I, Erzählende Schriften 35, Therese. Chronik eines Frauenlebens, Seite 24

Therese
35: Aennnen

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Die Literarische Welt, Berlin
Ausschnitt aus der Nummer vom: 1 5. JUN 1928
Der neue Roman von Arthur Schnitzler
ARTHUR SCHNITZLER: THIERESE
glaubt, und das Mädchen weiß schmerzlich,
dlaß es ihm untreu werden wird, trotzdem es
S. ag, Berlin
dadurch sein Leben zerslört. Warum? Der
Ein Roman, wie jedér frühere Schnitzler:
Vater, früher Offizier, stirbt im Irrenhaus,
Kultur der Sprache, spphlichen Ton in der
die Mutter, halb kindisch geworden, schreibi
Schilderung, feine Psychdlogidfas Thema, das
Kitschromane, das Leben ist bitter — Schnilz¬
par excellence seins ist: ein Frauenschicksal,
lerscher Fatalismus —, und im Unterbewußt¬
ein Zug von Fatalismus über dem ganzen —
sein eben die Emanzipation: weg von so
und doch durch den Inhall von allen früheren
romantischen Begriffen der Treue. Während
Werken des Autors verschieden, wie das
sie seinen Zukunftsplänen lauscht, an ihn ge¬
Heute und Gestern vom Vorgestern verschieden
lehnt dasitzt, weiß sie, daß sie Geliebte
ist. Wo die andern aufhören, beginnt Therese.
eines andern sein wird, verworfen, ledige
Berla Garlan war leidenschaftlicher Angriff
Mutter — nichts läßt sich dagegen tun, Und
ralte à forfalt gegen eine verfaulte Moral, eine Aussage über
das Schicksal erfüllt sich schwer und unab¬
die Natur des Weiblichen, Anklage und For¬
wendbar; nicht gesellschaftlich sinkt sie, dort
derung nach einer erotischen Freiheit, die der
ist ihre letzte Freiheit anerkannt — nicht für
Mann längst hatte. Kampf zwischen Moral und
uns, denn wir empfinden um so wärmer für
Veranlagung, Sollen und Wollen war Inhalt,
sie, je mehr sie diesem und jenem und einem
Steigerung und Katastrophe — Fortsetzung ist
dritten Geliebte war, sondern in ihren eigenen
Therese.
Ansprüchen an das Leben. Anfangs wollte sie
Was dort Ziel war, ist hier erfüllte Voraus¬
von einem Manne geliebt werden, dann nur
setzung. Dort war es ein einziger Fehltritt,
von einer Schüierin, nur vom eigenen Sohn,
um den es ging — hier sind es viele, um
endlich will sie nur allein und unbehelligt
die es nicht geht. Das Problem „Freiheit
leben, 8o sinkt sie selbst da, wo sie vorüber¬
oder nicht“ kann nicht mehr Kernpunkt
gehend gesellschaftlich steigt, bis der Sohn
eines Romans sein, da das Leben diese Frei¬
sie im Haß tötet.
heit längst fast legalisiert hat. Fragt es sich
Im Gegensalz zu früheren Romanen Jehlt
nur, ob die gepriesene, geforderte und endlich
hier die inhaltliche Spannung, das Gepeitschle,
zugebilligte Freiheit jene Frau glücklich macht,
die verkrampfte Steigerung, alles ist nur ein
die weder zur Intellektuellen noch zur Sports¬
gleichmäßiges Fallen. Kapitel um Kapitel schil¬
mnaschine wurde, sondern Frau blieb. (Diese
dert fast dasselbe, nur am Schluß merkt man,
beiden Auswege übrigens waren in der Vor¬
daß sie einander doch nicht völlig gleichen,
kriegszeit, in der der Roman in Wien spielt,
sondern Thereses Schicksal um eine weitere
ja auch noch ziemlich ungebräuchlich.)
Nuance verdüstert haben. Das erscheint zu¬
Mit 16 Jahren ist Therese ein Kind ohne
erst als eine Schwäche; aber sie erhebt den
Kindlichkeit, ohne Illusionen, ohne romantische
Roman dieser kleinen Hauslehrerin zu einem
Hoffnungen für die Zukunft. Ober die Schwär¬
Dokument des Gestern, und, wenngleich die
mereien eines Jugendfreundes, der sie nach
Dekorationen gewechselt haben und Offiziere
beendigtem Studium heiraten will, lächelt sie
und Praterrummel heute wohl fehlen, noch
lächelt mit einem stillen Zug von Resig¬
zu einem Dokument des Heute. Das Zugesländ¬
nation und Ernst und Kennen des Lebens.
nis, das selbst die erotische Freiheit, die
Er träumt, sie weiß. Bezeichnend genug: frü¬
Berla Garlan nun glücklich für Therese er¬
her war der Mann der sachlich-brutale, die
kämpft hat, auch nicht das Alleinseligmachende
Frau die romantische, jetzt haben sie die
ist, sondern sehr wohl ein Leben auf ein
Rollen gewechselt. Da ist der Bruch mit dem
lotes Gleis führen kann, und daß es daneben
Vorgestern: nicht der Mann verspricht, das
noch genug andere Nöte gibt, ist Gewinn.
Mädchen glaubt und der Mann wird untreu,
Und mit dieser Wahrheit gewinnl das Kunst¬
sondern der Mann verspricht, der Mann werk.
Boris SILRER