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13. Miscellaneous
Kante balancierte, ein Brot und ein Krügel
Bier kosteten hier 26 Kreuzer, waren also er¬
schwinglich, und zu den leiblichen Genüssen
einer bescheidenen Jugend kam noch der Aus¬
blick auf den Stammtisch des großen Geistes¬
Mich zog das Gesicht Ludwig Speidels beson¬
ders an. Es war das Gesicht eines Gelehrten
mit einer schönen, breiten Stirn, mit dem
künstlerisch geschnittenen Vollbart, der die
weich geformten Lippen durchscheinen lie߬
Wenn Speidel Musik hörte, die er liebte, vor
allem Schubertsche Musik, überzog ein glück¬
liches Lächeln das gedankenvolle Gesicht. Er
lehnte sich dann auf seinem Sessel wohlig
zurück, und die feingeformten Hände umfaßten
den Silbergriff seines Stocks.
Von der geistigen Macht, die Ludwig Spei¬
del als Burgtheaterkritiker in Wien ausgeübt
hat, kann man heute schwer einen Begriff
geben. Obzwar Wien als große Theaterstadt
eine ganze Reihe bedeutender Burgtheater¬
kritiker gehabt hat und sowohl Friedrich Uhl,
wie Ludwig Hevesi, Schreiber ersten Ranges
waren, hat doch das plastische Wort Ludwig
Speidels ein besonderes Gewicht gehabt.
Speidel überlegte gründlich und formulierte
n
lang. Seine Burgtheaterkritiken erschienen
vier, fünf Tage nach der ersten Aufführung
eines Stücks und waren in einem klassischen
Deutsch abgefaßt, das seine Herkunft vom
Ausschnitt aus:
Goetheschen Deutsch in jedem Wort und jedem
Bild verraten hat. Man spürte aus jedem
Feuilleton Speidels, daß der Schreiber mehr
war, als das Geschriebene. Speidel war in
der Tat ein universeller künstlerischer Mensch,
Bera¬
vom
Er schrieb über Bilder, wie ein Maler, er
Sonntag, 14. Juli 1933
war Musiker, und als solcher einer der ersten
die in Wien wußten, was Bruckner sei, er war
ein Novellist, der sich Paul Heyse an die Seite
hätte stellen können. Um die Weihnachtszeit
herum schrieb Ludwig Speidel immer ein
Weihnachtsfeuilleton, das noch heute von
Tannenduft umgeben ist und in dem die
Wachskerzen knistern. Ganz Wien las diese
Vergangenes Wien
Kunstwerke mit wahrer Andacht, und war
gerührt, wenn Speidel mit männlicher Rüh¬
Von Max Graf
rung das Los alternder Mädchen geschildert
a
naamaan
Zum Begriff des alten Burgtheaters ge¬
hörten solche kritische Köpfe. Der Kritiker und
XIV.
an diesem Ehrentisch Servietten lagen, „um das Theater waren miteinander verwachsen,
die höhere Sitte des Tischdeckens wenigstens
lebten miteinander, das beste, was der Kri¬
„In einer engen, kühlen Gasse, die den
sinnbildlich auszudrücken. An diesem beson¬
tiker dachte, gehörte dem Theater. Und wie
Verkehr zwischen den Tuchlauben und dem
ders ausgezeichneten Tisch des „Winterbier uneigennützig war diese Liebe! Als man
Wildpretmarkt vermittelt, steht ein Gasthaus
hauses" saß allabendlich eine Gesellschaft
Speidel die Direktion des Burgtheaters an¬
durch dessen gastliche Pforte schon mancher
fester Trinker, die sich aus verschiedenen Be=dot, lehnte er ab und schrieb ein Feuilleton,
brave Mann seinen Durst getragen hat.
zirken der geistigen Welt hier zusammen¬
in dem er sagte, er wolle zwar nicht Direktor
mit diesen Worten hat ein Feuilleton Lud¬
werden, aber dem Burgtheater raten, wann
wig Speidels begonnen, das am 7. Mai gefunden hatten, Architekt und Burgschau¬
spieler, Professor der Ästhetik und Staats¬
man seines Rats bedürfe, „Für das Burg¬
1893 in der Neuen Freien Presse" er¬
anwalt, und unter huen Ludwig Speidel,
theater bin ich immer zu Hause, lautete der
schienen ist und in Wien ungeheure Sen¬
der berühmteste Burgtheaterkritker Wiens
stolze Schlußsatz des Feuilletons,
sation gemacht hat. War doch Wien eine so
und der mächtigste Schreiber, der sich aus
An Schriftstellern, wie es Ludwig Speidel
noble Stadt, daß ein Feuilleton in dem
der Literatur in die Zeitungsschreiberei ver¬
war, hat Wien eine wunderbar formende
Blatte der gebildeten Leser Wiens, welche
irrt hatte.
