I, Erzählende Schriften 33, Traumnovelle, Seite 32

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Traunnovelle
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seiner Tochter zu verurteilen. Wessen Gefühle sind hier verwirrt, die des unglück¬
lichen Vaters oder der ihrem Weibtum lebenden Tochter, die des Lesers oder
des — Dichters? Stefan Zweig wird nicht beanspruchen, seiner Zeit einen Spiegel
vorhalten zu können, ohne selbst vom Atem dieser Zeit berührt zu werden, zu¬
mal er in seiner Sprache beweist, wie sehr er ihr den Pulsschlag ihrer Leidenschaft
abgelauscht hat.
Aber ein gutes Maß von Objektivität beweist er in seiner dritten Novelle, „Ver¬
wirrung der Gefühle“. Ein junger Mensch ist ahnungslos hineingestellt in ein
eifersüchtiges Werben des männlichen Eros und der weiblichen Dämonie, jenes
gehoben durch geistiges Schaffen des Meisters mit dem Schüler, dieses verständ¬
lich aus der auf Erfüllung eingestellten, aber immer wieder abgewiesenen Natur
des weiblichen Körpers. Die Tragik dieses jungen Studenten schildert Zweig mit
der ganzen Glut eines bis in das Innerste aufgewühlten Menschen, aber bewahrt
dabei die strenge Uberlegenheit des sittlichen Urteils.
In der neuesten Novelle von Heinrich Mann, „Liliane und Paul“ und gleicherweise
in der „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler liegt der Verwirrung der Gefühle
eine Verirrung der sittlichen Begriffé zu Grunde. „Wozu ist eine Frau da, wenn
man ihr künstlich Hindernisse in den Weg legt“, so denkt und fühlt die „süße
Liliane“, die Schauspielerin. Darum, aus einem boshaften Protest heraus gleich¬
sam, liest sie sich einen Neger von der Straße auf, sperrt ihn zum gelegentlichen
Gebrauche ein, heiratet irgendwo unterwegs und läßt sich scheiden. Sie fühlt sich
nur als ein armes Kind und nicht als eine Frau, für die Männer stehlen. Den
jungen Paul verkleidet sie als Mädchen mit Spitzenhöschen und Hemdchen: „Da
sah sie ihre Laune leibhaftig vor sich, und ihr klopfte das Herz wie einem neuen
Schöpfer.“ Dann tauchen beide unter im Fastnachtsgewühl Nizzas. „Was sie
fühlten, war weißer Steindamm in einsamer Helle, darunter einsam das große
Schwarzblaue, Schaumgekrönte, und zwischen den Unendlichkeiten der Sonne
und des Meeres unser kleines Menschengewühl. Nein, verschwunden war das kleine
Gewühl. Aufgelöst war es mit uns selbst in die große Freude. Wir sind in Freude
aufgelöst.“ (S. 28.)
Das komisch-phantastische Erlebnis mit dem „Wesen, das nur noch in anderen
lebt“, mit einem Greise, der knochige Hände und hohle, rauchblaue Augen hat,
ist wie ein Traum. „Wir haben uns nicht mehr in der Gewalt. Wir wissen nicht
mehr sicher, wenn wir träumen. Das will er, daß wir wahnsinnig werden.
bis sie in dem fremden Gesicht den Haß erkennen, die Eifersucht des Alters auf
das Glück der Jugend, die Sucht, Unglück zu verursachen durch Verwirrung der
Gefühle.
Arthur Schnitzler nimmt in seiner „Traumnovelle“ ähnlich wie Stefan Zweig
seinen Ausgang von der ungezügelten Hingabe des Geschlechts an abenteuerliches
„Wildern auf verbotenen Jagdgründen“. Auch in dieser Novelle ist eine Frau „zu
allem bereit“, entschlossen, Gatten und Kind hinzugeben. Der Gatte muß sich
„rächen“ und läßt sich einmal „gehen“, eine Nacht nur, eine richtige Wiener
Nacht, durch Lokale, in die man nur auf Parole Einlaß erhält, in denen der
Pianospieler mit verbundenen Augen vor dem Instrument sitzt. Man spürt es bis
in die Fingerspitzen, daß die Verwirrung der Gefühle, zwar weniger grotesk als
in „Liliane und Paul“ aber im Wirbel des Geschehens mit einer geradezu dia¬
bolischen Virtuosität das Blut auf sündige Siedehitze bringen will. Wir würden
nicht anstehen, den künstlerischen Wert dieser epischen Dichtung anzuerkennen,
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