I, Erzählende Schriften 43, Der Sekundant, Seite 12

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43. Der Sekundant
im Dunkel. Ich aber — na, will niemand ein Horoskop für ganze
fünfzig Pfennig erwerben? Jeder Tag zeigt Ihnen darin, was
Sie zu tun oder zu unterlassen haben. Dieses Heft wird Ihnen
der beste Freund werden. Wo gibt es noch selbstlose Freunde,
meine Herrschaften?“
Ein Zuhörer zieht aus seinem ärmlichen Portemonnaie fünfzig
Pfennig heraus und legt sie langsam auf den schwarzen Tisch.
„Wann sind Sie geboren?“ Und der Schicksalszauberer sucht
das Horoskop aus der Fülle der Hefte heraus.
Das Beispiel des einen hat die Hemmungen der anderen gelöst.
Zehn — fünfzehn Horoskope werden verkauft. Zehn — fünfzehn
Ahnung, Wissen sogar, auch Empörung, Verstehen, Ver¬
zeihen, ja, vielleicht etwas wie Dank.
Nun stand auch Mülling in der Türe zwischen Salon und
Terrasse, zwischen Schatten und Licht. Sein Auge streifte
mich wie fragend. Meine Anwesenheit erklärte sich für ihn
gewiß ohne weiteres so, daß ich es nicht über mich gebracht,
die unglückliche Frau, nachdem ich ihr die traurige Kunde
gebracht, allein zu lassen. Er trat auf sie zu und drückte ihr
wortlos die Hand. Wieder suchte sie, vorbei an Mülling,
meinen Blick. Niemand sprach, nicht sie, Aline nicht und
nicht Mülling, ich aber, so schien mir, schwieg noch tiefer in
mich hinein als die andern. Die sommerliche Stille des
Gartens klang herein. Endlich sagte Agathe — und mir stand
das Herz still, als sie die Lippen öffnete —: „Nun will ich“
sagte sie, „die ganze Wahrheit hören“ — und da sie in den
Mienen der Andern Befremden, in den meinen vielleicht
einen Ausdruck des Erschreckens gewahrte, fügte sie, zu mir
gewandt, in bewunderungswürdiger Ruhe hinzu: „Sie woll¬
ten mir gewiß nichts verschweigen, aber Sie haben unwillkür¬
lich vielleicht versucht, mich zu schonen. Ich danke Ihnen.
Aber glauben Sie mir, ich bin nun gefaßt genug, um alles zu
hören. Berichten Sie, Doktor Mülling, von Anfang bis Ende.
Ich will keine Frage stellen, ich werde Sie nicht unterbrechen“
und mit erlöschender Stimme fügte sie hinzu: „Erzählen Sie!
Sie lehnte am Klavier, und ihre Finger spielten mit den
Fransen des Schals, und mit keinem Zucken ihrer Lippen ver¬
riet sie sich oder mich, während Mülling erzählte. Aline hatte
sich auf den Stuhl am Klavier sinken lassen und stützte den
Kopf in die Hände. In all seiner inneren Bewegung kam
Mülling die berufsmäßige Gewohnheit zustatten, wohlgesetzt
vor der Oeffentlichkeit zu reden. Er berichtete den Verlau
der Angelegenheit, von dem Moment an, da wir beide, Doktor
Mülling und ich, Eduard am Bahnhof der kleinen Stadt er¬
wartet hatten, bis zu dem Augenblick, da Eduard am Waldes¬
rand tot hingesunken war, und es war mir offenbar, daß
er seinen Bericht schon ein oder mehrere Male zum besten
gegeben, seit wir uns am Tor seines Gasthofs voneinander
getrennt hatten. Er sprach im übrigen, als hielte er ein
Plädoyer für jemanden, der ein längst abgetanes, ver¬
gessenes, schon an sich nicht bedeutungsvolles Vergehen allzu
schwer gesühnt hatte, und dessen Andenken von jeder Schuld
An und Shntope
wiegenden Walzerrhhchnten, gunz
klang der holde, bekannte Wiener Ton an, bald sentimental, bald
gefühlsstark, doch immer bezwingend durch Herzlichkeit und ge¬
adelt durch die Kunst der Mitwiekenden, der Sängerin Mari.
Gerhardt, des brillanten Pianisten Otto Schulhoff und
des Orchesters Holzer. — Das löbliche Streben nach origineller
Gestaltung der Konzertprogramme, das im Funk gelegentlich zu
beobachten ist, muß durch die entgegengesetzte Tendenz ergänzt
werden. Es ist kein Nachgeben an den Publikumsgeschmack
sondern eine grundsätzlich richtige Entscheidung, wenn man sich
eine Sängerin wie Lula Mysz=Gmeiner holt, um banal
Gewordenes zu erneuern. Und wie versteht sie es! Wie bezwingt
freizusprechen sei. Agathen aber gelang es tatsächlich, ihn
nicht mit einer Silbe zu unterbrechen. Und erst als Mülling
geendet, wandte sie sich mit der Frage an ihn, ob schon
irgendwelche Verfügungen an Ort und Stelle getroffen wor¬
den seien. Und als Mülling erwiderte, daß der Leichnam
spätestens morgen früh von der Behörde freigegeben werden
dürfte, sagte sie: „Ich werde noch heute abend zu ihm fahren.“
Mülling riet ihr al der heutige Abendzug käme in der
kleinen Garnisonstadt erst nach Mitternacht an, sie aber sagte
nur: „Ich will ihn noch heute nacht sehen“, und es war uns
allen klar, daß sie sich noch heute nacht Eingang in die Toten¬
kammer verschaffen wollte. Nun trug sich Mülling an, sie zu
begleiten, es seien allerlei Dinge zu besorgen und anzu¬
ordnen, die unmöglich Agathe allein durchführen könne. Sie
wehrte mit einer Entschiedenheit ab, die jede Widerrede aus¬
schloß. „All das gehört mir zu“, sagte sie. „Erst wenn alles
vorüber ist, Herr Doktor Mülling, sprechen wir uns wieder.“
Ich war von Bewunderung und von Grauen zugleich erfüllt.
Sie richtete kein Wort an mich. Sie wimschte nun allein zu
sein, nur Aline sollte später wiederkommen, um ihr bei den
Reisevorbereitungen behilflich zu sein und Weisungen für die
Dauer ihrer Abwesenheit entgegenzunehmen.
Sie drückte uns allen die Hand. Mir nicht anders als Aline
und Mülling. Sie wich nicht einmal meinem Blick aus, als
wir schieden.
Sie reiste tatsächlich noch am gleichen Abend ab — allein
und brachte den Leichnam ihres Gatten am nächsten Morgen
nach Wien. Am Tage darauf fand das Begräbnis statt, an
dem natürlich auch ich teilnahm. Agathe war ### diesem Tag
für niemanden zu sehen. An den See kehrte sie niemals wie¬
der zurück.
Viele Jahre später begegneten wir einander wieder in
Gesellschaft. Sie hatte indes wieder geheiratet. Niemand,
der uns miteinander sprechen sah, hätte ahnen können,
daß ein seltsames, tiefes, gemeinsames Erlebnis uns verband.
Verband es uns wirklich? Ich selbst aber hätte jene sommer¬
stille, unheimliche, und doch so glückliche Stunde für einen
Traum halten können, den ich allein geträumt hatte; so klar,
so erinnerungslos, so unschuldsvoll tauchte ihr Blick in den
meinen.
Ende
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