33.
Traunnovelle
bos 5/7
e e deren
□
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus:
8 Uhr Abendblatt, Berlin
G. AnR
350 20
Traumnovelle.
Von
Arthur Schnitzler.
in diesen Tassl erscheint im Verlage von
S. Fischer (Berlin) das neueste Werk des Wiener
Dichters. Diese reife, zarte und die innersten Geheim¬
nisse des Seelenlebens zweier Menschen enthüllenbe No¬
velle zeigt den Künstler in seiner ganzen Größe. Mit
Erlaubnis des Verlages bringen wir den Traum der
Frau, wie sie ihn ihrem Gatten, der eine Nacht voll
seltener Abenteuer verbracht hat, am frühen Morgen
beim Erwachen erzählt.
„Ja, ich sah dich, ich sah, wie du ergriffen wurdest, von
Soldaten, glaube ich, auch Geistliche waren darunter; ircend¬
wer, ein riesengroßer Mensch, fesselte deine Hände, und ich
wußte, daß du hingerichtet werden solltest. Ich wußte es ohne
Mitleid, ohne Schauer, ganz von fern. Man führte dich in
einen Hof, in eine Art von Burghof. Da standest du nun
mit nach rückwärts gefesselten Händen und nackt. Und so, wie
ich dich sah, obwohl ich anderswo war, so sahst du auch mich,
auch den Mann, der mich in seinen Armen hielt, und alle die
andern Paare, diese unendliche Flut von Nacktheit, die mich
umschäumte, und von der ich und der Mann, der mich um¬
schlungen hielt, gleichsam nur eine Welle bedeuteten. Während
du nun im Burghof standest, erschien an einem hohen Bogen¬
fenster zwischen roten Vorhängen eine junge Frau mit einem
Diadem auf dem Haupt und im Purpurmantel. Es war die
Fürstin des Landes Sie sah hinab zu dir mit einem strei#ge
fragenden Blick. Du standest allein, die andern, so viele s
waren, hielten sich abseits, an die Mauern gedrückt, ich hörte
ein tückisches, gefahrdrohendes Murmeln und Raunen. Da
beugte sich die Fürstin über die Brüstung. Es wurde still,
und die Fürstin gab dir ein Zeichen, als gebiete sie dir, zu
ihr hinaufzukommen, und ich wißte, daß sie entschlossen war,
dich zu begnadigen. Aber du merktest ihren Blick nicht oder
wolltest ihn nicht merken. Plötzlich aber, immer noch mit ge¬
fesselten Händen, doch in einen schwarzen Mantel gehüllt,
standest du ihr gegenüber, nicht etwa in einem Gemach, sondern
irgendwie in freier Luft, schwebend gleichsam. Sie hielt ein
Pergamentblati in der Hand, dein Todesurteil, in dem auch
deine Schuld und die Gründe deiner Verurteilung aufgezeichnet
waren. Sie fragte oich — ich hörte die Worte nicht, aber ich
wußte es —, ob du bereit seiest, ihr Geliebter zu werden, in
diesem Fall war dir die Todesstrafe erlassen. Du schütteltest
verneinend den Kopf. Ich wunderte mich nicht, denn es war
vollkommen in der Ordnung und konnte gar nicht anders sein,
als daß du mir auf alle Gefahr hin und in alle Ewigkeit die
Treue halten mußtest. Da zuckte die Fürstin die Achseln,
winkte ins Leere, und da befandest du dich plötzlich einem
unterirdischen Kellerraum, und Peitschen sausten auf dien nieder,
ohne daß ich die Leute sah, die die Peiischen schwangen. Das
Blut floß wie in Bächen an dir herab, ich sah es fließen, war
mir meinen Grausamkeit bewußt, ohne mich über sie zu wun¬
dern. Nun trat die Fürstin auf dich zu. Ihre Haare waren
aufgelöst, flossen um ihren nackten Leib, das Diadem hielt sie
in beiden Händen dir entgegen — und ich wußte, daß sie das
Mädchen vom dänischen Strande war, das du einmal des
Morgens nackt auf der Terrasse einer Badehütte gesehen
hattest. Sie sprach kein Wort, aber der Sinn ihres
Hierfeins, ja ihres Schweigens war, ob du ihr Gatte und der
