I, Erzählende Schriften 42, Der letzte Brief eines Literaten, Seite 2

42. Der letzte Brie
eines Literaten
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OBSERVERG
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WIEN, I., WOLLZELLE 11
Ausschnitt aus:
EIPEIEAE
JAN. 1932
am:
Maria und ihrer Mutter an einem Tisch im
Feuilieton
Logengang saß und mit ihnen wie mit ober¬
flächlichen alten Bekannten, die sie ja übri¬
gens waren, vön allerlei gleichgültigen Ditt¬
Der Literat
gen plauderte. Dies aber waren vorher meine
Von Arthur Sehnitzler
Gedanken gewesen:
Maria hat einen Herzfehler (die Kühnneit
Der Erinnerung an Artkur Schflitsler ist
meiner Diagnose bitte ich dich zweifach ent¬
das Januarheft der „Neuen Ründ¬
schuldigt zu halten; einmal damit, daß ich
schau“ Berlin, S. Fischer Verlag) ge¬
kein Arzt bin, und zweitens damit, daß die
widmet. Es bringt u. a. Schnitzlers Novelle
Diagnose richtig war). Sie weiß von ihrer
„Der letzte Brief eines Literaten“, die i. J.
Krankheit und von der Gefahr, die jedé ra¬
1817 geschrieben und vollständig abge¬
sche Bewegung für sie zur Folge haben kann
schlossen im Nuchlaß des Dichters gefun¬
und hat mir trotzdem den erbetenen Tanz
den worden ist. Wie aus dem nuchstehend
nicht verweigert, ja sie hat sich in diesem
wiedergegebenen Abschnitt dieser Mono¬
Tanz so völlig hingegeben, wie es nur ein We¬
lognovelte ersichtlich wird, handelt es sich
sen tun kann, das plötzlich von einer unwi
um eine von Sohnitzlers tiefem Wissen um
derstehlich heftigen Leidenschaft erfaßt wür¬
des Wesen des Literaten zeugende Chrrole¬
de. Sie wird mir auch ihre Hand nicht verwel¬
terstudic, die geradesu unheimlich wirkt.
gern, selbst wenn die Mutter und die Aerzte
dlas Heiraten widerraten oder gar untersagen
Der Geschwindigkeit, mit der eine Gedan¬
sollten. Wir werden sehr glücklich sein ein
kenreihe von schicksalsvoller Bedeutung im
paar Jahre, vielleicht nur ein Jahr lang oder
Hirn abröllt, vermag auch die gedrängteste
Sprache niemals zu folgen. Wag ich jetzt ver¬
gar nur ein paar Monate, und dann wird sie
von mir scheiden. Ich aber werde zurückblei¬
suchen will, mein Freund, dir mit kurzen
Worten deutlich zu machen, Erleuchtung,
ben, allein, mit einem großen Schmerz, mit
dem ersten wahrhaften Schmerz meines Le¬
Ueberlegung und Entschluß, all dies, was sich
bens, den ich mir in dieser Stunde schon in
in meiner Seele in den paar Augenblicken ab¬
seiner ganzen Furchtbarkbit vorzustellen fä¬
gespielt, während Maria ihren kleinen Fächel
hig bin. Und dann erst, wenn ich diesen
zugeklappt und ihr Kleid zurechtgestrichen,
Schmerz durchfühle, werde ich der geworden
beschäftigte mich Kaum mehr, als ich mit
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sein, zu dem mich Gott geschaffen hat. (Nen¬
ne mich nicht einen Gotteslästerer, nie hin ich
frommer gewesen als in jenem Augenblick.)
Daß ich den Schmerz bisher nicht gekannt
habe, das ist die Schwäche meines Wesens,
das Grundübel meiner Kunst. Darum fehlt al¬
lem, was ich bisher versucht, allem, was mir
bisher bis zu einem gewissen Grad gelungen.
Leidenschaft und Tiefe. Darum ist alles so
kühl, so glätt — so leer, wie meine Feinde sa¬
gen. Aber wer sind unsere Feinde? Die recht
gegen uns haben, wenn auch meist aus un¬
lauteren Gründen. — Und weil ich, bei aller
Leichtigkeit und Begabung, so kühl bleibe,
daher entbehrt auch meine Laune, Cie man
mir wohl zugestehen mag, jener Heiterkeit
des Herzens, die nur aus dem Leid erblüht.
Erst wenn ich mein Schicksal mit dem Marlas
verbunden haben werde, in unserer Liebe, in
hrem Tod, in meinem Schmerz, wird meine
Sendung sich erfüllen können. So und nicht
anders dachte ich, während ich neben ihr saß,
mit ihrem kleinen weißen Fächer spielte und
mit den Blicken an ihren blaßen, leise beben¬
den Lippen hing, wie ich niemals an vollèren
uind glühenderen Lippen mit dem meinen ge¬
hangen war. Ich liebte sie — sie wür das erste
Geschöpf, das ich licbte — und dachte en
hren, nein, ich rechnete mit ihrem Tod und
ließte sie gerade darum noch tausendmal
mehr.