Fraeulein Else
box 5/1
31. enenenenen
Dr Max Goldschmie
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Prager Cugblatt
8 Jan 1923
Fräulein Eise.
(Vor Arthur Schnißler. Paul Zsol##iy Verlag, Wien.)
Der Name des Venfassers allein würde den Saison¬
erfolg begründen. Nie war seine Kunst verfeinerter
alls in dieser kleinen Novelle, die trotz ihres knappen
Umfanges uns die grausame Tragik eines Monschen¬
chicksals mitfühlen läßt. Schnitzler ist auch in „Fräu¬
lein Else“, dem Typus des „süßen Mädels“ treu
geblieben. Fräulein Else ist eine Wienerin, sie ist
jung und anmutig, schön, graziös. kleidet sich mit
echtem Wiener Schick und alle Männerangen ruhen
auf ihr. Sie scheint für Liebe und Glück bestimmt,
allein das Schicksal, in seinen unberechenbaren Tücken,
hat sie dem Untergange geweiht. Das Schicksal ist in
diesem Falle die Familie Ein Vater, der ein genialer
Rechtsanwalt, in leichtsinniger Weise Mündelgelder
amn der Börse verspielt, eine beschränkte Mutter, ein
Bruder, der eigene Woge geht. Ein dekadentes
Milieu, nach außen scheinbarer Glanz bei inne¬
W
rem Zerfall, ein Milieu, das die so empfind¬
ame Seele des kleinen Mädchons vergiftet.
daß sie wuamstichig und krank wird,
ich dem An¬
turm, der über sie hereinbricht, nicht gewachsen zeigt
und zugrunde geht. In einem Hotel in San Martino
die Castvozza, in einer wunderbaren landschaftlichen
Umrahmung, hat sich ein junges, schönes Mädchen
mit Veronal vergiftet. Man liest es eines Tages in
der Chronik der Zeitung, man liest es mit tiefom
Bedemern, denn es handelt sich ja um ein blühendes
junges Menschenloben, denkt an törichte unglüchliche
Liebe und acht zu anderen Nachrichten über. Schon
bei der nächsten Seite hat man das traurige Ereignis
vongessen. Nicht so der Dichter! Ihm wird der tragi¬
sche Selbstmord des armen jungen Mädchens ein
persönliches furchtbares Erlebnis. Er vermag sich von
dom Findruck, den diese Nachricht auf ihn übt. nicht
so rasch los##lösen, er muß über sie nachsinnen, seine
dichterische ##tion verrät ihm Zusammenhänge,
die seine Ph¬
e zu einem Drama formt. Und im
komentriert¬
ihmen einer kleinen Novelle liest
man damn
Drama von atemraubender Span¬
ing, das
em tragischen Tode der Hau#n, der
gleicheeitie
Ende der Handlung ist, seinen Höhe¬
punkt er##
Dora Münch.
AlinaiAIHHWTsse
Dr. Max Goldschmielt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Husschnitt aus:
Berliner Börsenzeitung
27. Jan. 1925
Büchertisch.
„Fräulein Else“.
Novelle von Arthur Schnitzlen¬
Schlichter kann ein Buchtitel nicht sein: „Fräulein
Else". Mehr kann auf 136 Oktao-Seiten nicht von innen
herdargestellt werden, als in dieser neuesten Novelle von
Arthur Schnitzler (Paul ZsolznayVerlag, Wien—
Berlin.) Ein rührendes Mädchenschicksal, eine Tragödie von
mabwendbaver Konsequenz, ein wundervolles Meisterwerk
der deutschen Sprache, — das ist „Fräulein Else“. Was sehen
wir? (Denn es muß gleich gesagt werden: die Worte sind
hier nur ein Leitfaden durch das Sichtbare; mit ung aub¬
licher Kunst sind hier innere und äußere Vorgänge durch
die Suggestionskraft der Beschreibung, der Fühlbarmachung
so gestaltet, daß wir sie lebendig fühlen, daß wir sie deutlich
ehen bis zu einem Grade, der uns auf Idee kommen läßt,
diesem Mädchen zu helfen.) Was sehen wir? „Fräulenn
Else“ ist eie Neunzehnjährige aus guter Familie in Wien,
deben Vater ein hochbegabter Advokat, durch seinen Leicht¬
sinn das Glück seiner Familie immer wieder gefährdet.
