I, Erzählende Schriften 33, Traumnovelle, Seite 5

Traumnov
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33. enenenenenen.
M.
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BBRLIN N4
Telefon Norden 3031
Ausschnitt aus
Frankfurter Zeitung
2
2 3. Mal 1926


ROMANTISCHE
VERGLEICHUNGEN.
André Gide — Heinrich Mann¬
Arthur Schnitzler — Ricarda Huch.
Von Bernhard Diebold.
Die vier Erzählungen von André Gide, Hein¬
rich Mann, Arthur Schnitzler und Ricarda Huch
zeigen auf den ersten Blick kaum eine andere
Gemneinsamkeit, als daß sie alle aus der Gene¬
ration derer über fünfzig stammen.. Aber es
scheint, daß dieses zwischen Naturalismus und
Neuromantik reif gewordene Geschlecht doch bei
aller Grundverschiedenheit in Ton und Haltung
dennoch die gleiche Luft atmet und wieder aus¬
strömi: eine seltsam gemischte Atmosphäre, in
der die meisten Details in naturalistische
Nähe gelangen, während der Sinn und die
Stimmung das Ganze der Geschehnisse doch in
die Ferne rücken. Es sind romantische Kon¬
flikte, welche die Schicksale der Menschen zwi¬
sehen die Pole von Wunsch und Erfüllung, zwi¬
schen Symbol und Wirklichkeit, zwischen Traum
und Tat, zwischen Ueberschwang der Poesie und
Gleichmaß der Prosa stellen.
„Isabelle.“ Von André Gide. Uebersetzt
von Fritz Dönath. 19 Textillustrationen von
Raffaello Busoni. Berlin, J. M. Spaeth. 165
Seiten. Geb. = 6.
Dieser Franzose i nicht wie die meisten
seiner Landsleute vom Geiste Voltaires; er zeich¬
net nicht scharf, sondern duftig; und er setzt
seine Beobachtungen nicht auf dem direkten
Wege in die denkerische Form um. Er gehört zu
jenen-sonderbaren Sentimentalen nach Flauberts
Art, deren Sehnsucht den Duft der Dinge zu
atmen wünscht, auch wenn sie in tiefgründiger
Skepsis wissen, daß diese erträumten Dinge gar
keinen Duft besitzen.
So leht der Ich-Erzähler des Gideschen Buches
als Gast eines einsamen Landhauses in einem
Kreis in Eintönigkeit erstarrter Menschen; und er
wittert aus Reden und Gehaben dieser Alten, daß
ein geheimes Lebens-Agens von außen her noch
diese halberstorbene Weltterregt und immer wie¬
der aufweckt. Das ist die verlorene Tochter Isa¬
belle, die plötzlich nachts auf ein paar Stunden
ankommt, ihr verkrüppeltes Kind besucht; die
seitsäme Gespräche hinter verschlossenen Türen
mit den Alten führt — und wieder in Nacht und
Dunst verschwindet. Gide, der Erzähler, hat nur
ihr wundervolles Bild gesehen; und kennt nur
einen Brief von ihr, der von romantischer Liebe
und romantischer Flucht handelt. Denn sie liebte
einen Baron, der unerklärlicherweise in jener
Nacht der Entscheidung erschossen wurde; und
von dem sie den armen Knaben Kasimir erhielt.
Und nun dürstet der Dichter nach der Ergrün¬
dung des tieheimnisses und vergoldet sich die.
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Die Rube Gides wird in der virtuosen Vovelle
Heinrich Manns vermißt. Er schreibt die Liebes¬
Tovlie zweier junger Menschen: findet aber eben
für die „Idylle“ nicht den Gleichklang der Stim¬
mungen. Da wird kraß gestohlen, kraß gelicht
und kraß der bürgerlichen Familie das berühmte
épater le bourgeois entgegengeschrien. Der Ge¬
Flicbte zieht einen mißliebigen Anverwandten an
den Beinen zum Zimmer hinaus; und die so zar
benamte Liliane hält einen Neger zu Liebes¬
zwecken auf ihrem Zimmer eingesperrt, bevor
sie durch ihren Paul zum wahren Eros erweckt
weckt wird. Ein modisches Drum und Dran von
homosexuellen Anspielungen und Bar-Sensatio¬
nen umzirkt mit Widerwärtigkeiten die eigent¬
liche Handlung und ihre Symbolik.
