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box 447
13. Miscellaneous
RATIS
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1934
Altes und Neues vom Café „Größenwahn".
In der Festschrift des Gremiums der Wiener Café Griensteidl im Schwung der Tage von 1848 sogar
Kaffeehausbesitzer anläßlich der 250-Jahr-Feier
zum „National=Café“ avancierte, welcher Name sich
des Wiener Kaffeehauses im Türkenjahr 1933 wird unter
allerdings nicht lange hielt.
vielen anderen Alt=Wiener Kaffeehäusern auch des
In den fünfziger Jahren war Griensteidl am
einzigartigen Cafés Griensteidl, einst ein Wahr¬
Michaelerplatz die Residenz verschiedener „Unzufriedenen
zeichen des Michaelerplatzes, gedacht. Man weiß, daß in
die damals Gott sei Dank nur in männlicher Ausgabe
keiner anderen Stadt der Welt das literarische und
existierten. Hier hatten die Arbeiterführer Hartung,
künstlerische Leben so eng mit dem Kaffeehaus verwurzelt
Most und Oberwieder ihr Quartier aufgeschlagen,
war, wie gerade in Wien. Der südliche Charakter der
von hier aus wurde die erste Demonstration vor dem
Stadt zeigte sich und zeigt sich in dieser Freude an dem
Parlament veranstaltet. Aber hier verkehrten auch
öffentlichen Räsonieren und Diskutieren im Schatten der
Berühmtheiten, wie Grillparzer, Laube, Graf
„Schanigärten, wobei wiederum deutsche Gründlichkeit
Beust, Costa und Kamillo Sitte, und so wurde das
dem berühmten Wiener Literaturafé eine ganz eigene
Kaffeehaus, mit dessen Bedeutung für das geistige
verinnerlichte Note gab.
Leben Wiens sich der soeben erschienene dritte (Schlu߬
Eines der berühmtesten dieser Wiener Literatur¬
Band der Deutschösterreichischen Literaturgeschichte von
und Kulturcafés war, wie in der genannten Festschrift
I. W. Nagl und I. Zeidler ausführlich beschäftigt,
hervorgehoben wird, zweifellos das Café Griensteidl.
sehr bald zu einem „Hauptstapel- und Umschlageplatz von
Vor rund 95 Jahren wurde es von dem Angehörigen
Zeitideen".
einer Alt=Wiener Bürgerfamilie, dem früheren Apotheken
In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
Heinrich Griensteidel, im Parterre des damaligen Palais
versammelten sich bei Griensteidl an bestimmten Nach¬
Herberstein am Michaelerplatz eröffnet. Gleich in seinen
mittagen und Abenden jugendliche Literaten und
Anfängen war es ein Treffpunkt literarischer und
Künstler, die hinter der Schale Mokka oder Kapuziner
politischer Persönlichkeiten und von einer
stürmisch eine Neuordnung der Kunst und des Lebens
revolutionären Nimbus umgeben. So kam es, daß das verlangten. Die niedrigen Zimmer mit den Zigarrenrauch
geschwärzten Tapeten widerhallten von den stürmischen,
moderner Mietpalast kam. Im Jän
oft bis zum Morgengrauen ausgedehnten Debatten.
Café Griensteidl nach mehr als fünf
Gott, der miserabel eingerichteten Welt und vor allem
gesperrt. Viele seiner Stammgäste
den Kunst= und Amtsbanausen wurde der Fehdehand¬
Café „Zentral“ aus. Unter dem
schuh hingeschleudert, eigene Verse und Prosa vor¬
Literatur" hielt in einem Sonderheft
getragen. Hermann Bahr, Hugo v. Hofmanns¬
schau" Karl Kraus, selbst einer der
thal, Karlweis, Torresani und Schnitzler von Griensteidl, eine satirische, mit
waren hier zu finden. Viele von den Stammgästen des
Bosheit gewürzte Nachrede für den
Café Griensteidl stiegen, als Sturm und Drang vorbei
Cafés:
gebraust waren, zu reifer Kunst= und Lebenshöhe empor.
Hier verkehrten Leute, die Poser
Aber es gab auch eine Reihe von Besuchern, wie schon
bezogen und auf Affektationen suba
aus ihren Namen erhellte, keineswegs zum boden¬
sie wurde das Café Griensteidl zum
ständigen Wiener Künstler= und Volkstum gehörig,
sämtliche Bände von Mayers Konver¬
deren traditions= und ehrfurchtsloses Wesen sich nament¬
sehr wichtig — an leicht zugängliche
lich in der Journalistik und in der Tagesliteratur höchst
gebracht sind. Hier versammelt sich
ungünstig auswirkte
junger Männer, die nicht schreiben kön¬
Diese „Griensteidler" haben nicht zuletzt das wahre
gerade nur auf den Beruf kapriziere
geistige Bild unserer Stadt verdunkelt, es verfälscht und
die notwendigen Anregungen und N.
mißprägt und durch ihren zersetzenden Einfluß im öffent¬
hier finden sie seltsame Farben
lichen Leben ein bis in unsere Tage fortwirkendes, nur
Gefrorenem, Melange und Absinth, u
schwer gutzumachendes Unheil angerichtet. Im Café
nach inneren Erlebnissen zu befriedig
Griensteidl tagte auch die Literatengesellschaft „Iduna“
Dem Gedächtnis einer jüngeren
die damals vor 40 Jahren viel von sich reden machte
alte Café Griensteidl und seine Be¬
heute verschollen ist. Das aufgeregt weltumstürzlerische
schwunden. Das „literarische Kaffeeh
Gehaben einzelner Besucher, die ihre Bedeutung für die
auch im neuen Wien immer noch wei¬
Mitwelt einigermaßen überschätzten, trug dem Lokal im
es ist zu erwarten und zu erhoffen, da
Volksmund den Spitznamen „Café Größenwahn" ein.
seine Bindung an das Kultur, un
Als im Jahre 1896 Pläne zu einer neuen Aus¬
volkstümlicher und positiver sein
gestaltung des Michaelerplatzes auftauchten, schienen dem
gemeiniglich bisher mit seinem Begrif
Café Griensteidl die Totenglocken zu läuten. Es begann
der Umbau des Palais Herberstein, an dessen Stelle ein