeinsames zwischen Artur Schnitzler
Präsidiums des Vereins „Ferienheim“ zu ihm entsendet mit
und seiner Mutter. Sie war ihm der beste Kamerad, Beraterin, der Bitte, zugunsten desselben am Vorlesetisch zu erscheinen.
Publikum und Kritik zugleich. An dem Wendepunkt seines
An einem kalten Wintertag Ende Januar fuhr ich in die
Lebens, als er die ärztliche Karriere aufgab und damit ein
Sternwartestraße zur Villa Schnitzler und übergab dem
wohlfundierte Existenz, eine geebnete Laufbahn, die ihm in diesen
Stubenmädchen meine Karte. Ich wurde von dem Dichter
Beruf als Nachfolger seines Vaters sicher gewesen wäre, stand
sofort empfangen mit einer warmen, ja herzlichen Freundlich¬
sie ihm zur Seite. Sie empfand mit richtigem mütterlichem zeit, an der ich die Einführung durch die Wohlmeinung
Instinkt, daß es aus innerster Notwendigkeit geschah. Sie erzählte
erkannte, die seine Mutter für mich hatte. Unter diesem
mir einmal, in welch atemlos zitternder, tiefer Erregung sie
Zeichen ward ich nicht wie eine Fremde, sondern wie eine
jedesmal bei der Premiere eines seiner Stücke im Hintergrund
lang Gekannte aufgenommen und saß bald behaglich in dem
ihrer Loge saß. Welche Genugtuung für sie, als sich der Erfolg
schönen Raum seines Arbeitszimmers in einem bequemen
früh und über alle Erwartung einstellte, als ihm im Jahre 1890
Armstuhl, installiert vor seinem Schreibtisch, in langwährendem
der Bauernfeld=Preis und zur Komödie das „Zwischenspiel“ der
Gespräch, das, von Persönlichem ausgehend, Allgemeines
Grillparzer=Preis verliehen wurde. Diese begnadete Mutter hing
streifte. Als ich endlich auf meine Uhr blickte, sah ich zu
an ihren Kindern gleicherweise mit stolz beglückter Liebe. Ihr
meinem Schrecken, daß ich schon eine Stunde geblieben war;
zweiter Sohn Professor Dr. Julius Schnitzler hatte als hervor¬
eine unvergeßbare, die wie ein Augenblick vergangen. Den
ragender Kliniker und Chirurg einen bedeutenden Rus. Ihre
Zweck meiner Sendung hatte ich leider nicht erreicht, da der
einzige Tochter Gisela — feinsinnig und gütig wie sie — hatte ihr Dichter zum anberaumten Termin der Veranstaltung
Lebensglück als Gattin des weltberühmten Laryngologen
Brahm nach Berlin mußte, der sein neues Stück — wenn ich
Professor Hajek gefunden. Nur ihr Sohn Artur stand noch im
„Komtesse Mitzi herausbrachte, um
mich recht entsinne¬
Ringen mit seinem Genius, wie es jeder schöpferisch Berufene
seiner Erstaufführung beizuwohnen. Uebrigens war dem
durchzukämpfen hat. Ihm konnte sie noch viel sein. Und das war
Verein seinerzeit die Begünstigung zuteil geworden, Szenen
die stärkste Bindung. Er war es, der ihr Leben mitlebte, Mittel¬
und zwar „Abschiedssouper" und
aus dem „Anatol",
punkt ihres Daseins war nach dem im Jahre 1893 erfolgten
„Weihnachtseinkäufe, zur Uraufführung bringen zu dürfen.
Tod ihres Gatten, dessen Verlust sie nicht verschmerzte. Er
Sie fand im Rahmen einer großen Festakademie im Sophien¬
wohnte während seiner Junggesellenzeit bei ihr, in ihrem schönen
saal statt, der bis zum letzten Winkel ausverkauft war, unter
Heim in der Frankgasse mit dem Ausblick auf die grazilen
rauschendem Beifall und in glänzender Besetzung, von der
Türme der Votivkirche. Dort begegnete ich ihm manchmal auf der
Treppe, ohne daß er mich kannte. Wenn ich dann bei Frau mir noch Adele Sandrock und Leopold Kramer erinnerlich sind.
Noch einmal führte mich der Zufall im Sommer 1911
Schnitzler eintrat, sagte sie: „Wie schade, eben ist mein Artur
weggegangen" oder „Warum sind Sie nicht etwas früher ge¬ mit Frau Schnitzler in Gossensaß zusammen. Es war Anfang
kommen, Artur war bis jetzt zu Hause, er hätte sich gefreut, Sie und Ende meiner Begegnung mit ihr, die sich dort wie in
kennenzulernen." Das Klavier stand noch offen, auf dem Pult einem Ring zusammenschloß. Es war ihr letzter Sommer
gewesen. Noch vor Herbstbeginn, am 9. September 1911, schied
war die Partitur der „Eroica“ aufgeschlagen. Sie war eine gute
Pianistin, spielte mit ihrem Sohne viel vierhändig und übte mit sie dahin, im zweiundsiebzigsten Jahre ihres reich erfüllten
rührendem Eifer wie eine Schülerin ihren Part, wobei sie streng Lebens. Die Leiden des Krieges und der Nachkriegszeit, der
Zusammenbruch des Reiches ist ihr erspart geblieben. Eine
denkwürdige Frauengestalt entschwand mit ihr jener Epoche,
die längst historisch geworden, deren spezifisches Oesterreichertum
und essentielle Geistigkeit, deren Gesellschaft und Mentalität
Artur Schnitzler in seinem Werke eingefangen. Diesem Werk,
das nun auch schon Kulturdokumen geworden. Von dem
Lorbeer seines Ruhmes sei ein Reis auf ihr Grab gelegt.