Fürst des Landes werden wolltest. Und da du wieder ab¬
lehntest, war sie plötzlich verschwunden, ich aber sah zugleich,
wie man ein Kreuz für dich aufrichtete; — nicht unten im
Burghof, nein, auf der blumenübersäten, unendlichen Wiese,
wo ich in den Armen eines Geliebten ruhte, unter all den
durch alter¬
rascheren Gang ein — ich begann zu schweben, auch du schwebtest
in den Lüften; doch plötzlich entschwanden wir einander, und ich
wußte: wir waren aneinander vorbeigeflogen. Da wünschte ich,
du solltest doch wenigstens mein Lachen hören, gerade während
man dich ans Kreuz schlüge. — und so lachte ich auf, so schrill,
so laut ich konnte. Das war das Lachen, Fridolin, — mit dem
ich erwacht bin.“
Sie schwieg und blieb ohne jede Regung. Auch er rührte
sich nicht und sprach kein Wort. Jedes wäre in diesem Augen¬
blick matt, lügnerisch und seig erschienen. Je weiter sie in ihrer
Erzählung fortgeschritten war, um so lächerlicher und nichtiger
erschienen ihm seine eigenen Erlebnisse, so weit sie bisher ge¬
diehen waren, und er schwor sich zu, sie alle zu erleben, sie ihr
dann getreulich zu berichten und so Vergeltung zu üben an dieser
Frau, die sich in ihrem Traum enthüllt hatte als die, die sie war,
treulos, grausam und verräterisch, und die er in diesem Augen¬
blick tiefer zu hassen glaubte, als er sie jemals geliebt hatte.
Nun merkte er, daß er immer noch ihre Finger mit seinen
Händen umfaßt hielt und daß er, wie sehr er diese Frau auch
zu hassen gewillt war, für diese schlanken, kühlen, ihm so ver¬
trauten Finger eine unveränderte, nur schmerzlicher gewordene
Zärtlichkeit empfand; und unwillkürlich, ja gegen seinen
Willen, — ehe er diese vertraute Hand aus der seinen löste
berührte er sie sanft mit seinen Lippen.
Traunnovelle
bos 5/7
e e deren
□
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus:
8 Uhr Abendblatt, Berlin
G. AnR
350 20
Traumnovelle.
Von
Arthur Schnitzler.
in diesen Tassl erscheint im Verlage von
S. Fischer (Berlin) das neueste Werk des Wiener
Dichters. Diese reife, zarte und die innersten Geheim¬
nisse des Seelenlebens zweier Menschen enthüllenbe No¬
velle zeigt den Künstler in seiner ganzen Größe. Mit
Erlaubnis des Verlages bringen wir den Traum der
Frau, wie sie ihn ihrem Gatten, der eine Nacht voll
seltener Abenteuer verbracht hat, am frühen Morgen
beim Erwachen erzählt.
„Ja, ich sah dich, ich sah, wie du ergriffen wurdest, von
Soldaten, glaube ich, auch Geistliche waren darunter; ircend¬
wer, ein riesengroßer Mensch, fesselte deine Hände, und ich
wußte, daß du hingerichtet werden solltest. Ich wußte es ohne
Mitleid, ohne Schauer, ganz von fern. Man führte dich in
einen Hof, in eine Art von Burghof. Da standest du nun
mit nach rückwärts gefesselten Händen und nackt. Und so, wie
ich dich sah, obwohl ich anderswo war, so sahst du auch mich,
auch den Mann, der mich in seinen Armen hielt, und alle die
andern Paare, diese unendliche Flut von Nacktheit, die mich
umschäumte, und von der ich und der Mann, der mich um¬
schlungen hielt, gleichsam nur eine Welle bedeuteten. Während
du nun im Burghof standest, erschien an einem hohen Bogen¬
fenster zwischen roten Vorhängen eine junge Frau mit einem
Diadem auf dem Haupt und im Purpurmantel. Es war die
Fürstin des Landes Sie sah hinab zu dir mit einem strei#ge
fragenden Blick. Du standest allein, die andern, so viele s
waren, hielten sich abseits, an die Mauern gedrückt, ich hörte
ein tückisches, gefahrdrohendes Murmeln und Raunen. Da
