Therese
35. Jud. u
box 6/2
Tnende
Chronik eines Frauenlebens
Von
Arthur Schnitzler
(Sochnitzler! Der Name versetzt uns weit zurück in die Vorkriegszeit. Nach Wien, wie Oskar Walzel
sagt, „in die Stadt der Stimmungsmenschen und Raunzer, der überzähligen Hofräte und der süßen
Mädel, des Walzers und des Heurigen“ und gern blickt man zurück, besinnt sich und erzählt, was
Schnitzler einem persönlich bedeutete. Das war um die Jahrhundertwende. Mkan geriet in den
„Anatol“ und man las den „Leutnant Gustl, die Monologerzählung, amüsierte sich köstlich und genoß
mit allen Nerven die Atmosphäre leichtsinniger Melancholie, charmanten Geplanders und verständ¬
nisvoller Menschlichkeit: Man erlebte die „Liebelei“ (stärkster Erfolg im Burgtheater 1895), Frauen
vergoßen Tränenströme, Männer schlugen zerknirscht aus Herz, man gruselte und behagte sich atem¬
los beim damals, ach, so fernen Revolutionsgeplänkel des „grünen Kakadu“, man verschlang heim¬
lich den „Reigen". Man las und vernahm unbekehrt die gräßlichen Flüche und Verwünschungen,
die sich von sittenrichtender Seite über das Haupt des Dichters ergossen. In Schnitzlers produktioster
Zeit, da Novellen, Romane und Bühnenwerke in rascher Folge einander verdrängten, da die Gesamt¬
ausgabe um 1006 bereits sieben Bände umfaßte, ward manches Werk übersehen oder verpaßt; aber
siets blieb man der Erscheimung und dem Werk des Dichters gegenüber sensibel, interessiert, gespannt,
man gontierte außerordentlich, besonders vor dem Schlafengehen, die kurze intensive Novelette, ein
damals in Deutschland selten ausgeübtes Geure, man lieh sich die Romane, bemühte sich um die Pre¬
mieren. — Was Schnitzler uns gab, was ihn uns wertvoll machte, war mehr als schriftstellerische
Qualität, mehr als ästhetischer Genuß und Lust am geschliffenen Dialog, an Ironie und Gescheitheit,
am Wissen um Weibes Art, an gedämpft gewagtem Farbenspiel: mehr als psychologisches und
psochoanalytisches Interesse an Entrollung und Deutung verworrener Gefühle, schwieriger Geeien¬
geschichte und Eheprobleme, wie es geschieht im „Zwischenspiel“ im „Einsamen Weg“, in „Frau
Prate und ihr Sohn": er gab uns mehr als das Erlebnis wirklich poetischer Augenblicke. Man lese
z. B. die Stelle in „Casanovas Heimfahrt", da Casanova und seine Begleiterinnen das Nonnen¬
kloster verlassen wollen, da es vom Gitter her erklang wie eine Frauenstimme: „Casanova“ — nichts
als der Name, doch mit einem Ausdruck, wie ihn Casanova noch niemals gehört zu haben ver¬
meinte. — Rehr als das gab uns Schnitzler, nämlich sein tiefes sachliches Verstehen, sein Wissen um
den Menschen, um Menschliches überhaupt und um den Zustand einer Generation, besonders um die
Generation aus den achtziger Jahren, die, wie Jakob Wassermann sagt, es schwer hatte, weil sie die
Fragwürdigkeit, Brüchigkeit, Götzenhaftigkeit der ihr überlieferten sogenannten heiligsten Güter bereits
zu spüren begann und darob der Verzweifiung nahe war. Und die Wut der Jungen auf den ganzen
Schwindel, ihr Ressentiment, ihre Verwirrung, Scham und Skepsis, ihren Kampf gegen das Her¬
kömmliche, ihr Suchen nach neuen Möglichkeiten und Gestaltungen des Lebens und der menschlichen Be¬
ziehungen, die hat Schnitzler begrifsen, er hat dies alles miterlebt und dargestellt. — Es kam der
Krieg, und Schnitzler verstmnnte, der bewegliche und gescheite Mensch verurteilte sich zum Schweigen.
