37. Die Braut
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n ene ee enen aen dun. 1
Observer
Wien I, Wollzeile 11
Telephon R—23—0—43
Die Bühne, Wien
7347
PIE BRAUT
Von Artkur Schnitzler
Im S.-Fscher-Verlag, Berlin, ist ein Nachlaßband von Sebriften Artbur
Schnitzler: erschienen, der in Skizzen und Erzäblungen das große Werk des
Dichters ergänzt. Wir bringen nachstebend einen reizvollen Abschnitt dieses Buches.
uf einem Maskenball lernte ich sie kennen, nach Mitternacht.
klar war, vielleicht war es nur der natürliche Gang, und die
kurze Periode der Beruhigung nahm ihr Ende, weil das eben in
4 Ihre klugen und ruhigen Augen hatten mir gefallen, und das
dem Temperament des Mädchens lag. Es kam in einer entsetz¬
dunkelblaue Kleid, das sie trug. Sie war nicht maskiert und
lichen Weise über sie. Zehnmal war sie daran — nicht sich ihrem
machte durchaus kein Hehl aus ihrer wahren Person. Sie gehörte
Verlobten hinzugeben — nein... ihn zu nehmen, selbst zu nch¬
zur Kategorie der aufrichtigen Dirnen und hatte selbst in dem
men, mit sich zu ziehen in das dunkle Zimmer neben dem Salon
Maskentrubel, der alle Frauen so sehr dazu reizt, durchaus kein
Bedürfnis, Komödie zu spielen. Das erfrischte mich, da ich mich
— oder dorthin in die Nische — oder dort. Aber die Umstände
fügten es nicht, sie war nie allein mit ihm. Vielleicht auch verließ sie
von all den trivialen Faschingslügen, die mich umschwirrten, recht
ermüdet und angewidert fühlte.
der Mut, wenn die Gelegenheit kam, und bald begann sie auch
wieder zu merken, wie ihre Glut ins Allgemeine ging, wie er
Sie war ungewöhnlich intelligent, man hörte es ihren Reden
esgentlich nicht mehr der Geliebte war. Ja, sie wollte ihn —
und sah es ihren Bewegungen an, daß sie aus besseren Kreisen
freilich — aber auch den — und jenen — und jenen — und alle.
herkam. Bei ihr lag die Frage besonders nahe, die man so oft
Sie fühlte, daß es unabänderlich vorbei war mit ihrer einen, ach,
an Weiber ihrer Art stellt, um schließlich immer dieselbe abge¬
mit ihrer Liebe überhaupt. Es war wieder Krieg geworden, wüten¬
droschene Geschichte zu hören, wie es denn eigentlich dahin mit
der, durstiger Krieg, der den Mann wollte, einfach den Mann,
ihnen gekommen. Von dieser aber mit den klugen Augen vermutere
nicht ihn, den einen! Etwas war dennoch von ihrer tiefen Neigung
ich etwas anderes zu vernehmen, und darum blieb ich mit ihr
zurückgeblieben: sie war dem Mann, der sie unendlich Hohes
beisammen.
hatte empfinden lassen, der sie aus der Dumpfheit fiebernden
Es ging gegen den Morgen zu, als wir, vom Champagner ein
Verlangens für einige Zeit zur schönen Heiterkeit der Liebe hin¬
wenig angeduselt, einen Wagen nahmen und in den Prater fuhren.
aufgehoben hatte, diesem Mann war sie etwas schuldig geworden.
Es war im März, eine merkwürdig linde Nacht. Momentelang
Wahrheit!.. Es wühlte in ihr, es ließ sie nicht ruhen. Sie mußte
hatte ich das Gefühl, als wenn da ein Wesen an meiner Seite
sich ihm entdecken. Sie wußte, was es für ein Ende nehmen
lehnte, das ich schon lange, lange kannte und sehr lieb hätte.
