I, Erzählende Schriften 34, Spiel im Morgengrauen. Novelle, Seite 19

Will er sich rächen für erlittene Demütigungen? Es bleibt
dahingestellt. Wichtig ist: Schnabel lehnt ab. Die Würfel sind
gefallen!
Von nun ab ist Unordnung in Willi. Gegen den Tod zu
fliegen die Stunden rascher, schneller die Gedanken, die Reflexe.
Willi schläft ein bißchen, dann wacht er auf, meldet sich marod
und seldstverständlich ist sein erster Weg nun doch zum Onkel.
Wie anders aber verläuft diese Unterredung, als man glauben
sollte. Das ist ein merkwürdiger alter Herr, der Onkel Wilram.
Zwar sagt er gleich, daß er das Geld nicht habe, aber es klingt
sordiniert, so daß auch der verzweifelte Willi aufhorcht und
zu
philosophischem Gespräch geneigt wird. Was ge¬
schieht? Onkel Wilram enthüllt eine eigenartige Ehe¬
tragödie. Man erfährt von einer Frau, die er über
alles liebt, die er geheiratet hat, trotzdem sie eine Dirne, war und
die nun sein Geld verwaltet. Er erhält eine Leibrente, mit jener
Pünktlichkeit, mit der Leopoldine allen ihren Pflichten mit Aus¬
nahme der ehelichen, ihm gegenüber nachkommt.
Wie sonderbar ist das doch, knapp vor Torschluß so ein
wunderlich=ergreifende Geschichte! Einem schwächeren Erzähler w
Schnitzler würde das den Faden mittendurch geschnitten habe
Hier ergibt sich das Gegenteil. — Willi erinnert sich an eine leic
sinnige Nacht, deren Heldin eben jene Leopoldine war, die späl
Gattin seines Onkels. Sie wird ihm das Geld nicht abschlage
Er wird vorgelassen, erkannt. Man nennt sich „Du“, aber di
Erfolg ist fraglich. Sie will sich mit ihrem Advokate
beraten und wird am Abend Bescheid sagen lassen.
Willi schläft, Willi wartet. Am Abend kommt Leopoldine selbst.
Aber sie spricht nicht vom Geld. Willi läßt ein Souper kommen ...
„Nach dem zweiten Glas schien Leopoldine ein wenig schläfrig zu
werden. Sie lehnte sich in die Ecke des Diwans zurück, und als
Willi sich über ihre Stirn beugte, ihre Augen, ihre Lippen, ihren
Hals küßte, flüsterte sie hingegeben, schon wie aus einem Traum,
seinen Namen.“ Am Morgen hat sie die Geldaffäre noch immer
nicht erwähnt. Erst in der Tür erinnert sie sich scheinbar und
wirft Willi einen Tausender hin, als Lohn für die Nacht. Und
nur ein paar Worte enthüllen meisterhaft, daß dies Rache be¬
deuten soll. Das letztemal, da sie einander sahen, hatte Willi
„Wenn man's genau
ihr zehn Gulden geschenkt
nimmt, gerade um zehn Gulden zuviel.“ So erfährt
Willi von einer längst zu Asche gewordenen Liebe.
Galgenhumor! Willi schickt die tausend Gulden dem Kameraden,
sich selbst jagt er eine Kugel in den Kopf. Um viele Stunden zu
spät kommt dann der Onkel mit den elftausend Gulden, die
Leopoldine ihm mit dem Auftrag übergab, sie dem Neffen ein¬
zuhändigen
Es ist ein doppeltes Spiel, das Artur Schnitzler hier
unternimmt. Ein Spiel mit dem Tobe und eines mit der epischen
Form. Diese Henkersmahlzeit der Liebe ist faszinierend frivol,
dafür aber auch von stärkster Wirkung. Und so wird der Bewels
erbracht, daß ein Ritardandv das allem Schlußeffekt übliche Presto
ersetzen kann. Und so wird aus dem blinden Zufall einer
Uniform beinahe Schicksal.
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im Morgengrauen
34. 81
K n
Gert
Mbrengesate
15.74
Zer
Aethur Schnißler: „Spiel im Morgengrauen.“
S. Fischer=Verlag, Berlin.
Echnitzler nimmt ein altes Thema, das ihn schon manchmal
rehte, wieder auft ein Menschenkind, junger Offizier, gerät in diese
Maschincrie des Unglücks, Um einem Freund Geld zu verschaffen,
spielt er. Verspielt sich und sein Leben. Versucht sich zu retten.
Bettelt bei Unbarmherzigen, verkauft sich an Nichtverstehende. Dann
kommt aber doch die Stille des Entschlusses, die kleine schwarze
Kugel und der dünne Faden Blut aus dem Loch in der Stirn.
Zwiespältiges bewegt den Leser. Diese Welt ist so fern. Diese
Ehrbegriffe wirken nur noch mitleiderregend. Diese Angst eines
jungen Leutnants, seinen unproduktiven Beruf zu verlieren, bleibt
unverständlich. Und das war alles einmal brennende Frage, wurde
auf Bühnen diskutiert, in Romanen breitgesprochen. Uniform und
Spielerkoder sind untragisch, wenn sie auch noch Tragödien ver¬
ursachen. Unsere Sache?!
Niemals, wenn nicht eines wäre: die große Spielszene. Wie da
der Leutnant Kasda gewinnt, den grünen Tisch seines Schicksals
verlaßt, durch Zufälle wieder zurückgetrieben wird, sich allmählich
von den übrigen Spielern ablöst, als Partner des von einer trüben
Dämonie bläßlich umwitterten Konsuls immer deutlicher ins Blick¬
feid der Zuschauer wächst und, einmal stürzend, sich geradezu mit
ist eine der
wilden Absätzen in den Abgrund hineinwirft, das
klassischsten Szenen, die dieser Dichter geschrieben hat. Es ist immer¬
hin eine große Kunst, für eine solche belanglose Figur wie diesen
Jasde im kuhlsten Herzen Sympathie zu wecken. Am Schluß bleibt
etwas wie Trauer zwischen den Wimpern hängen. Schnitzler über¬
windet sein Thema. Das ist letzte Reise. Es ist zugleich Milde.
Auch diese ist nicht unsere Sache. Aber wir ehren sie.
Manfred Georg.