raumnovelle
33.
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Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnift aus:
Hamburger Nachrichten
5 Juni 1926
Traumndbene.
Traum¬
Arthur Schnitle
novelle. Verna S. Fischer (Berlin).
Kein Traum ist ganz Traum. Keine Wirk¬
lichkeit ist ganze Wirklichkeit. Aus dieser Er¬
kenntnis, die für Freud zum Fundament seines
psychoanalytischen Lehrsatzes wurde, wob sein
medizinischer Kollege Arthur Schnitzler
die Urm. odie seiner neuen Prosadichtung, das
phantastische Gewand seel'scher Begebenheiten
von höchst subtilem Reiz.
Ein Eifersuchtsmotiv, lässig, spielerisch und
doch im tiefsten verfänglich, angeschlagen zwi¬
schen einem aufs innigste verwachsenen Ehepaar,
ist die Urzelle dieser Aufzeichnungen. Aus nur
geträumter, gedachter, nie tealisiert gewesener
oder werdender Untreue beraus wird ein Kom¬
plex verräterischer Gefühle in der Seele der bei¬
den geweckt: was an verborgensten Wünschen,
unterdrückten Trieben und Süchten in der
Wache des Mannes ruht, wird auf abenteuer¬
liche Weise in greifbare Nähe des Begehrens ge¬
rückt; was sie hingegen an Liebe, Furcht, Scham
und Ne###ier vielfältig verästelt in sich birgt,
wandelt sich auch bei ihr: aus der Liebe wächst
ihr im Traum Haß gegen den vermeintlich
Ungetreuen. Die fließenden Grenzen des Be¬
wußten und Unbewußten werden vor unserm
miterlebenden Auge gleichsam aufgelöst. Wir
sehen den Gatten, einen Wiener Arzt, im magi¬
schen Lichtkreis seiner physisch=psychischen Erleb¬
nisse: sehen ihn am Totenlager des Patienten,
dessen Tochter in Liebe die Hände nach ihm.
streckt, sehen ihn an der Seite des kindlichen
Straßenmädchens mit der naiden Seelenhaftig¬
keit eines primitiven Geschöpfes, oder später auf
nächtlicher Maskerade mit einem okkulten Nackt¬
kult an geheimer Stätte. Greifbare Erleönisse
das alles, die in der Nüchternheit des nächsten
Tages als durchaus wirklich und gewesen be¬
stätigt werden: und dennoch gleiten sie wie ein
ferner Schattenzug an uns vorüber und ban¬
nen uns fast quälerisch: ist es Traum, ist es
Wirklichkeit?
Das Finale: aus der Lösung des Un¬
bewußten erwächst die schönere Bewußtheit, durch
die Preisgabe der nächtlichen Erlebnisse in
Traum und Wirklichkeit, der die Ehegatten sich
nicht entziehen, wird der dunkle Bann genom¬
men und die Ehe wächst in eine neue, noch
hellere, noch edlere Gemeinsamkeitssphäre hinein.
Schnitzler ist in dieser Darstellung ganz Meister:
Meister der Seelen und Meister des Stils.
Wissend um tiefste Geheinnisse menschlicher
Seelen, zart und milde, gan ve innerlicht ent¬
wirft er doch höchst reale Bilder aufgelockerten
Lebens in vielfältig gebrochenen, sinnlichen Far¬
ben. Ein kleines Kunstwerk von tiefem Sinn,
aus echter Leidenschaft des Dichtens heraus.
O. Sch.
3 s.
Virug
1926
m Sonntag, 13. Juni
Neue Novellen von Schnitzler
Die Frau des Richters — Traumnovelle.
