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2. Die drei Elixiere
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lleton.
Neues vom Büchermarkte.
Und nun zu einem heinischen Ducht, einer Antho¬
logie, die Dr. August Renner unter dem Titel „Das
kyrische Wien“ (Wien, Berlin, Leipzig, Georg Sze¬
linski, 1899) zusammengestellt hat. Es war eine keineswegs
üble Idee, durch eine Auswahl lyrischer Dichtungen in
Wien lebender Autoren ein Bild der daselbst zur Zeit
blühenden Lyrit zu geben. Ob diese Auswahl auch eine
durchaus glückliche ist, das zu beurtheilen, geht nicht gut
an. wenn man nicht alle Beete lennt, aus denen der Heraus¬
geber die Blüthen zu seinem Strauße gepflückt hat. Ueber¬
haupt ist so eine Auslese immer etwas ganz Subjectives,
ist Geschmackssache und wird als solche immer Leser finden
die das eine oder das undere Gedicht vermissen oder bean
standen. In der vorliegenden Sammlung scheint aber auch
ein Dichter zu fehlen, der für das moderne Wien überaus
charakteristisch und wohl der echteste, vielleicht der einzige
Lyriker von „Jung=Wien“ ist: Arthur Schnitzler. Oder
sollte der Dichter der „Drei Elixire“ nicht auch eigentlicht
lyrische Gedichte geschaffen haben? Aber wenn=dies auch
wirklich nicht der Fall wäre, er bliebe dennoch ein Lyriker
ein Lyriker ohne Verse! Und noch ein Dichter fehlt, was
umso mehr befremdet, als gerade er seine Lyra dem Dienste
Wiens gewidmet und somit berechtigten Anspruch hat, dor
genannt zu werden, wo es wienerischer Dichtung gilt, ein
Dichter, den man umso mehr vermißt, als er mit seinem
Frohsinn ein wenig Sonnenschein in das trübe Grau dieser
Sammlung gebracht hätte: Graf Wickenburg nämlich. Und
wahrlich! Sonnenschein, Licht und Heiterkeit thäten diesem
Buche noth. Schmerzensklagen, Wehmuthsseufzer, düstere
Reflexionen, das selbstgefällige Genäsel affectirter Blasirt
heit und leeres Phrasengeklingel: das ist der Inhalt! Unter
dem lyrischen Wien stellt man sich doch wohl etwas Anderes
vor. Man denkt dabei unwillkürlich an Gesang, Tanz, an
schöne Mädchen und lustigen Gläserklang, denn Wien
ja als die Stadt des Frohsinns und der Lebenslust und sie
ist es trotz allem und allem nicht nur in der Tradition
sondern auch in Wahrheit, wenn auch nicht mehr so wie
einst. Wohl ists bei weitem nicht mehr immer Sonntag,
und der Spieß dreht sich leider durchaus nicht an jedem
Herde mehr, aber ih. Phäakenthum haben sich die Wiener
im Wechsel der Zeiten dennoch bewahrt, und noch immer
glänzt der alie Frohsinn in ihren Augen, wenn es irgend
eine Lustbarkeit, eine „Hetz“ gilt. Und darum befremdet es
und sieht unnatürlich aus, daß in den vorliegenden
Dichtungen keine Spur diese dionysischen Frohsinns zu
finden ist, daß man vergebens auf einen Klang jener echt
wienerischen Poesie horcht, die sich bald jauchzend, bald die
Thräne im schönen Auge auf den melodischen Fluthen
Strauß'scher Walzer wiegt und mit ihrem Zauber alle
Herzen bethört, alle Seelen berauscht. Was in dem Büchlein
box I/1
da steht, das mag ja das lyrische Wien repräsentiren
wienerische Lyrik aber ist es nicht!
Es ertheilt folgenden elf Dichter das Wort:
Ferdinaub v. Saor, J. J. David, Franz Herold,
Hermann Hango, Joseph Kitir, Felix Dörmann,
Freiherrn Carl v. Levetzow, Arnold Hagenauer,
Paui Wilhelm, C. M. Klob, Hugo v. Hofmanns¬
hal.