Nach igis erschienen einzelne Rovellen („Spiel im MNorgengrauen“, „Traumovelie“, „Fräulein
Else") und r92ß der Roman „Therese“, die Chronik eines Frauenlebens. In der Nachkriegsdichtung
vermeidet es Schnitzler geflissemlich, die politischen Geschehnisse irgendwie zu berühren, gleich als
ginge dies seine Kunst gar nichts an, als würde ihr Lebendiges durch den Zeitwandel überhaupt nicht
berührt. Konzessionslos bis in die Kostümfrage hält Schnitzler diesen Stil durch: Therese und Fräu¬
lein Else tragen bestinnnt lange Röcke, Theresens erster Geliebter ist ein Leutnant, ja, ein „Zwockel“,
die Rovelle „Spiel im Morgengrauen“ versetzt uns in Offizierskreise. Aber in einem wesentlichen
Dunkte ist Schnitzler aktuell: in der Haltung zum Menschen und in seinem Widerspruch, in der Auf¬
fassung, daß gerade die gegensätzlichen, scheinbar feindlichen Elemente in der Menschenbrust das eigent¬
lich Lebendige, auf jeden Fall zu Bejahende sind, in dem Bemühen, das Spiel und den Ablauf der
Gegensätze, „den schwankenden Charakter der Gefühle“ wie Thomas Mann es nennt, sachlich, un¬
pathetisch, ohne ethische Tendenz, ohne Werturteile darzustellen. Aktuelle Betrachtungsweise mensch¬
lichen Begebens auf der Bühne von gestern ist die Voraussetzung des neuen Romans „Therese“.
Urme Therese! Kaum sechzehn Jahre alt,
gebens, sich durch die Naturschönheiten Salz¬
Kund schon hängt dein Frühlingshimmel
burgs über die jüngst erfolgte Pensionierung
voll unheildrohender Wolken! Noch scheint die
trösten zu lassen; sein Ressentiment wuchert über
Sonne, aber gleich stürrit und schneit und ha¬
ihn hinaus, entarket in Größenwahnsinn, er
gelt es in die Blüten. Die Familienverhältnisse
kommt ins Irrenhaus und stirbt. Die MTama,
sind gräßlich, du weißt es selbst! Der Vater,
eine österreichische Baronesse, gänzlich lebens¬
Herr Oberstleutnant von Fabiani, versucht ver= unfähig, wirr und zerfahren, verloren ins Lesen
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Chronik eines Frauenlebens
Von
Arthur Schnitzler
(Sochnitzler! Der Name versetzt uns weit zurück in die Vorkriegszeit. Nach Wien, wie Oskar Walzel
sagt, „in die Stadt der Stimmungsmenschen und Raunzer, der überzähligen Hofräte und der süßen
Mädel, des Walzers und des Heurigen“ und gern blickt man zurück, besinnt sich und erzählt, was
Schnitzler einem persönlich bedeutete. Das war um die Jahrhundertwende. Mkan geriet in den
„Anatol“ und man las den „Leutnant Gustl, die Monologerzählung, amüsierte sich köstlich und genoß
mit allen Nerven die Atmosphäre leichtsinniger Melancholie, charmanten Geplanders und verständ¬
nisvoller Menschlichkeit: Man erlebte die „Liebelei“ (stärkster Erfolg im Burgtheater 1895), Frauen
vergoßen Tränenströme, Männer schlugen zerknirscht aus Herz, man gruselte und behagte sich atem¬
los beim damals, ach, so fernen Revolutionsgeplänkel des „grünen Kakadu“, man verschlang heim¬
lich den „Reigen". Man las und vernahm unbekehrt die gräßlichen Flüche und Verwünschungen,
die sich von sittenrichtender Seite über das Haupt des Dichters ergossen. In Schnitzlers produktioster
Zeit, da Novellen, Romane und Bühnenwerke in rascher Folge einander verdrängten, da die Gesamt¬
ausgabe um 1006 bereits sieben Bände umfaßte, ward manches Werk übersehen oder verpaßt; aber
siets blieb man der Erscheimung und dem Werk des Dichters gegenüber sensibel, interessiert, gespannt,
man gontierte außerordentlich, besonders vor dem Schlafengehen, die kurze intensive Novelette, ein
damals in Deutschland selten ausgeübtes Geure, man lieh sich die Romane, bemühte sich um die Pre¬