beugte sich die Fürstin über die Brüstung. Es wurde still,
und die Fürstin gab dir ein Zeichen, als gebiete sie dir, zu
ihr hinaufzukommen, und ich wißte, daß sie entschlossen war,
dich zu begnadigen. Aber du merktest ihren Blick nicht oder
wolltest ihn nicht merken. Plötzlich aber, immer noch mit ge¬
fesselten Händen, doch in einen schwarzen Mantel gehüllt,
standest du ihr gegenüber, nicht etwa in einem Gemach, sondern
irgendwie in freier Luft, schwebend gleichsam. Sie hielt ein
Pergamentblati in der Hand, dein Todesurteil, in dem auch
deine Schuld und die Gründe deiner Verurteilung aufgezeichnet
waren. Sie fragte oich — ich hörte die Worte nicht, aber ich
wußte es —, ob du bereit seiest, ihr Geliebter zu werden, in
diesem Fall war dir die Todesstrafe erlassen. Du schütteltest
verneinend den Kopf. Ich wunderte mich nicht, denn es war
vollkommen in der Ordnung und konnte gar nicht anders sein,
als daß du mir auf alle Gefahr hin und in alle Ewigkeit die
Treue halten mußtest. Da zuckte die Fürstin die Achseln,
winkte ins Leere, und da befandest du dich plötzlich einem
unterirdischen Kellerraum, und Peitschen sausten auf dien nieder,
ohne daß ich die Leute sah, die die Peiischen schwangen. Das
Blut floß wie in Bächen an dir herab, ich sah es fließen, war
mir meinen Grausamkeit bewußt, ohne mich über sie zu wun¬
dern. Nun trat die Fürstin auf dich zu. Ihre Haare waren
aufgelöst, flossen um ihren nackten Leib, das Diadem hielt sie
in beiden Händen dir entgegen — und ich wußte, daß sie das
Mädchen vom dänischen Strande war, das du einmal des
Morgens nackt auf der Terrasse einer Badehütte gesehen
hattest. Sie sprach kein Wort, aber der Sinn ihres
Hierfeins, ja ihres Schweigens war, ob du ihr Gatte und der
Fürst des Landes werden wolltest. Und da du wieder ab¬
lehntest, war sie plötzlich verschwunden, ich aber sah zugleich,
wie man ein Kreuz für dich aufrichtete; — nicht unten im
Burghof, nein, auf der blumenübersäten, unendlichen Wiese,
wo ich in den Armen eines Geliebten ruhte, unter all den
durch alter¬
rascheren Gang ein — ich begann zu schweben, auch du schwebtest
in den Lüften; doch plötzlich entschwanden wir einander, und ich
wußte: wir waren aneinander vorbeigeflogen. Da wünschte ich,
du solltest doch wenigstens mein Lachen hören, gerade während
man dich ans Kreuz schlüge. — und so lachte ich auf, so schrill,
so laut ich konnte. Das war das Lachen, Fridolin, — mit dem
ich erwacht bin.“
Sie schwieg und blieb ohne jede Regung. Auch er rührte
sich nicht und sprach kein Wort. Jedes wäre in diesem Augen¬
blick matt, lügnerisch und seig erschienen. Je weiter sie in ihrer
Erzählung fortgeschritten war, um so lächerlicher und nichtiger
erschienen ihm seine eigenen Erlebnisse, so weit sie bisher ge¬
diehen waren, und er schwor sich zu, sie alle zu erleben, sie ihr
dann getreulich zu berichten und so Vergeltung zu üben an dieser
Frau, die sich in ihrem Traum enthüllt hatte als die, die sie war,
treulos, grausam und verräterisch, und die er in diesem Augen¬
blick tiefer zu hassen glaubte, als er sie jemals geliebt hatte.
Nun merkte er, daß er immer noch ihre Finger mit seinen
Händen umfaßt hielt und daß er, wie sehr er diese Frau auch
zu hassen gewillt war, für diese schlanken, kühlen, ihm so ver¬
trauten Finger eine unveränderte, nur schmerzlicher gewordene
Zärtlichkeit empfand; und unwillkürlich, ja gegen seinen
Willen, — ehe er diese vertraute Hand aus der seinen löste
berührte er sie sanft mit seinen Lippen.