31. Fraeulein Else
# e det e eteestessessesee resteterstere
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form, in energischer, jedoch nicht falsch rauschvoller Zukunftsverbundenheit.
Unsentimental, sachlich, gelassen, männlich, unbeirrbar geistig, müht er sich um
die deutsche Problematik, mit verantwortungsbewusster Strenge spricht er über
die deutsche Unzulänglichkeit und Brüchigkeit, wo Natur und Vernunft, gegen
einander unehrlich und gewalttätig, sich einengen und zersetzen. Er möchte den
deutschen Menschen wieder ganz, wieder europäisch möglich machen, ihm
Zucht und Souveränität anerziehen, indem er ihm sein Heimweh nach dem
Gemütsnebel, nach allem Wogenden, Schwebenden, Verschwommenen tief
verdächtig macht. In Flake, dem Elsäßer, lebt eine tiefe, man kann sagen:
romanische (aber durch Geister wie er, wie Thomas und Heinrich Mann all¬
gemach auch deutsch werdende) Lust am Geordneten, Übersichtlichen, Form¬
starken, an trockener Luft und hellem Himmel. Den seelisch-musikalischen
Deutschen empfindet er als rückständigen Typus, wie ja auch Thomas Mann
neuerdings das „zweideutige Dunkelheitselement der Musik in Deutschland
bekämpfen zu müssen glaubt, um „dem deutschen Wesen Form, Bewusstheit,
helle Weltgültigkeit, Vornehmheit in der Welt zu verleihen“. Es herrscht in
Flakes Persönlichkeit ein ausnehmend reines, glückliches, wohltuendes In¬
mander von sinnlicher Kraft und geistigem Gesetz, und Symbol und Ausdruck
dieser Ganzheit sind seine Romane, geistige Plastik, wie seine kritischen Bücher,
die Novellen des Geistes sind: sie wollen alle den geschauten neuen Typus
darstellen und dazu mithelfen, dass er in Deutschland Wirklichkeit gewinne.
In diesem Sinne wollte er seinen Ruland aufgenommen wissen, in diesem
Sinne gab er auch seinen letzten Roman Der gute Meg!). Georg, die Hauptgestalt
dieses Buches, ein Auslanddeutscher, ist stark westeuropäisch eingestellt, welt¬
gereist und unbürgerlich, ohne alle allzudeutsche Enge, die ihn, wo er ihrer
ansichtig wird, ungeduldig und frieren macht: wie trostlos wirkt jenes Deutsch¬
tum ganz ohne europäischen Blick, ohne Diskretion und überlegene Ruhe, voll
hochmütiger Weltfremdheit und hysterischen Hasses auf alles menschlich und
sittlich Neue und Zukünftige! Georg, instinktsicher, aber nicht instinktverhaftet,
sich besitzend, aber nicht pharisäisch selbstgerecht, feinfühlig, aber nicht emp¬
findsam, stellt, wie einige andere männliche Gestalten Flakes, etwas wie ein
Wunschbild des deutschen Menschen von morgen dar. „Heilige Nüchternheit:
ein wunderbares Wort“, sagt er einmal, Haupt- und Eigenschaftswort gleich
stark betonend. Geist ist ihm nicht einfach ratio, Aufklärung, überheblich und
unzulänglich, sondern Helligkeit der Sinne und des Gedankens, die gleichwohl
die Unlösbarkeit der eigentlich tiefen geistig-sittlichen Antinomien fühlt und
irgendwie fromm bejaht. Was Georg lebt, ist die neue Ganzheit einer Einung
von Blut und Geist nicht auf der metaphysischen, sondern auf der Lebensebene
(er ist geistdurchglutet und zugleich heidnisch sinnlich), jene Naturvergeistigung.
die, nach Stefan Georges hohem Wort, „den Leib vergottet und den Gott ver¬
leibt . — In das junge Leben Georgs greifen drei Frauen. Die Südslavin Vera,
Schreespielerin, triebhaft, aber nicht dumpf, neuheidnisch („Nymphe sein,
wenn ihr Pan begegnet'), unbürgerlich, aber mit einer halben Sehnsucht nach
bürgerlicher Sicherheit, bürgerlichem Glück, Georgs Geliebte und Kameradin.