mieren. — Was Schnitzler uns gab, was ihn uns wertvoll machte, war mehr als schriftstellerische
Qualität, mehr als ästhetischer Genuß und Lust am geschliffenen Dialog, an Ironie und Gescheitheit,
am Wissen um Weibes Art, an gedämpft gewagtem Farbenspiel: mehr als psychologisches und
psochoanalytisches Interesse an Entrollung und Deutung verworrener Gefühle, schwieriger Geeien¬
geschichte und Eheprobleme, wie es geschieht im „Zwischenspiel“ im „Einsamen Weg“, in „Frau
Prate und ihr Sohn": er gab uns mehr als das Erlebnis wirklich poetischer Augenblicke. Man lese
z. B. die Stelle in „Casanovas Heimfahrt", da Casanova und seine Begleiterinnen das Nonnen¬
kloster verlassen wollen, da es vom Gitter her erklang wie eine Frauenstimme: „Casanova“ — nichts
als der Name, doch mit einem Ausdruck, wie ihn Casanova noch niemals gehört zu haben ver¬
meinte. — Rehr als das gab uns Schnitzler, nämlich sein tiefes sachliches Verstehen, sein Wissen um
den Menschen, um Menschliches überhaupt und um den Zustand einer Generation, besonders um die
Generation aus den achtziger Jahren, die, wie Jakob Wassermann sagt, es schwer hatte, weil sie die
Fragwürdigkeit, Brüchigkeit, Götzenhaftigkeit der ihr überlieferten sogenannten heiligsten Güter bereits
zu spüren begann und darob der Verzweifiung nahe war. Und die Wut der Jungen auf den ganzen
Schwindel, ihr Ressentiment, ihre Verwirrung, Scham und Skepsis, ihren Kampf gegen das Her¬
kömmliche, ihr Suchen nach neuen Möglichkeiten und Gestaltungen des Lebens und der menschlichen Be¬
ziehungen, die hat Schnitzler begrifsen, er hat dies alles miterlebt und dargestellt. — Es kam der
Krieg, und Schnitzler verstmnnte, der bewegliche und gescheite Mensch verurteilte sich zum Schweigen.
Nach igis erschienen einzelne Rovellen („Spiel im MNorgengrauen“, „Traumovelie“, „Fräulein
Else") und r92ß der Roman „Therese“, die Chronik eines Frauenlebens. In der Nachkriegsdichtung
vermeidet es Schnitzler geflissemlich, die politischen Geschehnisse irgendwie zu berühren, gleich als
ginge dies seine Kunst gar nichts an, als würde ihr Lebendiges durch den Zeitwandel überhaupt nicht
berührt. Konzessionslos bis in die Kostümfrage hält Schnitzler diesen Stil durch: Therese und Fräu¬
lein Else tragen bestinnnt lange Röcke, Theresens erster Geliebter ist ein Leutnant, ja, ein „Zwockel“,
die Rovelle „Spiel im Morgengrauen“ versetzt uns in Offizierskreise. Aber in einem wesentlichen
Dunkte ist Schnitzler aktuell: in der Haltung zum Menschen und in seinem Widerspruch, in der Auf¬
fassung, daß gerade die gegensätzlichen, scheinbar feindlichen Elemente in der Menschenbrust das eigent¬
lich Lebendige, auf jeden Fall zu Bejahende sind, in dem Bemühen, das Spiel und den Ablauf der
Gegensätze, „den schwankenden Charakter der Gefühle“ wie Thomas Mann es nennt, sachlich, un¬
pathetisch, ohne ethische Tendenz, ohne Werturteile darzustellen. Aktuelle Betrachtungsweise mensch¬
lichen Begebens auf der Bühne von gestern ist die Voraussetzung des neuen Romans „Therese“.
Urme Therese! Kaum sechzehn Jahre alt,
gebens, sich durch die Naturschönheiten Salz¬
Kund schon hängt dein Frühlingshimmel
burgs über die jüngst erfolgte Pensionierung
voll unheildrohender Wolken! Noch scheint die
trösten zu lassen; sein Ressentiment wuchert über
Sonne, aber gleich stürrit und schneit und ha¬
ihn hinaus, entarket in Größenwahnsinn, er
gelt es in die Blüten. Die Familienverhältnisse
kommt ins Irrenhaus und stirbt. Die MTama,
sind gräßlich, du weißt es selbst! Der Vater,
eine österreichische Baronesse, gänzlich lebens¬
Herr Oberstleutnant von Fabiani, versucht ver= unfähig, wirr und zerfahren, verloren ins Lesen