Die Form der Novelle wird nur da erfüllt, wo ein naives
Erzählertalent sich der schicksalhaften Führung einer Fabel über¬
verden. Man
läßt. Je mehr ein Schriftsteller um diese Form kämpft, desto
altenden Bür¬
problematischer scheint sie ihm zu werden. Auch Schnitzler ist ein
Problematiker dieser Form geblieben, sooft er sich um sie bemüht
bei nicht den
hat. Nach dem Monolognovellenexperiment von „Fräulein Else“
reaktionäre
kehrt er in der „Frau des Richters“ (Propyläenverlag,
terikanischen
Berlin) zu objektiverer Erzählung zurück. Nicht mehr entsteht
vähnt wohl
die Welt aus einem Gehirn, der Erzähler verteilt sich in die
dem das
einzelnen Gestalten, baut eine Ansicht von vielen Augen aus auf,
ei weitem
freilich auch hier wieder die einer Frau mit optischer Verschärfung
Gegen
vorschiebend. Es ist Schnitzler nicht gegeben, wie ein unbe¬
rchdringt,
wegter Gott über seinen Gestalten und ihren Schicksalen zu
er unter¬
thronen; er muß Partei ergreifen; er muß Recht und Unrecht,
„Affen¬
Schuld und Sühne verteilen. In der „Frau des Richters“ ruht
ein viel
sein Glauben sichtbarlich auf dieser Frau, die übe ihren schwäch¬
lichen Mann hinweg den Weg zur Selbstbestimmung findet.
Er war
Historisch angesiedelt, atmet die Erzählung dichte Atmosphäre:
inkenden
ein Stück Prosa, schön gebosselt und verziert, flußreich und haftend
e Herrn
mit der Gestalt dieser Frau und dem Fatalismus dieser Ehe,
Boys
mit der der Despotismus eines Souveräns spielt.
1 Hilfs¬
Fast scheint es, als ob Schnitzler in der „Traumnovelle“
nis —
(S. Fischer, Berlin) ein Gegenstück zu diesem Ablauf formen
chulen
wollte. Endet jene in die Freiheit und Bürgerlichkeit einer inner¬
meri¬
lich zerschlissenen, äußerlich aber weiterbestehenden Ehe, so läuft
mung
diese „Traumnovelle“ den umgekehrten Weg aus der Abenteuer¬
ikani¬
lichkeit einer problematisch gewordenen Ehe in die Ordnung und
rund¬
Zucht erneuter Gemeinschaft der Ehegatten zurück. Hier wird
einige
wieder betonter von einer Figue aus das Schicksal gesehen,
von einem Arzt, der, fünfunddreißigjährig, Vater eines Kindes,
nische
nach einem Beichtgespräch mit seiner Frau, plötzlich die Sehnsucht
nach Abenteuer in sich aufwühlen spürt. Das Schönste dieser
Noralle, die später vor Kraßheiten der Eudstanz nicht haltmacht,
an
ist die Einleitung, die Formung der erotischen Stimmung zwischen
den beiden Gatten. Diese subtile Schwekung geht leider im Ver¬
r.
lauf des Berichtes verloren, nicht zuletzt wvohl wiederum dadurch,
vieler
daß der Dichter kein Gleichgewicht zwischen dem Geschick der Frau
edden
und dem des Mannes zu schaffen versteht, vielmehr ihn ganz in
e der
den Vordergrund drängt. Es ist dieser Mann eine alte
com¬
Schnitzlerfigur, ein Arzt, gewöhnt, sozusagen hygienisch zu denken
einen
und zu fühlen, in aller Abenteuersehnsucht gehemmt durch die
schen
Angst vor der Spaltung seines Ichs, die sich in ihm zu voll¬
etzten
ziehen droht, und vor der er in die sichere Situation der Ehe
imen
heimkehrt. Die Frau bleibt mit einem Traum außerhalb des
zeich¬
Geschehens, ungedeutet und undeutbar. Aber vielleicht war dies
eiten,
der Sinn, den der Dichter ohne direkte Hinweise aussagen wollte.
rfah¬
hat,
7#
* Henning: Psychologie der Gegenwart. Dieses
ing, Psychologie der Gegenwart;