I, Erzählende Schriften 35, Therese. Chronik eines Frauenlebens, Seite 37

35. Therese
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M.
M. e eeie

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23. Rus du Rhöne - GENEVE
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BERLIN
Eotrait du Journat
Achene P 71
1928
Date
ADBDr
DER TAG
Biteidhe
Arthur Schnitzler:
0
„Therese
Wie lange ist es her, daß die müde resiqnie¬
rende Prosamusik-Schnitzsers bei uns Bewunde¬
rung weckte? Diese scheilbar sachlichen, ein wenig
sentimentalen, ein wenig koketten, leicht parfü¬
mierten Darstellungen von Wiener Alltaggschick¬
salen, von Liebe und Abschied und Krankheit und
Tränen, in die mit spielerischer Eleganz ein
Quentchen Nachdenklichkeit verflochten war.
Nach einer langen Pause, durch wenig belang¬
reiche Novellistik ausgefüllt, legt der inzwischen
grau gswordene Dichter wieder eine längere Ar¬
beit vor. Die „Chronik eines Frauenlebens“ (S.
Fischer, Berlin): die Geschichte eines Mädchens
aus „besserem Hause“ die aus der unerfreulichen
Atmosphäre ihrer Familie hinausflüchtet, um ihr
Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ein Durch¬
schnittsmensch, diese Therese, ohne große Ziele
und Kräfte, ohne große Fehler und Sünden, so
wird sie von ihrer kärglichen Sehnsucht in die
Passion ihres Schicksals hineingetrieben. Als
Erzieherin und Hausdame in unzähligen Stei¬
lungen, unzähligen Enttäuschungen und Demüti¬
gungen ausgesetzt, von dem bißchen Lebens= und
Liebeshoffnung immer wieder genarrt, immer
mehr zerfallend, immer müder werdend, bis der
eigene verkommene Sohn ihr Leben forttut.
Sentimentale Eleganz? Kultivierte Resigna¬
tion? — Ach, es ist diesmal ein neuer Ton: der
unbarmherzig verbuchende Ton eines Kranken¬
berichtes, zermürbend in der sachlichen Hoff¬
nungslosigkeit, die in dies Menschenschicksal nir¬
gends, aber auch nirgends ein wenig Trost und
Glück hineinläßt. Der alt gewordene Schnitzler
fand den Weg vom sentimentalen Spiel zum dun¬
kelsten Ernst
und dennoch nicht wird die
Scheinlebendigkeit der früheren Bücher von inne¬
rem Leben abgelöst. Theresens Schicksal wird
nicht — wie der thematisch eng verwandte Roman
der Clara Viebig „Passion“ — zum Aufruf und
zur Beunruhigung, sondern es sieht uns mit
leeren, erstarrten Augen an. Schnitzler kann
nicht über seinen Schatten springen. ... Nicht
ein brennendes Herz hat sich am Jammer eines
armseligen Schicksals entzundet, sondern einem
hoffnungslosen Pessimisten glückte ein psychologi¬
ch
sches Experiment.
en dir doch auch alles.“
n Freunde, Jim.“
mesee tchtl-Atchsrchafbdhscheshentanen
Totengräber“, wo eine märch
Leben im Schicksal eines ju
Rilkes frühe und Schnitzlers
ihr eines von der Pest heim
menbindet. Rilke kann gar
späte Prosa.
gen, lustige Geschichten mißl
Besprochen von Rudolf K. Goldschmit.