Fräulein Else befindet sich mit Verwandten in einem
Hotel in den itallienischen Alpen. Tagtäglich ist ihre junge,
reine Schönheit Brennpunkt der auf sie gerichteten Blicke
der lüsternen Herrenwelt. Und an dem Abend, an dem
diese Geschichte abzuspielen beginnt, wird „Fräulein
Else“ von ihrem Geschick ereilt: ein Brief der Mutter klärt
sie darüber auf, daß der Vater Mündelgelder verspielt habe,
daß in zweimal vierundzwanzig Stunden, 30 000 Gulden
in Dr. Fiala zu zahlen seien, daß andernfalls der Valer
verhaftet würde, — kurzum: Else möge noch in dieser
Stunde mit Hern von Dorsday, dem reichen Kunsthändter
sprechen, einem alten, der zufällig auch in dem Gebirgshotel
mwesendem Freund der Familie „der doch schon mehrfach
in Notfällen Hilfe geleistet habe... Ueber Else stürzt der
Himmel zusammen. Ihre jungen, klugen Gedanken kreisen
wie irr um diesen trostlosen Brief der Mutter, dessen
Wirkung bald darauf noch durch ein Telegramm verstärkt
wird: nicht 30 000 sondern 50000 Gulden seien nötig, sonst
habe Dorrdays Hilfe keinen Zweck. Auch gut. Aber
zwischen dem Brief und dem Telegramm ist Else in einem
hoffnungslosen Abgrund gesunken. Sie hat mit Dorsday
gesprochen und dieser hat zugesagt, — under einer Bedin¬
gung: „Je vous désire“ ... Und er hat, als sie sich von
ihm abgewendet hatte, seine Bedingung gemildert: er wolle
ne lediglich eine Viertelstunde lang in der Schönheit ihres
nackten Körpers sehen... Stunden der Qual vergehen;
ndlich ist Else entschlossen: sie wird die Bedingung des
Herrn von Dorsday erfüllen, — der Vater muß gerettet
werden —, aber sie wird diese Bedingung in ihrer Art
erfüüllen. Und so erscheint sie denn nach dem Souper im
Marsitsalon, nur in ihren Abendmantel gehüllt, den sie
inter den Klängen des „Carneval“ von Schumann — vor
den bestürtzten Gästen und also auch vor Dorsday, aus
einanderschlägt. Man glaubt an einen hysterischen Anfall
sie sinkt wie bewußtlos ihrem Vetter in die Arme; aber sie
ist nicht bewußtlos, sie ##t alles mit klarer Ueberlegung
getan, sie ist auch durchaus vei Sinnen, als man sie nun
vie eine Schwerkranke auf ehr Zimmer trägt; und dort
tvinkt sie in einem unbewachten Augenblick eine Veronal¬
lösung und entschlummert allmählich,
— für immer.
Ein ganz herliches Buch, noch mehr fast durch seine
Form, als durch diesen besondoren Fall eines Schicksals,
essen Davstellung uns widerstandslos in seinem Bann
zwingt. Die Form aber ist die der von Minute zu Minute
genau in allen Einzelheiten fortschreitenden Niederschrift
der inneren Bewegung dieses Mädchens. Sie erzählt nicht,
im Ton des Tagebuchs etwa, sondern der Dichter, der sich
mit genialer psychiologischer Fühlsamkeit in ihr Gemüt
hineingelebt hat, berichtet jegliche Phase der Bewegungen
ieses Gemüts, die nur selten von kurzen Gesprächen nicht
einmal unterbrochen, sondern lediglich gestützt und unter¬
malt werden. Ein unendlich veifes, überlegenes Werk des
großen Menschenkenners, des Psychiologen und immer
wieder bewunderenswert zartsinnigen Dichtrs; man soll es
esen und nochmals lesen, — aber man soll nicht mehr
darüber sagen als notwendig ist, um die Besondenheit dieser
Dichtung aus dem Allgemeinen herauszuheben.