Mit Fug und Recht ist v. Saar an die Spitz¬
gestellt gestellt worden; ihm gebührt der Ehrenplatz nicht
nur, weil er der älteste und bekannteste, sondern auch, weil
er der bedeutendste von allen unter ihnen ist. Leider hat ei
der Herausgeber versäumt, eine der herrlichen „Wieter
Elegien“ in die Sammlung aufzunehmen, das wär' etwas
echt Wienerisches gewesen. im edelsten Sinne des Wortes,
und zugleich das beste, was Saar je geschaffen hat. Aber
auch einige der hier gebrachten Gedichte, so zum Beispiel
„Trahtklänge“ und das sociale Momentbild „Contraste
zeigen, daß sie im Strahle jener Sonne erblüht sind, die
einem Anastasins Grün, einem Lenau geleuchtet hat. Nur
ein matter Widerschein dieses Lichtes dringt aus der
Gedichten, die J. J. David's Muse vertreten, am meisten
aus dem künstlerisch=schlichten „Am Wege". Unter den
andern hier vorgeführten Dichtern muthet Kitir durch eine
gewisse Naivetät, die man bei „Jung=Wien“ selten trifft
freun#l an. Bei den zwar etwas dunkeln, aber eben
darum vermuthlich herrlichen Versen des Freiherrn von
Levetzow freut man sich, daß sie wie Jerse gedruckt sind,
man würde sie sonst nicht für solche halten, wie zum Bei¬
spiel folgende Strophe beweisen mag:
„Viele leiden;
lber Wenige haben die Wunderkraft,
Das Wunder des großen Umsatze
Um drüber Propheten zu werden.“
Wohlgemerkt: Das sind Verse! Und sie enthalten
gewiß eine tiefe Weisheit, denn der Dichter hat sich be¬
müssigt gefühlt, die dritte Zeile durch gesperrte Lettern
hervorzuheben. Was er mit dem „Wunder des großen Um¬
satzes“ meint, das frage man ihn selber; ich weiß nicht
was soll es bedeuten ... Verse ohne Poesie pflegt ma
gereimte Prosa zu nennen; bei diesen Bersen trif
das aber nicht zu: die sind un gereimte Prosa.
Sehr glücklich ist die Auswayl der Gedichte Dör
mann's und Hofmannsthal's. Dörmann führt sich gleich ir
ersten Gedichte als der perverse Decadent ein, als der e#
posiren liebt:
„Ich liebe, was Niemand erlesen.
Was Keinem zu lieben gelang:
Mein eigenes, urtunerstes Wesen
Und Alles, was seltsam und krank.“
Hofmannsthal dagegen läßt sein symbolistisch
mystisch=parnassisch=decadentes Genie im Brillantfeue
klingender Verse und prunkender Worte erglänzen. Seit
Genie? Nun ja, er ist doch eines; wenigstens versichern ei
seine literarischen Freunde in allen Tonarten der Reclame
posaune, und die müssen's doch wissen! Den harten Köpfen
der übrigen „nur“ normal denkenden Leute wird das aller
diags vielleicht aicht einleuchten; diese Erkenntniß bleibt
von jenen wenigen Auserwählten abgesehen, den kommen¬
Bei seinen Bersen
* *
der De generationen aufgespart
denkt man zuweilen an die schönen Berse:
Des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu genießen,
Ist Tugend und Begriff!
als „geflügelte
Deren rühmlich bekannte Stellung
v. Hofmanns¬
Worte“ scheint durch die Verse des Herrn
thal ernstlich bedroht, und in Zukunft wird man an ihre
citiren:
tatt vielleicht
Den Erben lass' verschwenden
An Adler, Lamm und Prau
Das Salböl aus den Händen
Der todten, alten Frau . . . u. s. w.
Commeniarsüchtigen Literatur=Aesthetikern seien dies
Verse — und auch die anderen Gedichte des Autors
dringend ans Herz gelegt; dürstet doch jedes Wort nach eine
eitenlangen Fußnote. Vielleicht würde sich's auch empfehlen
einen Preis für Den auszuschreiben, dem es gelingt, zu er
gründen, was der Dichter damit denn eigentlich hat sagen
wollen; er selber wäre von der Concurrenz keineswegs aus
auszuschließen ... Theodor v. Sosnowsky.