I, Erzählende Schriften 34, Spiel im Morgengrauen. Novelle, Seite 33

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aber ist die gleichzeitige Aufnahme der Studie Pfau's über Tilliers
Leben, ein ergreifendes Lebensbild eines Philosophen, der nie eine
philosophische Zeile geschrieben hat. dessen ganzes Leben aber
das eines Weisen war, und dessen „Onkel Benjamin“ von dieser
Weisheit bis zum Überströmen erfüllt ist.
F. M.
Artur Schnitzler: Spiel im Morgengrauen. Novelle. Berlin
(S. Fischer).
Wohl selten ist sich ein Autor in seiner psychologischen Art so
treu geblieben wie Arthur Schnitzler, so jung in würdevollem Alter,
so frisch, um nicht zu sagen naiv, und herzhaft einer von Grund
auf veränderten Zeit gegenüber, so wenig grüblerisch und vergrämt
durch ganz fremdgeartete seelische Einstellungen. Auch die neue
Novelle Schnitzlers könnte ebensogut vor dreißig Jahren geschrie¬
ben sein, in dem schönen, alten, nun aber verschwundenen Wien,
in dem sie spielt. Die längst demolierte Alserkaserne, das Badener
Sonntagstreiben, der längst ausgelöschte Typ des k. u. k. Leut¬
nants mit seiner ebenso leichtsinnigen als formstrengen Lebens¬
philosophie, mit seinen liebenswürdigen Manieren und dem klein¬
winzigen Hirn, die süßen Mäderln und ihre mitunter recht bitteren
Möglichkeiten, das ist die Welt, in der sich Schnitzlers Jugend¬
dichtungen abspielten und in die uns auch seine neueste Dich¬
tung zurückführt. Diese von einer Doublésonne umleuchtete, in
ihrer inneren Unechtheit und Bösartig dit durch einen Schuß im
Morgengrauen wie durch ein Blitzlicht bloßgestellte Welt läßt
Schnitzler mit solcher Meisterschaft noch einmal vor unserem
Auge erstehen, daß wir eine ganze Zeitlang wie von einem
Zauber geblendet, ihrem Bann aufs Neue erliegen; wenn aber
dann das Spiel zu Unde geht und in seine wohlverdiente Tragik
ausläuft, dann sind wir eigentlich froh, daß alles vorüber ist und
daß dieses unecht gemütliche Wien und diese unechten Ehren¬
männer in Uniform und Zivil und diese unecht süßen Mädel, und
alles, was drum und dran hing endgültig erledigt sind. Auch
Schnitzler hat noch einmal von dieser Zeit und diesem Wien seiner
Jugend geträumt, vielleicht zum letztenmal, um sie dann für
immer durch Selbstmord enden zu lassen. Das ist wohl die
stärkste Veränderung, die vom Dichter des Leutnant Gustel zu
dem des Leutnant Willi Kazda führt; aber nach der Art künst¬
lerischen Erlebens ist der neueste Schnitzler immer wieder der
alte Schnitzler, das will sagen der junge Schnitzler.

NEUE BUCHER.
E. I. GUMBEI, Vom Rußland der Gegenwart. Berlin (E. Laub) 1927.
Bruno SPRINGER, Die Seele der Völkischen. Berlin-Nikolassee
(Verlag der Neuen Generation).
Alfred STERN, Abriß einer Geschichte der demokratischen Ideen
in den letzten vier Jahrhunderten. Zürich und Leipzig (Orell Füssli) 1927.
Harald WEBER, Die Weltdeuter des Ostens. Braunschweig, Berlin,
Hamburg (Georg Westermann) 1927.
Dr. Friedr. K. FEIGEL, Tod und Unsterblichkeit im Geistesleben
der Menschheit. Drei Vorträge. Essen (G. D. Baedecker) 1926.
Rudolf LOCHNER, Deskriptive Pädagogik. Umrisse einer Dar¬
stellung der Tatsachen und Gesetze der Erziehung vom soziologischen
Standpunkt. Reichenberg (Gebrüder Stiepel) 1927.