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13.
sellanos
box 44/6
Ausschnitt aus:
la
vom
25. Juni 1933
ist das bebend Unge¬
wältigende eines die
NEUE NOVELLEN
schaft und Liebe gerade
nicht mehr mit solch
GOTTERIED KÖLWEL: Der tödliche Sommer. Frundsberg. Erzähler befreundet sich mit einem fünfzehnjährigen enthüllender Anteilnahr
vollkommenen Novelle
Knaben, der mit seinen Eltern in derselben Sommerfrische
Verlag, Berlin.
Reflexionen, nur aus
weilt, er beobachtet das Erwachen einer ersten Zuneigung
Novellen verhalten sich in der epischen Kunst zum Romar
zwischen diesem Knaben und einem zwei Jahre jüngern wächst hier das Seelenbi
wie in der Musik das Kammermusikwerk zur Sinfonie. Si¬
Menschen, die seiner Ve¬
Mädchen, die von der stillen Schönheit eines frühen Blüten¬
müssen das gleiche gedankliche Gewicht, dieselbe seelische
Macht des Bewußtsein
tags erfüllt ist. Die Ankunft einer angeblichen Filmschau¬
Tragfähigkeit haben wie die „große Dichtung, aber noch
stehen. Eine psycholog
spielerin reißt den Jungen plötzlich in die erste, aus der
strenger in der Form, noch geschlossener im Aufbau sein
ihr zugrunde liegenden
Unschuld des Spiels heraustretende Jugendleidenschaft, der
Wie die Stimmen des Streichquartetts müssen die Themen
dürfte nicht der österrei¬
er psychisch und schließlich auch physisch, durch einen Ab¬
geführt sein, erkennbar selbständig und doch mit gleichen
logischen Kraft der Es
sturz beim Blumenpflücken für die angeschwärmte Dame
Funktion im Ganzen. Die Novelle verlangt Satzkunst, und
Autor zu erraten.) Ab¬
erliegt. Die kleine Freundin des Toten wirft bei der Be¬
wenn es kunstlose Romane gibt, die dennoch wirken —
dieser Kinder novelle, so
erdigung in kindlicher Verzweiflung, hinter der sich, ihr
etwa die Romane von Upton Sinclair oder, um berühmtere
um so stärker ergreift
selbst unbewußt, der Haß der Liebenden auf die Neben¬
Beispiele zu nennen, die Zola, kunstlose Novellen gibt es
und Sätzen von ruhiger
buhlerin verbirgt, mit einem Stein nach der Frau, die an dem
nicht. Sie sind der eigentliche Prüfstein schriftstellerischen
Verhängnis schuld ist. Eine in der tatsächlichen Wirkung Klarheit, Zucht und ni
Meisterschaft, und es ist bezeichnend, daß die letzten Jahre
geringfügige, in der sinnbildlichen Größte um so stärkere dieses Buch zeigt, wie
in der wahl- und uferlosen Produktion der jungen Generation
einer neuen deutschen
Bewegung.
ausschließlich auf den Roman beschränkt blieben, den Roman,
Seit Colettes unvergeßlicher Meisternovelle „Phil und Vinca
der einem auch zufallen kann, während die Novelle
geschrieben werden muß. Thomas Mann und Arthur
Schnitzler sind die letzten großen Novellisten der Vorkriegs¬
generation gewesen. Es schien niemand mehr zu geben, dem
sie ihr Erbe eines Tages würden vermachen können
Der Münchner Lyriker und Erzähler Gottfried Kölwel,
dem die „reine Schrift eine verpflichtende Aufgabe ist, ist
einer der wenigen, die nach der großen Pause wieder No¬
vellen schreiben dürfen. Er ist als Themenerfinder von großer
Einfachheit, als Erzähler von ungewöhnlicher Klarheit, als
Künstler von vorbildlicher Überlegtheit. Sein Buch Der
tödliche Sommer, aus dem die Kölnische Zeitung seiner¬
reit die Erzählung Eine arme Kreatur Gottes zum Vorabdruck
brachte, enthält vier Novellen, Begebenheiten im Leben länd¬
licher Menschen, von klassischem Maß, Kölwel weiß, daß die
Novelle keine Schicksalsläufe enthalten darf, sondern Ge¬
schehnisse oder Ereignisse, mit deren Eintritt das Schicksa
einen Schlag führt. Er weiß, daß in der Novelle nicht vor
allem charakterisiert, sondern berichtet und gedeutet wird,
daß die Gestalten der Novelle in einem Seelenzustand ver¬
harren müssen oder höchstens aus einem in den andern über¬
gehen, nicht aber eine Reihe von Zuständen durchlaufen
dürfen. Und er weiß schließlich, daß für die Novelle wie
für kein zweites Gebiet der Wortkunst der Satz gilt, das
Dichten Ver-dichten heißt. Es möge aus diesen Bemer¬
kungen aber nicht der Eindruck entstehen, als ob Kölwels
Erzählungen vor allem Lehrstücke wären, an denen sich die
Theorie der guten Novelle entwickeln ließe. Daß sie das
auch sind, gibt ihnen ein besonderes Gewicht für den
literaturgeschichtlichen Augenblick, in dem die Novelle
wieder in eine bedeutsamere Position einzurücken scheint
Kölwels, des Oberpfälzers, Stärke ist seine landschaftliche Ver¬
bundenheit, die er freilich nicht mit der penetranten Muffig
keit des „Schollendichters“, sondern mit jenem großen, aus
dem Bodenständigen ins Menschliche hinüberwehenden Atem
erlebt, von dem auch Gottfried Kellers schweizerische No
vellen erfüllt sind. Zugleich über kommt aus dem Öster¬
reichischen herüber ein zweiter hoher Ahn der Kölwelschen
Prosa: Adalbert Stifter. An ihn denkt man, wenn man die
Stimmung einer Landschaft durchempfindet, wie sie Kölwel,
ohne jemals einem nur atmosphärischen Reiz" zu verfallen.
darzustellen vermag. Dem entspricht die Art, wie seine
Personen nicht durch Psychologisieren, sondern gewisser
maßen durch ihre innere Situation hindurch charakterisiert
werden als Geschöpfe, an denen sich noch das Verhängnis
mit aller frühen und urtümlichen Gewalt eines elementaren
Ereignisses vollziehen kann. Starke und ursprüngliche
Symbolkraft in Verbindung mit einer vorbildlichen Klarheit
und Helle der sprachlichen Gestalt das sind die wichtigsten
Merkmale der epischen Kunst Kölnels, die gerade dadurch
als beispielhaft für eine neu zu schaffende deutsche Prosa.
gleich weit entfernt von welkem Formalismus wie von
dumpf romantisierendem Gestammel, zu gelten hat.
FRANZ NABL: Kindernovelle. Rainer Wunderlich-Verlag,
Tübingen,
Dieselben Eigenschaften, die Gottfried Kelwels Erzähler¬
kunst auszeichnen, besitzt auch der jetzt fünfzigjährige
Österreicher Franz Nabl. Ja, es gibt sogar wenige Dichter,