mußte. Darum wünschte sie ihn von Schmach und Gram frei
Mir war schr wohl neben ahr, und geraume Zeit sprachen wir
zu erhalten. Sie war nicht geschaffen zum braven Weib, aber sie
fast gar nichts. Ich konnte mich nicht entschließen, sie schlechthin
wollte auch nicht das seine werden, den sie vielleicht schon nach
als das Weib zu nehmen, das den Abschluß einer lustigen Nacht
der ersten Nacht hätte betrügen müssen — und der sie dann —
bedeutet, ich wollte sie kennenlernen. Von ihrem Leben wollte
das schwebte ihr wohl auch dunkel vor —, am nächsten Tag
ich wissen, von ihrer Jugend, von den Männern, die sie geliebt,
davongejagt hätte. Der Gedanke, daß er ihr am Ende genügen,
bevor sie sich entschloß, alle zu lieben, die sie wollten.
daß mit seinem Besitz ihr Wahnsinn gemildert, gestillt sein
Hier gab es ein Schicksal zu entdecken, und, endlich, wie wir
könnte, war ihr zu einer kindischen Erinnerung geworden, aber
schon weit unten im Prater waren, nach langem Schweigen, fragte
ich sie. Sie ließ sich nicht lange um eine Antwort bitten. Freilich
hab’ ich nun die Worte, mit denen sie mir schlicht und bereit¬
willig ihr Bekenntnis ablegte, vergessen, aber die Geschichte selbst
stcht mir eigentlich klarer vor Augen als in der Stunde, da ich
sie vernahm. Ubergänge haben sich für mich gefunden, Lücken,
welche sie im Erzählen ließ, habe ich unbewußt im Bedenken, im
Erinnern ausgefüllt.
Sie war aus einer guten Familie, aus einer sehr geachteten und
bekannten, behauptete sie sogar, und man hatte sie zu Hause
streng erzogen. Aber ihre Sinne erwachten früh und im heftigen
Verlangen. In den einsamen Nächten ihrer frühreifen Mädchen¬
zeit hatte sie viele Qualen zu überstehen, und ein seltsamer Vor¬
satz bildete sich in ihr, aus unklaren Wünschen zu immer festerer
Gestaltung. Sie wollte warten, bis sich der Gatte gefunden, denn
das mußte sie wohl, dann aber, wenn die Gefahr vorüber, wollte
#sie sich freiwillig den ursprünglichen und wilden Trieben ihrer
Natur, wollte sich jedem hinschleudern, der ihr geficl... Männer¬
schönheit und Männerstärke genießen, wo sie sich bot.
Mit siebzehn Jahren verlobte sie sich, und nun kam in ihrem
Leben eine kurze Zeit, über die sie sich in fast sentimentalen
Worten ausließ. Da fand ich jene merkwürdige Stelle in ihrem
Herzen, die man auch in den Verworfensten entdeckt — das
Heimweh nach der Unschuld. Denn es gibt ja auch ein Heimwch
für die Heimatlosen, und vielleicht empfinden die es am schmerz¬
lichsten von allen. Daß man eine Heimat überhaupt hat, ist schon
ein wenig Trost, der aber fehlt den andern.
Nun aber geschah etwas Seltsames. Sie begann den Bräutigam,
der ihr anfangs nur Mittel zum Zweck bedeutet hatte, ernstlich
zu lieben. Anfangs wollte sie es selbst nicht glauben; aber sie
mußte es endlich, denn wie anders war es zu erklären, daß sie
sich plötzlich ihrer früheren Vorsätze zu schämen anfing — so
heftig und schmerzlich, wie vielleicht keine Sünderin der Tat
sich der Vergangenheit zu schämen vermag —, daß sie bereute?
Sie wollte ihm eine brave Gattin werden, treu und ergeben. Sie
wurde ruhiger. Ihre Empfindungen bekamen einen eigentümlichen
Hauch von Frieden und Keuschheit, und sie liebte ihn ticf. Ein
paar Monate, oder waren es nur Wochen, ich weiß es nicht mehr
— dauerte dieser Zustand an. Der Tag der Hochzeit rückte näher.
