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31. Fraculein Else
ur!
—
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefont Norden 3051
Ausschnitt sus:
8 Uhr Abensblatt, Berlin
31 März 1925
Arthar Schnißler: „Fräulein Ese“.
Diese Novelle Schnitzlers (im Paul Zsol¬
nay=Verlag. Min blendendes
Virtuosenstück jener pfychologischen Erzählungs¬
kunst. von der eine jüngere Generation nichts
mehr wissen will, und leider auch nicht viel
weiß. Schnitzler, der reise Meister, nimmt hier
noch einmal die Techrik seiner Jugendnovelle
„Leutnant Gustl“ auf: die ganze Geschichte,
130 Seiten, spielt an einem einzigen Abend, in
wenigen Stunden, und ist als ununterbrochener
Monolog der Heldin in Ich=Erzählung hingelegt.
Die Schilderung der Vorgänge, die Seelen¬
zerklaubung, wird nicht objektiv=analytisch vor¬
genommen, sondern das Draußen und Drinnen
muß sich der Leser erdichten aus dem Selbst¬
gespräch der Heldin. einer schonen, jungen, ele¬
ganten Dame in Mactino di Castrozza, die für
ihren bankrotten Vater einen reichen Herrn um
ein Darlehn bitten soll; worauf dieser den
nackten Anblick des Fräuleins fordert, das trotz
ihrer zeitgemäßen feellschen Struktur ob dieser
Forderung aus den Fugen birst und sich in
hysterischem Anfall mit Veronal umbringt.
Wie das Innere dieses Mädchens bloßgelegt
ist, wie ein Dutzend Personen gespenstisch und
doch klar sichtbar werden, wie sich das Hotel des
Kurorts und die Familie im sernen Wien mit
ein par Strichen und Tupfen greifbar aus¬
breiten, wie die Heldin im Irrsinnstrubel sich
selbst hinpeitscht zur Exhibition, plötzlich nackt
vor den Hotelgästen zu stehen, — da ist gar keine
Kritik erforderlich, weil hier letzte Möglichkeiten
der in sprachliche Darstellungskunst verwandel¬
ten Seelenkenntnis erreicht sind . . . wobei nicht
gefragt werden soll, ob es Technik oder Dichtung
ist, wodurch dies Bewunderungsgefühl in uns
erweckt wird.
Kurt Pinthus.
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Russchnift aus:
Essener Allgemeine Seitung, Essen
4 Ans 4028
Zücherschau.
Novellen.
Fräulein Else von Arthur Schnitler. Verlag
Paul Zsolnay, Berlin. — S#la#ist Mie###und die
wienerische Athmosphäre, das Müde einer sterbenden Kul¬
tur, die spielerische Melancholie gaben seinen früheren Wer¬
en die bestimmende Klangfarbe. Seine naturalistische Kunst
vermochte Stimmung einz##angen und ließ eine lesse ge¬
dämpfte Musik der Seele mie im „Anatol“, in der „Liebe¬
lei“ erklingen. — Aber wohin haben die Zeiten diesen
liebenswürdigen Leichtsinn, die müde Skepfis, dieses Ge¬
bilde von Traum und Spiel verweht? — Das Schicksahl
ging über die Menschen dahin und hat sie ernster und
härter gemacht. Das wirhelnde, hetzende Tempo eines
neuen Lebens hat auch ein neues Lebensgefühl geformt.