Hans Tessmer.
box 5/1
31. enenenenen
Dr Max Goldschmie
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Prager Cugblatt
8 Jan 1923
Fräulein Eise.
(Vor Arthur Schnißler. Paul Zsol##iy Verlag, Wien.)
Der Name des Venfassers allein würde den Saison¬
erfolg begründen. Nie war seine Kunst verfeinerter
alls in dieser kleinen Novelle, die trotz ihres knappen
Umfanges uns die grausame Tragik eines Monschen¬
chicksals mitfühlen läßt. Schnitzler ist auch in „Fräu¬
lein Else“, dem Typus des „süßen Mädels“ treu
geblieben. Fräulein Else ist eine Wienerin, sie ist
jung und anmutig, schön, graziös. kleidet sich mit
echtem Wiener Schick und alle Männerangen ruhen
auf ihr. Sie scheint für Liebe und Glück bestimmt,
allein das Schicksal, in seinen unberechenbaren Tücken,
hat sie dem Untergange geweiht. Das Schicksal ist in
diesem Falle die Familie Ein Vater, der ein genialer
Rechtsanwalt, in leichtsinniger Weise Mündelgelder
amn der Börse verspielt, eine beschränkte Mutter, ein
Bruder, der eigene Woge geht. Ein dekadentes
Milieu, nach außen scheinbarer Glanz bei inne¬
W
rem Zerfall, ein Milieu, das die so empfind¬
ame Seele des kleinen Mädchons vergiftet.
daß sie wuamstichig und krank wird,
ich dem An¬
turm, der über sie hereinbricht, nicht gewachsen zeigt
und zugrunde geht. In einem Hotel in San Martino
die Castvozza, in einer wunderbaren landschaftlichen
Umrahmung, hat sich ein junges, schönes Mädchen
mit Veronal vergiftet. Man liest es eines Tages in
der Chronik der Zeitung, man liest es mit tiefom
Bedemern, denn es handelt sich ja um ein blühendes
junges Menschenloben, denkt an törichte unglüchliche
Liebe und acht zu anderen Nachrichten über. Schon
bei der nächsten Seite hat man das traurige Ereignis
vongessen. Nicht so der Dichter! Ihm wird der tragi¬
sche Selbstmord des armen jungen Mädchens ein
persönliches furchtbares Erlebnis. Er vermag sich von
dom Findruck, den diese Nachricht auf ihn übt. nicht
so rasch los##lösen, er muß über sie nachsinnen, seine
dichterische ##tion verrät ihm Zusammenhänge,
die seine Ph¬
e zu einem Drama formt. Und im
komentriert¬
ihmen einer kleinen Novelle liest
man damn
Drama von atemraubender Span¬
ing, das
em tragischen Tode der Hau#n, der
gleicheeitie
Ende der Handlung ist, seinen Höhe¬
punkt er##
Dora Münch.
AlinaiAIHHWTsse
Dr. Max Goldschmielt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Husschnitt aus:
Berliner Börsenzeitung
27. Jan. 1925
Büchertisch.
„Fräulein Else“.
Novelle von Arthur Schnitzlen¬
Schlichter kann ein Buchtitel nicht sein: „Fräulein
Else". Mehr kann auf 136 Oktao-Seiten nicht von innen
herdargestellt werden, als in dieser neuesten Novelle von
Arthur Schnitzler (Paul ZsolznayVerlag, Wien—
Berlin.) Ein rührendes Mädchenschicksal, eine Tragödie von
mabwendbaver Konsequenz, ein wundervolles Meisterwerk
der deutschen Sprache, — das ist „Fräulein Else“. Was sehen
wir? (Denn es muß gleich gesagt werden: die Worte sind
hier nur ein Leitfaden durch das Sichtbare; mit ung aub¬
licher Kunst sind hier innere und äußere Vorgänge durch
die Suggestionskraft der Beschreibung, der Fühlbarmachung
so gestaltet, daß wir sie lebendig fühlen, daß wir sie deutlich
ehen bis zu einem Grade, der uns auf Idee kommen läßt,
diesem Mädchen zu helfen.) Was sehen wir? „Fräulenn
Else“ ist eie Neunzehnjährige aus guter Familie in Wien,
deben Vater ein hochbegabter Advokat, durch seinen Leicht¬
sinn das Glück seiner Familie immer wieder gefährdet.