Macht bewährt. Speidel war Schwabe und
sich mit einem gewöhnlichen Beisel beschäftig¬
kam die alte Donaustraße von Ulm herunter¬
Wir jungen Literaturkücken hockten an
hat, auffallend erschienen ist und fast anstößi¬
gewandert, wie Hugo Wittmann, der als
einem Tisch desselben Raumes und schauten
erschienen wäre, wenn nicht Ludwig Speide
Feuilletonist weniger stark war, als Speidel,
neugierig auf die berühmte Gesellschaft, die
dieses Beisel in goetheisierenden Deutsch
der breit und schwer, während Wittmann be¬
beschrieben hätte, das die Ordinärheit des nicht nur im Diskutieren unermüdlich war
weglich und anmutig war. Wien hat den ge¬
sondern auch im Trinken. Unaufhörlich
geschilderten Lokals gemildet hat. Das vor
wichtigen Schwaben festgehalten und den
wurden die Gläser mit dem braunen Bier
dem stärksten Schreiber Wiens geschilderte
Zauber Wiener Landschaft hat keiner schöner
Beisel war das Bierhaus „Zum Winter", in und leuchtenden weißen Schaumkappen an
dem Tische Speidels aufgetragen und mit geschildert, als Speidel in manchem seiner
dem von vormittags an die Schwechater
novellistischen Feuilletons. Die Linien der
Kennermiene prüfend geleert. Der Wirt des
Bierquelle immer gleich frisch gelaufen ist
Wiener Berge, der Rhythmus der Wiener
Winterbierhauses mit dem schwarzsamtenen
und das sich in Wien des Rufes einer Stätte
Musik haben auf Speidels Stil formend ein¬
Käppchen am Kopf überwachte selbst die Lie¬
schmackhaften Bieres erfreut hat.
gewirkt. Der schwere Schwabe wurde schuber¬
ferung des Bieres, das sich an diesem Tisch
Ludwig Speidel hat das niedrige Beisel
tisch behaglich, der goethesierende Deutsche hat
in so vielen Geist umwandeln sollte. Wenn
sehr anschaulich in seinem Feuilleton geschil
oft Züge Adalbert Stifters angenommen,
die Zeit vorrückte, wurde das Gespräch am
dert, die Schwemme, hinter deren Schanktisch
wenn er etwa in einem Meisterfeuilleton die
Stammtisch der Großen immer lebhafter, die
„zwei Hausknechte" in Hemdärmeln und mit
Stimmung Wiens am frühen Sonntagsmor¬
Wangen wurden röter, die berühmten
weißen Schürze ihres schweren Amtes mit
gen schildert. Ganz besonders schön hat Spei¬
unermüdlicher Kraft walten", das Herren=Männer erhoben sich immer schwerfälliger
del Wiener Frauen gemalt, er ist in solchen
wenn sie eine Zeitlang verschwinden wollten
stübel, dessen Gewölbe sich auf den beiden in
Feuilletons an Feinheit der Empfindung und
und stampften wohl auch nicht ganz sicher
die Mitte gestellten Säulen behaglich aus¬
taktvoller Huldigung unerreichbar.
ruht“ und das kleine neue Zimmer, in dessen aus dem Zimmer.
An Macht der Persönlichkeit ist Ludwig
einer Ecke der Stammtisch war, der sich von
Wir pflegten im Winterbierhaus zu nacht¬
Speidel meiner Meinung nach der erste
den anderen Tischen des Beisels schon äußer= mahlen. Das Rindsgulasch, dessen drei Fleisch¬
Wiener Publizist gewesen, ein starker künst¬
lich dadurch unterschieden hat, daß die stücke in der braunen Zwiebelsauce schwam¬
lerischer Mensch, der ganz wuchtig, aber auch
anderen Tische nicht gedeckt waren, wahrend men, der „Stehkäs", der kunstvoll auf der
ganz zart sein konnte. Wir jungen Leute, die
alten Ruhm nicht immer gelten ließen, lieb¬