sachlich geschriebene Episoden
immer sanft mit Schwermu
Freunde, die Rilke guts kannten, schildern mir
ums Ende getönt. Einmal sa
immer wieder die merkhürdige Wirkung, die dieser
zählung dieses Bandes, die
feine Geist ausstrahlts: dis Wikkung der Ruhe nicht
hin“ betitelt ist: „Der Tod
nur, sondern heimlicher vekborgener Todesnähe. Das
Für Rilke nichts Erschüttern
einzige Mal, da ich ihn sah, beobachtete ich einen
nur oft die Lebenswege so
Mann, der unsäglich müde schien: nicht im Gang, der
romanhaft lenkend: wie in d
gemessen, nicht in der Geste, die knapp und ruhig war,
schen Bohsmengeschichte von
sondern im unbeschreibbaren Rhythmus des ganzen
seine Enttäuschung über Vol
Menschtums, der aristokratischen Persönlichkeit, die
tränkt. Der Band bringt Ge
nie laut sein konnte, sondern über das Leben mit
troduktionen von Landschaft
sanfter Hand strich wie ein Sammler über kostbares
sachlich berichtet, fast anekdo
Porzellan. Und niemand unter den Freunden wun¬
les schon in einer Sicherheit
derte sich, als er im Vorjahr die Todesnachricht emp¬
ten Meister ankündet, noch i
fing. Er ging aus dem Leben wie sein Cornett Rilke:
die Freunde des Dichters wi
als letzter eines totverfallenen Geschlechtes. Aus der
voll starker Wirkungen. Den
Schublade seines Schreibtisches hat man jetzt ein
lich schon die reife Prosa Ril
Bündel Manuskripte geholt, gedruckte und ungedruckte
eher empfehlen müssen.
Novellen aus der Jugendzeit zwischen 1898 und 1903,
Erzählungen des 24jährigen und des 29jährigen Dich¬
ters.*) Rilke hatte wohl seine Gründe, weshalb er
Wie Rilke gehört auch S
sie uns bei seinen Lebzeiten vorenthielt. Dieser pein¬
tern des Müden; auch in sei
lichste, sorgsamste Arbeiter und Former der Prosa,
Melancholie durch alle Heiter
der mit dem kunstgewerblichen Fanatismus eines ini¬
nähe, Morbides, Brüchiges f
tialen= malenden Mönches an diesen Sätzen und
immer besonders fein gestalt
Rhythmen und Perioden deutscher Sprache feilte,
nach einem klugen Worte
wollte nicht mehr zu diesen Arbeiten stehen. Von
Glacé=Handschuhe trug und
zwei Prager Geschichten, die in diesen Band aufge¬
Ruhe des Stiles alles Lau
nommen sind, schreibt er: „Dieses Buch ist lauter
alles Naturhaft=Gesunde mie
Vergangenheit. Heimat und Kindheit — beide längst
Epik noch mehr wie in seinen
fern — sind sein Hintergrund. — Ich würde es heute
würdige geschlossene Ueberei
nicht so, und darum wohl überhaupt nicht geschrieben
und Form heraus, eine harn
Er war eben ein Dichter, der wie alle
haben.
unter den Lebenden so leich
Sammler von Schicksalen nur das aus der Vergan¬
eine formale Ueberlegenheit,
genheit heraufzauberte, was er liebte. Nichts schien
heit willen respektiert und
ihm aber deutlicher und „lebendiger“ die Vergangen¬
doch nie zur Liebe zwingt. E
heit zu repräsentieren, als der Tod. So machte er
Hand in die Bezirke des Nur
in seinen Geschichten den Tod zum Bestandteil des
diesem Respekt vor ganz rei
Lebens. In der Antinomie beider Kräfte erlebte er
Fähigkeit, die gefährlichsten
ewig das Sein. Auch durch diese Geschichte streift der
mit Geschmack zu erzählen. I
Tod als Hauch, als Klang, als Farbe und legt sich
Roman des Dichters; freilich
schwer als Stimmung über die erzählten Schicksale.
täuschung und Entzauberung
Am deutlichsten wird das in einer kleinen, im Stile
scheint wieder aus seiner Fe¬
altitalienischer Novellen geschriebenen Stizze „Der
breiter Roman.**) Er nen
*) Therese, Chronik eines Fraf
Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. Von Rainer
Maria Rilke. Im Insel=Verlag, Leipzig.
Leipzig.
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X I.