I, Erzählende Schriften 45, Abenteurernovelle, Seite 3

45. Abenteurernovelle
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Ausschnitt aus:
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vom:
7. FEB. 833
(Schnitzlers „Abenteurernovelle“.) In
der Neuen Galerie las Heinrich Schnitzler die „Aben¬
teurernovelle“, aus dem Nachlaß seines Vaters. Das Werk
offenbar aus des Dichters „Dämmerseelen“=Zeit her¬
rührend — ist in zwei Kapiteln ausgearbeitet, der letzte Teil
blieb Entwurf. Aber es bekundet auch als Torso Schnitzlers
untergründigstes Erlebnis: Liebe und Tod, Gedankliches und
Irdisches sind darin zu okkulter Einheit verwoben und von
seltsamen Rätseln märchenhaft umrankt. Die Fabel spiegelt
sich in Bildern, die keine Deutung dulden, in Gleichnissen
ohne Lösung, über die die Schleier milder Trauer gebreitet
sind. Das Fragment spielt im Italien der Renaissance. In
Bergamo herrscht die Pest. Der Held Anselmo, kaum noch
zum Jüngling erwachsen, verliert plötzlich Vater und Mutter,
sein ganzes Dasein, kaum noch in sein Bewußtsein gedrungen,
versinkt ins Unbekannte, Schattenhafte. Dieser Augenblick der
ersten zaghaften Erkenntnis seiner Lage ist sein „frucht¬
barer“ Moment im Leben Am Unglück entzündet sich seine
Kraft, wandelt er sich vom Knaben zum Manne. Und nun
tritt er, wie zum zweitenmal geboren, ins Leben, das den
reinen Tor in einen Kreis sonderbarer Abenteuer einspinnt,
die er wie ein im Traum Wandelnder besteht. An einem
Höhepunkt der Handlung, da sich dem Leben des Helden die
Erfüllung vorbereitet, bricht die Novelle ab. Ein bloßer
Entwurf versucht, die Fäden der Fabel weiterzuspinnen. Aus
welchem Grund der Dichter sein Werk unvollendek ließ, bleibt
eine offene Frage. Er hat jedenfalls das gleiche Thema auch
in andern seiner Werke abgewandelt und zu endgültiger
Form gestaltet. Heinrich Schnitzler gab dem Werk seines
Vatèrs kraftvollen und gleichwohl andächtig ergriffenen
Ausdruck.
Ausschnitt aus:
IENEK ZTTETTI
F
vom:
Artur Schnitzlers „Abenteurernovelle“.)
Das Fragment einer Novelle aus Artur Schnitzlers
Nachlaß, das bei einer Veranstaltung in der Neuen
Galerie Heinrich Schnitzler mit schöner
warmer Intensität vorlas, umfaßt zwei ausge¬
führte Kapitel einer Novelle, die, wenn man der
Skizze des weiteren Fortganges glauben kann,
deren ungefähr fünf oder sechs hätte zählen sollen.
Das Fragment, das sicher nicht aus des Dichters
späteren Lebensjahren stammt, weist gegenständlich
und dem Milieu nach in die Nähe des Beatrice
Dramas und ist in seiner Thematik den Novellen
des Bandes „Dämmerseelen“ verwandt. Ja es
wäre gut vorstellbar, daß die „Abenteurernovelle“
ursprünglich als ein Teil dieses Zyklus gedacht ge¬
wesen ist, der nicht zur Vollendung kam, während
ihr Hauptmotiv dann in die Novelle „Weissagung“
übergegangen ist. Mit jener feinen, bis in die zwie¬
spältigsten und verästeltesten Stimmungen hinein
erhellenden Klarheit schildert das erste Kapitel den
Schicksalstag eines Jünglings, der, in dem pest¬
verseuchten Pergamo am gleichen Tag beider
Eltern beraubt, dadurch verwaist, aber gleichzeitig
auch aller Bindungen ledig wird. Von dieser für
Schnitzler typischen Ausgangssituation beginnt sein
Weg in das Leben und Schicksal, der gewissermaßen
als ein Aufblühen des Individuums, eine Negation
der Hemmungen, ein Flug in die Buntheit der
unendlichen Möglichkeiten gedacht war. Schon das
erste Kapitel enthält ein erotisches Erlebnis von
starken Farben und hohem Wärmegrad, das aber
gleichwohl nur die Pforten zu dem künftigen
Abenteurerschicksal öffnet. Im folgenden Kapitel
dann setzt zunächst nur leise, scheinbar als Begleit¬
erscheinung eingeführt, das eigentliche Thema an,
das erst in den Schlußsätzen des Kapitels zu seinem
vollen Gewichte gelangt. Es ist das Thema der ge¬
nannten „Dämmerseelen“=Novelle, die Weissagung
der Todesstunde, unter deren Dominanz sich die
weiteren Ereignisse der Novelle vollziehen sollten.
Sie werden indes nur von den Grundlinien des
erhaltenen Planes angegeben, die aber doch deut¬
lich genug die Fülle und Farbigkeit eines nicht
zu Ende gediehenen Werkes verraten, worin sich
die aus vielen vollendeten Werken Schnitzlers be¬
kannten Elemente mit einer ganz besonderen,
wieder für den Autor charakteristischen Pointe ver¬
binden sollten; die Prophezeiung nämlich war falsch,
war willkürliche Erfindung des Vorhersagenden,
geht aber trotzdem in Erfüllung. Wie jedes, einem
echten Dichter aus dem Herzen entsprossene Werk,
so erweist sich auch diese Novelle, deren Inhalt ja
zum großen Teil nur andeutungsweise zu erfassen
ist, als ein Kreuzungs= und Kristallisationspunkt
seiner künstlerischen Lebenselemente. Es ist das
Puppenspielertum, es ist das große Gebiet erotischer
Möglichkeiten und Verknüpfungen, es ist das
Motiv der dämmernden Seele, des überschattenden
Todes und am stärksten und deutlichsten der Ruf
des Lebens darin. Es ist echter, typischer Schnitzler,
eine Dichtung von starkem Gehalt, die aber trotzdem
dem Meister der Form vielleicht aus einem Be¬
denken gegen nicht ganz vollendete kompositionelle
Balance heraus als der Ausarbeitung nicht würdig
erschien. Was vor diesem strengen Richter nicht be¬
stehen konnte, durfte man in der schönen Vorlesung
doch dankbar als edle Gabe empfangen.
R.