1) S. Fischer, Verlag, Berlin.
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form, in energischer, jedoch nicht falsch rauschvoller Zukunftsverbundenheit.
Unsentimental, sachlich, gelassen, männlich, unbeirrbar geistig, müht er sich um
die deutsche Problematik, mit verantwortungsbewusster Strenge spricht er über
die deutsche Unzulänglichkeit und Brüchigkeit, wo Natur und Vernunft, gegen
einander unehrlich und gewalttätig, sich einengen und zersetzen. Er möchte den
deutschen Menschen wieder ganz, wieder europäisch möglich machen, ihm
Zucht und Souveränität anerziehen, indem er ihm sein Heimweh nach dem
Gemütsnebel, nach allem Wogenden, Schwebenden, Verschwommenen tief
verdächtig macht. In Flake, dem Elsäßer, lebt eine tiefe, man kann sagen:
romanische (aber durch Geister wie er, wie Thomas und Heinrich Mann all¬
gemach auch deutsch werdende) Lust am Geordneten, Übersichtlichen, Form¬
starken, an trockener Luft und hellem Himmel. Den seelisch-musikalischen
Deutschen empfindet er als rückständigen Typus, wie ja auch Thomas Mann
neuerdings das „zweideutige Dunkelheitselement der Musik in Deutschland
bekämpfen zu müssen glaubt, um „dem deutschen Wesen Form, Bewusstheit,
helle Weltgültigkeit, Vornehmheit in der Welt zu verleihen“. Es herrscht in
Flakes Persönlichkeit ein ausnehmend reines, glückliches, wohltuendes In¬
mander von sinnlicher Kraft und geistigem Gesetz, und Symbol und Ausdruck
dieser Ganzheit sind seine Romane, geistige Plastik, wie seine kritischen Bücher,
die Novellen des Geistes sind: sie wollen alle den geschauten neuen Typus
darstellen und dazu mithelfen, dass er in Deutschland Wirklichkeit gewinne.
In diesem Sinne wollte er seinen Ruland aufgenommen wissen, in diesem
Sinne gab er auch seinen letzten Roman Der gute Meg!). Georg, die Hauptgestalt
dieses Buches, ein Auslanddeutscher, ist stark westeuropäisch eingestellt, welt¬
gereist und unbürgerlich, ohne alle allzudeutsche Enge, die ihn, wo er ihrer
ansichtig wird, ungeduldig und frieren macht: wie trostlos wirkt jenes Deutsch¬
tum ganz ohne europäischen Blick, ohne Diskretion und überlegene Ruhe, voll
hochmütiger Weltfremdheit und hysterischen Hasses auf alles menschlich und
sittlich Neue und Zukünftige! Georg, instinktsicher, aber nicht instinktverhaftet,
sich besitzend, aber nicht pharisäisch selbstgerecht, feinfühlig, aber nicht emp¬
findsam, stellt, wie einige andere männliche Gestalten Flakes, etwas wie ein
Wunschbild des deutschen Menschen von morgen dar. „Heilige Nüchternheit:
ein wunderbares Wort“, sagt er einmal, Haupt- und Eigenschaftswort gleich
stark betonend. Geist ist ihm nicht einfach ratio, Aufklärung, überheblich und
unzulänglich, sondern Helligkeit der Sinne und des Gedankens, die gleichwohl
die Unlösbarkeit der eigentlich tiefen geistig-sittlichen Antinomien fühlt und
irgendwie fromm bejaht. Was Georg lebt, ist die neue Ganzheit einer Einung
von Blut und Geist nicht auf der metaphysischen, sondern auf der Lebensebene
(er ist geistdurchglutet und zugleich heidnisch sinnlich), jene Naturvergeistigung.
die, nach Stefan Georges hohem Wort, „den Leib vergottet und den Gott ver¬
leibt . — In das junge Leben Georgs greifen drei Frauen. Die Südslavin Vera,
Schreespielerin, triebhaft, aber nicht dumpf, neuheidnisch („Nymphe sein,
wenn ihr Pan begegnet'), unbürgerlich, aber mit einer halben Sehnsucht nach
bürgerlicher Sicherheit, bürgerlichem Glück, Georgs Geliebte und Kameradin.
1) S. Fischer, Verlag, Berlin.
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