Etwas von dieser schicksalhaften Wandlung ist auch in
Schnitzlers neuem Werk zu spüren, das die Herkunft von
Naturalismus und die Schnitzler eigene Selbstreflexion,
oft auch noch das Spielerische nicht verleugnen kann. Aber
eine Gestrafftheit in Form und Sprache, ein eilendes unt
zwingendes Tempo machen sich geltend, wie wir es an
Schnittersonst-nicht gewöhnwar Die Begepesher
ist kurz erzählt. Fräulein Else, Tochter eines Wiener An
walts, dessen Siun für Ehrlichkeit nicht stark ausgepräg
ist, hält sich in einem südlichen Kurort auf. Um Ver¬
untreuungen ihres Vaters zu decken und ihn zu reiten
muß sie einen im Hotel weilenden Bekannten um eine hoh
Geldsumme bitten, die dieser ihr gewähren will, wenn
si
sich ihm nackt zeigt, denn „alles auf der Welt hat seinel
Preis. In ihrer Verzreeiflung und allzu frühen und
bitteren Menschenerkenntns und um sich an Dorsdays un
geheuerlicher Zumutung zu rächen, erfüllt sie seine Ford¬
rung auf ihre Art. Hüllenlos zeigt sie sich ihm vor aller
Menschen in der Hotelhalle, bricht zusammen und nimm
Veronal, das sie von allen Drangsalen des irdische
Lebens erlöst. — Die Handlung wäre sensationell un
nichts weiter, venn der Dichter sie nicht vom Menschliche
her durchleuchtete und der Novelle eine neuartige Forn
und damit eine unerhörte Konzentration verliehen hätte¬
Die Novelle ist fast ein ununterbrochenes Selbstgespräck
von Fräulein Else. Ihre Gedanken vom beendeten nach
mittäglichen Tennisspiel bis zum abendlichen Tod, die er#
bunt und lustig durcheinandergehen, bis sie immer gehetz'
ter, immer verzweifelter zum unabänderlichen, letzten Aus¬
weg führen, geben das erschütternde Bild ihres Lebens,
ihrer Umgebung, ihrer kleinen Abenteuer ihrer enttäusch¬
ten Erfahrungen. Die durch die monologische Form er¬
reichte Einheit hat der Navelle derart viel an Innerlich¬
keit, psychologischer Feinheit, an Spannkraft verliehen,
daß ihre Lesung zu einem Ereignis wird. Das hohnvolle
„Adresse bleib: Fiala“ (die Adresse, an die das erbetene
Geld geschickt werden soll) klingt wie das unerbittliche
Pochen des Schicksals immer wieder auf. — Daß an
Menschliches, Inneres gerührt wird, darf man bei einem
dichter vom Range Schnitzlers erwarten. Besinnliches,
Stimmungshaftes läßt zwar die monologische Begeben¬
heit in ihrem unerbittlichen Ablauf kaum zu, desto stärker
wvirkt dann etwa solch eine Stelle, an der das kleine
Fräulein Else in ihrer Verzweiftung bekennt: „Es gibt
Telegramme und Hotels und Berge und Bahnhöfe und
Wälder, aber Menschen gibt es nicht. Die träumen wir
Schnitzlers Novelistik hat in dieser Dichtung
nur.
icherlich einen Höhepunkt erreicht und sein Werk, wird der
mneren Form nach auch für die kommende Kunst von Be¬,
deutung sein.
Dr. M.=Sch.
Cinown.
31. Fraculein Else
ur!
—
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefont Norden 3051
Ausschnitt sus:
8 Uhr Abensblatt, Berlin
31 März 1925
Arthar Schnißler: „Fräulein Ese“.
Diese Novelle Schnitzlers (im Paul Zsol¬
nay=Verlag. Min blendendes
Virtuosenstück jener pfychologischen Erzählungs¬
kunst. von der eine jüngere Generation nichts
mehr wissen will, und leider auch nicht viel
weiß. Schnitzler, der reise Meister, nimmt hier
noch einmal die Techrik seiner Jugendnovelle
„Leutnant Gustl“ auf: die ganze Geschichte,
130 Seiten, spielt an einem einzigen Abend, in
wenigen Stunden, und ist als ununterbrochener
Monolog der Heldin in Ich=Erzählung hingelegt.
Die Schilderung der Vorgänge, die Seelen¬
zerklaubung, wird nicht objektiv=analytisch vor¬
genommen, sondern das Draußen und Drinnen
muß sich der Leser erdichten aus dem Selbst¬
gespräch der Heldin. einer schonen, jungen, ele¬
ganten Dame in Mactino di Castrozza, die für
ihren bankrotten Vater einen reichen Herrn um
ein Darlehn bitten soll; worauf dieser den
nackten Anblick des Fräuleins fordert, das trotz
ihrer zeitgemäßen feellschen Struktur ob dieser
Forderung aus den Fugen birst und sich in
hysterischem Anfall mit Veronal umbringt.
Wie das Innere dieses Mädchens bloßgelegt
ist, wie ein Dutzend Personen gespenstisch und
doch klar sichtbar werden, wie sich das Hotel des
Kurorts und die Familie im sernen Wien mit
ein par Strichen und Tupfen greifbar aus¬
breiten, wie die Heldin im Irrsinnstrubel sich
selbst hinpeitscht zur Exhibition, plötzlich nackt
vor den Hotelgästen zu stehen, — da ist gar keine
Kritik erforderlich, weil hier letzte Möglichkeiten
der in sprachliche Darstellungskunst verwandel¬
ten Seelenkenntnis erreicht sind . . . wobei nicht
gefragt werden soll, ob es Technik oder Dichtung
ist, wodurch dies Bewunderungsgefühl in uns
erweckt wird.
