Therese
35. And. 9
box 6/2
Arthur Schnitzler! Therese
und später ins Schreiben von Roma¬
nen, der Bruder Karl, sowie der erste
Bubencharme entwichen, öd und herz¬
los. Das Letzte, was dieser müde
Stamm noch in sich birgt an Vitali¬
tät, Schönheit und Begabung, konzen¬
triert sich in Therese Fabiani. Der
Dichter entwirft kein Bild von ihr,
und doch weiß man genau, so und so
hat Therese als junges Ding aus¬
geschaut: nicht eigentlich schön, aber
eine überaus reizende Knospe, weiches
kastanienbraunes Haar, dunkelglühende
Augen, ein Miktelmeertyp, liebesbereit
und sehr begehrenswert.
Ihr erster Verehrer ist Alfred, ein
Schulkolleze ihres Bruders, und mit
ihm verlebt sie im Spätsommer die
ersten scheuen Liebesstunden.
Alfred und Therese saßen auf einer Bank
im Grünen; weit dehnte sich die Ebene, die
Berge waren fern, ein dumpfes Rauschen
klang aus der Stadt herbei ... Alfred
und Therese hielten einander umschlungen,
Theresens Herz schwoll vor Zärtlichkeit; und
wenn sie später dieser ersten Liebe gedachte,
war es immer wieder diese Abendstunde,
die in ihrem Gedächtnis aufschwebte: sie und
er auf einer Bank zwischen Feldern und
Wiesen, auf weithingedehnter Ehene, dar¬
Phot. Setzer, Wien
über die Nacht.
Aber diese liebliche Szene kann The¬
rese über ihr wahres Gefühl nicht hin¬
wegtäuschen. Sie vermag Alfred nicht
Garn
zu lieben, so sehr sie es wünschte und
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so ehrlich sie es manchmal versucht:
die Situation reißt sie manchmal hin,
aber ihr Blut bleibt stumm und unbetrügbar.
ertappt ihn bei einem Seitensprung und macht
Schluß: mit ihm, mit ihrer verkommenen Fa¬
Ganz anders wirkt die Begegnung mit einem
milie und mit ganz Salzburg. Müde und an¬
jungen, glattrasierten, eleganten Leutnant auf
geekelt packt sie ihre Sachen und fährt mit dem
Blut und Sinne: „. . es war, als wüßte der
Mittagszug nach Wien, in der Absicht, dort
mehr, viel mehr von ihr, als Alfred wußte ...“
eine Stellung als Erzieherin oder Kinderfräu¬
Und wie er Theresen auf dem Domplatz zum
lein zu suchen.
drirtenmal begegnet und sie anspricht, da scheint
Wie wird es dir ergehen, reizende und kapfere
es ihr die natürlichste Sache der Welt, daß
Max ihr Liebster wird. Abend für Abend
Therese? Die schützenden Sicherungen und
schleicht sie nun über die dämmerige Treppe in
Hemmungen der Familie, der Konvention sind
gerissen oder zum mindesten sehr gelockert, sie
die Wohnung des Leutnants. Diese Lentnanks¬
hat keine Examen und keinen MTonatswechsel,
liebe ist heiß und köstlich, aber rasch ausge¬
brannt. Schen im Vorfrühling verflüchtigt
sie ist das Wehrloseste, was es gibt, nämlich
sich Theresens Zärtlichkeit, er langweilt sich be¬
eine Tochter aus guter Familie. Vorerst hat sie
reits im stillen und sucht Abwechslung. Therese aber nach einigen unerquicklichen Erfahrungen
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Arthur Schnitzler! Therese
und später ins Schreiben von Roma¬
nen, der Bruder Karl, sowie der erste
Bubencharme entwichen, öd und herz¬
los. Das Letzte, was dieser müde
Stamm noch in sich birgt an Vitali¬
tät, Schönheit und Begabung, konzen¬
triert sich in Therese Fabiani. Der
Dichter entwirft kein Bild von ihr,
und doch weiß man genau, so und so
hat Therese als junges Ding aus¬
geschaut: nicht eigentlich schön, aber
eine überaus reizende Knospe, weiches
kastanienbraunes Haar, dunkelglühende
Augen, ein Miktelmeertyp, liebesbereit
und sehr begehrenswert.
Ihr erster Verehrer ist Alfred, ein
Schulkolleze ihres Bruders, und mit
ihm verlebt sie im Spätsommer die
ersten scheuen Liebesstunden.
Alfred und Therese saßen auf einer Bank
im Grünen; weit dehnte sich die Ebene, die
Berge waren fern, ein dumpfes Rauschen
klang aus der Stadt herbei ... Alfred
und Therese hielten einander umschlungen,
Theresens Herz schwoll vor Zärtlichkeit; und
wenn sie später dieser ersten Liebe gedachte,
war es immer wieder diese Abendstunde,
die in ihrem Gedächtnis aufschwebte: sie und
er auf einer Bank zwischen Feldern und
Wiesen, auf weithingedehnter Ehene, dar¬
Phot. Setzer, Wien
über die Nacht.
Aber diese liebliche Szene kann The¬
rese über ihr wahres Gefühl nicht hin¬
wegtäuschen. Sie vermag Alfred nicht
Garn
zu lieben, so sehr sie es wünschte und
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so ehrlich sie es manchmal versucht:
die Situation reißt sie manchmal hin,
aber ihr Blut bleibt stumm und unbetrügbar.
ertappt ihn bei einem Seitensprung und macht
Schluß: mit ihm, mit ihrer verkommenen Fa¬
Ganz anders wirkt die Begegnung mit einem
milie und mit ganz Salzburg. Müde und an¬
jungen, glattrasierten, eleganten Leutnant auf
geekelt packt sie ihre Sachen und fährt mit dem
Blut und Sinne: „. . es war, als wüßte der
Mittagszug nach Wien, in der Absicht, dort
mehr, viel mehr von ihr, als Alfred wußte ...“
eine Stellung als Erzieherin oder Kinderfräu¬
Und wie er Theresen auf dem Domplatz zum
lein zu suchen.
drirtenmal begegnet und sie anspricht, da scheint
Wie wird es dir ergehen, reizende und kapfere
es ihr die natürlichste Sache der Welt, daß
Max ihr Liebster wird. Abend für Abend
Therese? Die schützenden Sicherungen und
schleicht sie nun über die dämmerige Treppe in
Hemmungen der Familie, der Konvention sind
gerissen oder zum mindesten sehr gelockert, sie
die Wohnung des Leutnants. Diese Lentnanks¬
hat keine Examen und keinen MTonatswechsel,
liebe ist heiß und köstlich, aber rasch ausge¬
brannt. Schen im Vorfrühling verflüchtigt
sie ist das Wehrloseste, was es gibt, nämlich
sich Theresens Zärtlichkeit, er langweilt sich be¬
eine Tochter aus guter Familie. Vorerst hat sie
reits im stillen und sucht Abwechslung. Therese aber nach einigen unerquicklichen Erfahrungen
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