Diese Symbolik heißt. Liebe steht gegen Alter
Jugend gegen Tod. Während aber Paul und
Liliane wirkliche Menschen sind und nur durch
ihr Gefühl in die romantische Idylle emporge¬
tragen werden, bleibt der
Vertreter der
Gegenpartei ein symbolisches Gespenst: der
Spielhalter der Bank des Glückes, der neidische
Mäzen und dämonische Voyer ihrer Leiden¬
schaften; der ewig gegenwärtige Mahner der
t und des Grabes. Mit großer Kunst und
Künstlichkeit bringt Mann es fertig, diese „ex¬
pressionistische“ Nebelerscheinung in der sonnen¬
grellen Luft der Riviera „wirklich“ zu erhalten.
Das Taggespenst labt vorn symbolischen Willen
des Autors. Das Reale dämmert künstlich ins
Märchenhafte hinüber. In Wasser und Feuer
muß die Erinnerung an den Alten erstickt und
verbrannt werden, Wieso es in der Seele der
Liebenden gelingen kann, wird uns nicht deut¬
lich. Eine weitere symbolgeschwängerte Figur,
wissen. Der
Forma mit Namen, muß es
Romantiker Mann wahrt aber ihr Geheimnis.
„Traumnovelle.? Von Arthur Schnitzler.
Berlin, S. Fischer. 136 Seiten. Geb.5.90.
Nach der künstlich aus der Symbol-Retorte
destillierten Romantik Heinrich Manns wirkt die
phantastische „Traumnovelle“ Schnitzlers wie
die reellste Berichterstattung. Nicht mit Sehn¬
sucht nach dem Unbekannten wie Gide, nicht mit
Gespensterei wie Mann erzeugt sich Schnitzler
das romantische Fluidum; sondern als Medi¬
zinel und Psychoanalytiker benützt er zur Ver¬
bannung der Realität den Traum. Das ist die
nüchternste Methode zum Taumel ins Roman¬
tische.
Ein Wiener Arzt unterhält sich nach einer
Ballnacht mit seiner Frau über die im Leben
versäumten Liebesmöglichkeiten. Geständnisse
und Wünsche erwecken die Ressentiments der
Eifersucht und des Geschlechtsneides bis zum
Haß. Aber die Feindschaft bricht nicht offen
aus; sondern ihre Regungen schleichen sich in
den Schlaf der beiden Seelen und alle unerfüllte
erotische Sehnsucht lebt sich in den Traum
hinein. Die Dame, das Dirnchen, die Braut des
andern tanzen einen wirren Reigen der Maskier¬
ten und der Nackten. Wirklichkeit der Erleb¬
nisse und Ueberschwang der träumenden Phan¬
tasie vermischen sich, bis keine Logik mehr
befiehlt als die der psychischen Assoziationen.
Der Meister des „Fräulein Else“ zeigt sich im
Menschenkennerischen — nicht so im künstle¬
rischen Wort und Aufbau — auch in diesem
Dramolet der Seele.
Was ist Wirklichkeit, wenn die be¬
gehrte fremde Maske auf dem Nacktball hinter
der Larve doch die Züge der eigenen Frau trägt?
Was ist romantische Traumerfüllung, wenn
keines all dieser Liebesabenteuer den sexuellen
Abschluß bietet? Der Mediziner Schnitzler wacht
über dem Romantiker in ihm. Die wildesten
Abenteuer im Zirkel der Geheimen oder die
Schauer an der Leiche auf dem Anatomie-Tisch
erklären sich im Dämmerlicht der Seele als über¬
reizte Erinnerungen aus dem Alltagsieben. Nicht
wie Pirandello uns zwischen Sein und Schein
unkontrollierbar hindurchschwindelt, sondern
mit verantwortlicher Kunst zeigt Schnitzler die
Verbindungen zwischen Bewußt und Unbewußt.
Das Romantische ist mit Psychologie verwirkt
und verwirklicht — vom Dichter real verdichtet
worden.
„Graf Mark und „die Prinzessin von
Nassau-Usingen. Eine tragische Bio¬
graphie. Von Ricarda Huch, Leipzig,
Deutsche Bücherei. 34 Seiten.
Nach den Romantikern der Sehnsucht, der
Symbolik und des Traumes wirkt die Erzählung
Ricarda Huchs als die konkreteste Gestaltung,
trotzdem sie auf dem ersten halben Dutzend
Seiten an dichterischem Stil die andern über¬
ragt. Man merkt dabei: des Dichterische ist nicht
nur das Verhauchende; und das Romantische
kann auch im Festen wirken.
erson
göttliche
lier läuft die Liebe in