Kurt Pinthus.
Dr. Max Goldschmiet
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Russchnift aus:
Essener Allgemeine Seitung, Essen
4 Ans 4028
Zücherschau.
Novellen.
Fräulein Else von Arthur Schnitler. Verlag
Paul Zsolnay, Berlin. — S#la#ist Mie###und die
wienerische Athmosphäre, das Müde einer sterbenden Kul¬
tur, die spielerische Melancholie gaben seinen früheren Wer¬
en die bestimmende Klangfarbe. Seine naturalistische Kunst
vermochte Stimmung einz##angen und ließ eine lesse ge¬
dämpfte Musik der Seele mie im „Anatol“, in der „Liebe¬
lei“ erklingen. — Aber wohin haben die Zeiten diesen
liebenswürdigen Leichtsinn, die müde Skepfis, dieses Ge¬
bilde von Traum und Spiel verweht? — Das Schicksahl
ging über die Menschen dahin und hat sie ernster und
härter gemacht. Das wirhelnde, hetzende Tempo eines
neuen Lebens hat auch ein neues Lebensgefühl geformt.
Etwas von dieser schicksalhaften Wandlung ist auch in
Schnitzlers neuem Werk zu spüren, das die Herkunft von
Naturalismus und die Schnitzler eigene Selbstreflexion,
oft auch noch das Spielerische nicht verleugnen kann. Aber
eine Gestrafftheit in Form und Sprache, ein eilendes unt
zwingendes Tempo machen sich geltend, wie wir es an
Schnittersonst-nicht gewöhnwar Die Begepesher
ist kurz erzählt. Fräulein Else, Tochter eines Wiener An
walts, dessen Siun für Ehrlichkeit nicht stark ausgepräg
ist, hält sich in einem südlichen Kurort auf. Um Ver¬
untreuungen ihres Vaters zu decken und ihn zu reiten
muß sie einen im Hotel weilenden Bekannten um eine hoh
Geldsumme bitten, die dieser ihr gewähren will, wenn
si
sich ihm nackt zeigt, denn „alles auf der Welt hat seinel
Preis. In ihrer Verzreeiflung und allzu frühen und
bitteren Menschenerkenntns und um sich an Dorsdays un
geheuerlicher Zumutung zu rächen, erfüllt sie seine Ford¬
rung auf ihre Art. Hüllenlos zeigt sie sich ihm vor aller
Menschen in der Hotelhalle, bricht zusammen und nimm
Veronal, das sie von allen Drangsalen des irdische
Lebens erlöst. — Die Handlung wäre sensationell un
nichts weiter, venn der Dichter sie nicht vom Menschliche
her durchleuchtete und der Novelle eine neuartige Forn
und damit eine unerhörte Konzentration verliehen hätte¬
Die Novelle ist fast ein ununterbrochenes Selbstgespräck
von Fräulein Else. Ihre Gedanken vom beendeten nach
mittäglichen Tennisspiel bis zum abendlichen Tod, die er#
bunt und lustig durcheinandergehen, bis sie immer gehetz'
ter, immer verzweifelter zum unabänderlichen, letzten Aus¬
weg führen, geben das erschütternde Bild ihres Lebens,
ihrer Umgebung, ihrer kleinen Abenteuer ihrer enttäusch¬
ten Erfahrungen. Die durch die monologische Form er¬
reichte Einheit hat der Navelle derart viel an Innerlich¬
keit, psychologischer Feinheit, an Spannkraft verliehen,
daß ihre Lesung zu einem Ereignis wird. Das hohnvolle
„Adresse bleib: Fiala“ (die Adresse, an die das erbetene
Geld geschickt werden soll) klingt wie das unerbittliche
Pochen des Schicksals immer wieder auf. — Daß an
Menschliches, Inneres gerührt wird, darf man bei einem
dichter vom Range Schnitzlers erwarten. Besinnliches,
Stimmungshaftes läßt zwar die monologische Begeben¬
heit in ihrem unerbittlichen Ablauf kaum zu, desto stärker
wvirkt dann etwa solch eine Stelle, an der das kleine
Fräulein Else in ihrer Verzweiftung bekennt: „Es gibt
Telegramme und Hotels und Berge und Bahnhöfe und
Wälder, aber Menschen gibt es nicht. Die träumen wir
Schnitzlers Novelistik hat in dieser Dichtung
nur.
icherlich einen Höhepunkt erreicht und sein Werk, wird der
mneren Form nach auch für die kommende Kunst von Be¬,
deutung sein.
Dr. M.=Sch.
Cinown.