Photo Edith Glogau
Da regte sich allmählich wieder die alte Raserei in ihr. Vielleicht
! Der Erfolg durch Sport und Waldheims Entfettungs-Teel
lag da ein besonderer Grund vor, über den sie sich selbst nicht
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PIE BRAUT
Von Artkur Schnitzler
Im S.-Fscher-Verlag, Berlin, ist ein Nachlaßband von Sebriften Artbur
Schnitzler: erschienen, der in Skizzen und Erzäblungen das große Werk des
Dichters ergänzt. Wir bringen nachstebend einen reizvollen Abschnitt dieses Buches.
uf einem Maskenball lernte ich sie kennen, nach Mitternacht.
klar war, vielleicht war es nur der natürliche Gang, und die
kurze Periode der Beruhigung nahm ihr Ende, weil das eben in
4 Ihre klugen und ruhigen Augen hatten mir gefallen, und das
dem Temperament des Mädchens lag. Es kam in einer entsetz¬
dunkelblaue Kleid, das sie trug. Sie war nicht maskiert und
lichen Weise über sie. Zehnmal war sie daran — nicht sich ihrem
machte durchaus kein Hehl aus ihrer wahren Person. Sie gehörte
Verlobten hinzugeben — nein... ihn zu nehmen, selbst zu nch¬
zur Kategorie der aufrichtigen Dirnen und hatte selbst in dem
men, mit sich zu ziehen in das dunkle Zimmer neben dem Salon
Maskentrubel, der alle Frauen so sehr dazu reizt, durchaus kein
Bedürfnis, Komödie zu spielen. Das erfrischte mich, da ich mich
— oder dorthin in die Nische — oder dort. Aber die Umstände
fügten es nicht, sie war nie allein mit ihm. Vielleicht auch verließ sie
von all den trivialen Faschingslügen, die mich umschwirrten, recht
ermüdet und angewidert fühlte.
der Mut, wenn die Gelegenheit kam, und bald begann sie auch
wieder zu merken, wie ihre Glut ins Allgemeine ging, wie er
Sie war ungewöhnlich intelligent, man hörte es ihren Reden
esgentlich nicht mehr der Geliebte war. Ja, sie wollte ihn —
und sah es ihren Bewegungen an, daß sie aus besseren Kreisen
freilich — aber auch den — und jenen — und jenen — und alle.
herkam. Bei ihr lag die Frage besonders nahe, die man so oft
Sie fühlte, daß es unabänderlich vorbei war mit ihrer einen, ach,
an Weiber ihrer Art stellt, um schließlich immer dieselbe abge¬
mit ihrer Liebe überhaupt. Es war wieder Krieg geworden, wüten¬
droschene Geschichte zu hören, wie es denn eigentlich dahin mit
der, durstiger Krieg, der den Mann wollte, einfach den Mann,
ihnen gekommen. Von dieser aber mit den klugen Augen vermutere
nicht ihn, den einen! Etwas war dennoch von ihrer tiefen Neigung
ich etwas anderes zu vernehmen, und darum blieb ich mit ihr
zurückgeblieben: sie war dem Mann, der sie unendlich Hohes
beisammen.
hatte empfinden lassen, der sie aus der Dumpfheit fiebernden
Es ging gegen den Morgen zu, als wir, vom Champagner ein
Verlangens für einige Zeit zur schönen Heiterkeit der Liebe hin¬
wenig angeduselt, einen Wagen nahmen und in den Prater fuhren.
aufgehoben hatte, diesem Mann war sie etwas schuldig geworden.
Es war im März, eine merkwürdig linde Nacht. Momentelang
Wahrheit!.. Es wühlte in ihr, es ließ sie nicht ruhen. Sie mußte
hatte ich das Gefühl, als wenn da ein Wesen an meiner Seite
sich ihm entdecken. Sie wußte, was es für ein Ende nehmen
lehnte, das ich schon lange, lange kannte und sehr lieb hätte.
