Faksimile

Text

Am 4. April feiert Georg Reimerschelhafte Urteil Direktor Maurices Anhänger
seinen 75, Geburtstag fünf Monate gefunden. Denn als ich später in Dresden
vor seinem 50jährigen Burgtheaterjubi¬
läum, das am 10. September festlich be¬
gastierten, äußerte sich Kronegg, der Inten¬
gangen werden wird. Freilich würde es
dant des Herzogs: „Der ist mir zu häßlich
dem ewigen Jüngling des Burgtheaters, und talentos,
der auf der Höhe des Erfolges steht, kein
Von Dresden aus kam ich ans Burg
Mensch glauben, daß diese Daten der Rich¬
heater: Friederike Bognar, die im Auftrage
tigkeit entsprechen. Er selbst betrachtete
das Datum seines Geburtstages zuerst Direktor Wilbrandts auf ihren Gastspiel¬
ungnädig, doch hielt die schlechte Laune fahrten immer noch begabten Menschen Aus¬
nicht an.
Reimers erzählt im folgenden aus
seinem Leben.
Für das Theater bin ich nicht im min¬
Niemand
erblich belastet.
desten
Familie hatte Beziehungen zur
meiner
Bühne, und ich kann nicht einmal sagen, daß
ich irgend einen entscheidenden Jugend¬
eindruck dem Theater verdanke. Da hat mich
der Zirkus schon mehr interessiert; in der
Nähe der elterlichen Wohnung gab es eine
Reitschule, die mir mächtigen Eindruck ge¬
macht hat. Im Alter von zwölf und drei¬
zehn Jahren bin ich dort sehr viel geritten
und mein Ideal wäre es gewesen, hohe
Schule zu reiten und zum Zirkus zu gehen.
Im Hause meines Freundes, bei dem ich
eigentlich meine Jugend verbrachte, wurde
sehr viel Liebhaber=Theater gespielt, meist
wurden keine Einakter aufgeführt, und
ich habe immer zugesehen, gelegentlich auch
in winzigen Rollen mitgemacht, ohne aber
irgend welche Sehnsucht nach der Bühne zu
schau hielt, empfahl mich ans Burgtheater
empfinden. Dann ging einer meiner Schul¬
das war im Juni 1884; das Probespiel
kollegen zum Theater und meinte, daß es sehr
fiel zur Zufriedenheit aus; aber da ich noch
schön sei und ich solle es doch auch einmal
gebunden war, konnte ich erst im Herbst 1885
probieren. Na, und so habe ich es halt ver¬
nach Wien kommen.
sucht und bin in St. Pauli — einer Vorstadt
Das erste Burgtheater=Jahr brachte mir,
meiner Geburtsstadt Hamburg — in einen
wie das meist so ist, kleine Rollen. Meinen
kleinen Theater aufgetreten. Wo ich gelern
Damals ging man einfach zum Aufstieg verdanke ich eigentlich einem Zufall.
habe?
1886 sollte nämlich Wildbrandts „Gracchus
Theater; ich glaube nicht, daß es in Ham¬
neu inszeniert werden. Lewinsky, der den
burg überhaupt eine Theaterschule gegeben
Publius Laetorius bei der Premiere gespielt
hatte, war für die Rolle zu alt; Emmerich
Es hat mir dann beim Theater wirklich
recht gut gefallen und ich habe in der Folge Robert, der dafür in Aussicht genommen
war, weigerte sich, sie zu übernehmen, denn er
an verschiedenen Schmieren und kleinerer
hatte Lust, den Titelhelden zu spielen, der aber
Theatern ein richtiges Wanderleben geführt
auf Wunsch des Direktors mit Krastel besetzt
und mich im Fach des komischen Lieb¬
war. Na, und so kam eben ich zu einer
habers betätigt. Ob ich mich je nach
schönen Rolle. Der Publius Laetorius wurde
großen klassischen Rollen gesehnt habe —?
mein erster ganz großer Erfolg und von da
Offen gestanden, nein; ich glaube, diesen
an ging es — unberufen — immer aufwärts.
Ehrgeiz und die Sehnsucht nach einem be¬
1910 wurde ich Regisseur — aber ich habe
stimmten Ideal kannte man damals nicht so
nie Lust gehabt, Regie zu führen, denn wenn
sehr. Ich war zufrieden mit dem, was ich
man selber große Rollen spielt, ist es un¬
gerade zu spielen kriegte. Irgendwo sah mich möglich, sich um alles andere zu kümmern.
einmal die berühmte Schauspielerin Rossi
Es ist vielleicht nicht uninteressant, daß
die mich an Direktor Maurice, den man
ich Artur Schnitzlers letzter Patient war.
den „Lieferanten des Burgtheater" nannte Wir hatte die Generalprobe zu Lud¬
(von ihm aus kamen das Ehepaar Hartmann,
wig Fuldas Märchenspiel „Herr und Diener“.
Charlotte Wolter, Babette Reinhold und an¬
Ich spielte einen König und mußte einen
dere ans Burgtheater), empfohlen hat. Mau¬
Kronreif zertreten; da schlägt das Ding auf
rice war aber von mir nicht sonderlich ent¬
einmal hoch und gerade mir in die Ferse.
zückt und äußerte sich Frau Rossi gegenüber
Der im Zuschauerrauen sitzende Artur
„Das ist ja ein ganz talentloses Menschen¬
Schitzler leistete mir damals erste Hilfe
kind; laß mich in Frieden — von diesem war seine letzte ärztliche Betätigung.
häßlichen langen talentlosen Kerl will ich
Im übrigen empfinde ich es als großes
nichts wissen!
Gluck, daß ich mit 75 Jahren noch in der
Als Heldenspieler wurde ich durch Zufall
Lage bin, zu spielen. Das Alter drückt mich,
entdeckt. Nachdem ich im Hamburger Karl weiß Gott, nicht. An meinem Geburtstag
Schulze-Theater in plattdeutscher Sprache möchte ich meine Familie einladen, meine
aufgetreten war, kam ich an das Stadttheater
Jungens natürlich, auf dem Tisch soll eine gute
in Flenzburg in Schleswig=Holstein, wo ich,
Pulle Wein stehen und ich werde sagen: „Na,
wie in den früheren Engagements, komische
prost Kinder, hoffentlich geht's noch ein paar
Liebhaber spielte. Da wurde „Prinz Fried¬
Jahre
rich" von Heinrich Laube vorbereitet;
Tage vor der Premiere erkrankte der jugend¬
liche Held und ich mußte in letzter Stunde die
Rolle übernehmen. Das war einer der ent¬
cheidenden Abende meines Lebens — denn
zum Erstaunen des Direktors (und zu meiner
eigenen Verwunderung) kamen wir darauf
daß es sehr gut ging und daß auch meine
Vor¬
Stimme die Kraft hat, durchzuhalten.
der haben wir das wirklich nicht gewußt.
Na, und mit der Entdeckung
meines
Organs" war ich sozusagen gemacht
denn
ugendliche Helden waren immer sehr gesucht.
Trotzdem hat auch das nicht gerade schmei¬