Fräulein Else befindet sich mit Verwandten in einem
Hotel in den itallienischen Alpen. Tagtäglich ist ihre junge,
reine Schönheit Brennpunkt der auf sie gerichteten Blicke
der lüsternen Herrenwelt. Und an dem Abend, an dem
diese Geschichte abzuspielen beginnt, wird „Fräulein
Else“ von ihrem Geschick ereilt: ein Brief der Mutter klärt
sie darüber auf, daß der Vater Mündelgelder verspielt habe,
daß in zweimal vierundzwanzig Stunden, 30 000 Gulden
in Dr. Fiala zu zahlen seien, daß andernfalls der Valer
verhaftet würde, — kurzum: Else möge noch in dieser
Stunde mit Hern von Dorsday, dem reichen Kunsthändter
sprechen, einem alten, der zufällig auch in dem Gebirgshotel
mwesendem Freund der Familie „der doch schon mehrfach
in Notfällen Hilfe geleistet habe... Ueber Else stürzt der
Himmel zusammen. Ihre jungen, klugen Gedanken kreisen
wie irr um diesen trostlosen Brief der Mutter, dessen
Wirkung bald darauf noch durch ein Telegramm verstärkt
wird: nicht 30 000 sondern 50000 Gulden seien nötig, sonst
habe Dorrdays Hilfe keinen Zweck. Auch gut. Aber
zwischen dem Brief und dem Telegramm ist Else in einem
hoffnungslosen Abgrund gesunken. Sie hat mit Dorsday
gesprochen und dieser hat zugesagt, — under einer Bedin¬
gung: „Je vous désire“ ... Und er hat, als sie sich von
ihm abgewendet hatte, seine Bedingung gemildert: er wolle
ne lediglich eine Viertelstunde lang in der Schönheit ihres
nackten Körpers sehen... Stunden der Qual vergehen;
ndlich ist Else entschlossen: sie wird die Bedingung des
Herrn von Dorsday erfüllen, — der Vater muß gerettet
werden —, aber sie wird diese Bedingung in ihrer Art
erfüüllen. Und so erscheint sie denn nach dem Souper im
Marsitsalon, nur in ihren Abendmantel gehüllt, den sie
inter den Klängen des „Carneval“ von Schumann — vor
den bestürtzten Gästen und also auch vor Dorsday, aus
einanderschlägt. Man glaubt an einen hysterischen Anfall
sie sinkt wie bewußtlos ihrem Vetter in die Arme; aber sie
ist nicht bewußtlos, sie ##t alles mit klarer Ueberlegung
getan, sie ist auch durchaus vei Sinnen, als man sie nun
vie eine Schwerkranke auf ehr Zimmer trägt; und dort
tvinkt sie in einem unbewachten Augenblick eine Veronal¬
lösung und entschlummert allmählich,
— für immer.
Ein ganz herliches Buch, noch mehr fast durch seine
Form, als durch diesen besondoren Fall eines Schicksals,
essen Davstellung uns widerstandslos in seinem Bann
zwingt. Die Form aber ist die der von Minute zu Minute
genau in allen Einzelheiten fortschreitenden Niederschrift
der inneren Bewegung dieses Mädchens. Sie erzählt nicht,
im Ton des Tagebuchs etwa, sondern der Dichter, der sich
mit genialer psychiologischer Fühlsamkeit in ihr Gemüt
hineingelebt hat, berichtet jegliche Phase der Bewegungen
ieses Gemüts, die nur selten von kurzen Gesprächen nicht
einmal unterbrochen, sondern lediglich gestützt und unter¬
malt werden. Ein unendlich veifes, überlegenes Werk des
großen Menschenkenners, des Psychiologen und immer
wieder bewunderenswert zartsinnigen Dichtrs; man soll es
esen und nochmals lesen, — aber man soll nicht mehr
darüber sagen als notwendig ist, um die Besondenheit dieser
Dichtung aus dem Allgemeinen herauszuheben.
Hans Tessmer.