mußte. Darum wünschte sie ihn von Schmach und Gram frei
Mir war schr wohl neben ahr, und geraume Zeit sprachen wir
zu erhalten. Sie war nicht geschaffen zum braven Weib, aber sie
fast gar nichts. Ich konnte mich nicht entschließen, sie schlechthin
wollte auch nicht das seine werden, den sie vielleicht schon nach
als das Weib zu nehmen, das den Abschluß einer lustigen Nacht
der ersten Nacht hätte betrügen müssen — und der sie dann —
bedeutet, ich wollte sie kennenlernen. Von ihrem Leben wollte
das schwebte ihr wohl auch dunkel vor —, am nächsten Tag
ich wissen, von ihrer Jugend, von den Männern, die sie geliebt,
davongejagt hätte. Der Gedanke, daß er ihr am Ende genügen,
bevor sie sich entschloß, alle zu lieben, die sie wollten.
daß mit seinem Besitz ihr Wahnsinn gemildert, gestillt sein
Hier gab es ein Schicksal zu entdecken, und, endlich, wie wir
könnte, war ihr zu einer kindischen Erinnerung geworden, aber
schon weit unten im Prater waren, nach langem Schweigen, fragte
ich sie. Sie ließ sich nicht lange um eine Antwort bitten. Freilich
hab’ ich nun die Worte, mit denen sie mir schlicht und bereit¬
willig ihr Bekenntnis ablegte, vergessen, aber die Geschichte selbst
stcht mir eigentlich klarer vor Augen als in der Stunde, da ich
sie vernahm. Ubergänge haben sich für mich gefunden, Lücken,
welche sie im Erzählen ließ, habe ich unbewußt im Bedenken, im
Erinnern ausgefüllt.
Sie war aus einer guten Familie, aus einer sehr geachteten und
bekannten, behauptete sie sogar, und man hatte sie zu Hause
streng erzogen. Aber ihre Sinne erwachten früh und im heftigen
Verlangen. In den einsamen Nächten ihrer frühreifen Mädchen¬
zeit hatte sie viele Qualen zu überstehen, und ein seltsamer Vor¬
satz bildete sich in ihr, aus unklaren Wünschen zu immer festerer
Gestaltung. Sie wollte warten, bis sich der Gatte gefunden, denn
das mußte sie wohl, dann aber, wenn die Gefahr vorüber, wollte
#sie sich freiwillig den ursprünglichen und wilden Trieben ihrer
Natur, wollte sich jedem hinschleudern, der ihr geficl... Männer¬
schönheit und Männerstärke genießen, wo sie sich bot.
Mit siebzehn Jahren verlobte sie sich, und nun kam in ihrem
Leben eine kurze Zeit, über die sie sich in fast sentimentalen
Worten ausließ. Da fand ich jene merkwürdige Stelle in ihrem
Herzen, die man auch in den Verworfensten entdeckt — das
Heimweh nach der Unschuld. Denn es gibt ja auch ein Heimwch
für die Heimatlosen, und vielleicht empfinden die es am schmerz¬
lichsten von allen. Daß man eine Heimat überhaupt hat, ist schon
ein wenig Trost, der aber fehlt den andern.
Nun aber geschah etwas Seltsames. Sie begann den Bräutigam,
der ihr anfangs nur Mittel zum Zweck bedeutet hatte, ernstlich
zu lieben. Anfangs wollte sie es selbst nicht glauben; aber sie
mußte es endlich, denn wie anders war es zu erklären, daß sie
sich plötzlich ihrer früheren Vorsätze zu schämen anfing — so
heftig und schmerzlich, wie vielleicht keine Sünderin der Tat
sich der Vergangenheit zu schämen vermag —, daß sie bereute?
Sie wollte ihm eine brave Gattin werden, treu und ergeben. Sie
wurde ruhiger. Ihre Empfindungen bekamen einen eigentümlichen
Hauch von Frieden und Keuschheit, und sie liebte ihn ticf. Ein
paar Monate, oder waren es nur Wochen, ich weiß es nicht mehr
— dauerte dieser Zustand an. Der Tag der Hochzeit rückte näher.
Photo Edith Glogau
Da regte sich allmählich wieder die alte Raserei in ihr. Vielleicht
! Der Erfolg durch Sport und Waldheims Entfettungs-Teel
lag da ein besonderer Grund vor, über den sie sich selbst nicht
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