I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 32

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31. Fraeulein Else
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Direktor (zu den Schauspielern): Was halten die Herrschatten von dieser An¬
sicht? Ich meine darin fast etwas von einem neuen Schausoielstll zu wittern.
Aufor: Und seien Sie überzeugt, meine Verehrtesten, nur mit einem neuen
Schauspielstil wird das Theater wieder möglich werden, und Sie alle werden
dabei ihre Existenz finden.
Erster Schauspieler: Wie denken Sie darüber, Direktor?
Zweiter Schauspieler: Wäre allenfalls auf diesem Wege eine Gagenerhöhung
möglich?
Direktor: Sobald ich die Mittel dazu habe.
Erster Schauspieler: Daraufhin könnten wir einmal den Versuch wagen.
Die Schauspieler: Wagen wir s. Vorhang.
JAKOB BUHRER
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NEUE ERZAHLENDE PROSA
Man kennt Nietzsches strenge Worte über den, ach so kleinen „Schatz der
deutschen Prosa“ von europäischer Höhe. Aber seitdem die deutschen Schrift¬
steller von ihm selbst, der der deutschen Prosa halkyonische Freiheit und Voll¬
kommenheit, kühnste Biegsamkeit, göttliche Bosheit und Heile gegeben, schrei¬
ben gelernt haben, ist es allgemach besser, ist Deutschlands Prosadichtung
wieder europäisch möglich geworden, der besten französischen, der Prosa
Stendhals und Flauberts gleichwertig, und die deutsche Erzählungskunst seit
1900 zeitigte gar nicht wenige Werke von hohem, einige von höchstem sprach¬
lichen und geistigen Niveau. Nietzsches Sendung vornehmlich war es auch,
den mehr seelischen Deutschen von gestern in einen immer mehr geistigen zu
wandeln, was weiterhin bewirkte, dass Kunst und Geist in eins flossen, dass die
deutsche Dichtung, auf haarscharfe Antithetik, dialektische Spannung und Un¬
erbittlichkeit bedacht, immer geistigeren Rhythmus gewann. Dieses Schauspiel
einer Verwandlung des deutschen Menschen und damit notwendig auch der
deutschen Dichtung wirkt in Deutschland, wie täglich zu sehen ist, vielfach
noch verwirrend und zeitigt seltsam abschätzige Kunsturteile, zumal unter
jenen engherzig Beharrenden und Rückgewandten, die nur die intim deutsche,
versponnen-sehnsüchtige, treuherzig-dumpfe, naturhaft-einfältige Gernüts¬
dichtung als eigentliche und vollwertige Dichtung gelten lassen wollen. Feind¬
selig-verstockt gegen die notwendige Umschichtung des deutschen Kosmos,
wie sie sind, geben sie ihre falsch-empfindsamen und dummdreist-eifernden
Wertungen, Zeugnisse ihrer eigenen Rat- und Zukunftslosigkeit, und sprechen
von der ahndevoll-schöpferischen Natur einerseits und dem „nur“ gekonnten,
bewussten Geist andrerseits.
Otto Flake ist ein überaus kluger Kopf, einer der wenigen, sehr wenigen un¬
philisterlichen Geister der deutschen Wende heute. Inmitten all der anarchischen
Fragwürdigkeit einer zerstürzenden Welt sucht er besonnen nach neuer Lebens¬
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