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gefasst, ist ein solches Künstlertum weniger echt, weniger schöpferisch, weniger
liebenswert als irgendwelches großwortige, rauschsüchtige Weltbeglückertum?
Und kann überhaupt je ein sittlicher oder künstlerischer Einwand sein, was
Ehrlichkeit einer Schicksale- und Geistesstufe ist? Schnitzler weiss, was ihm
zukommt: Erkenntnis, Freiheit, Melancholie, Zucht, Duldsamkeit. Sein ist
eine geistige und seelische Grundstimmung der Lebensfrommheit auch ohne
Glauben: Haltung trotz aller aufgelösten Formen, aller abgetanen Bindungen,
aller Zweifel und Zynismen, ein männliches, tapfer-vornehmes Trotzdem, ohne
große Worte und in bescheiden-anständiger Entsagsamkeit.
IV
Man weiß, wie dem Schwaben Hermann Hesse, dem Dichter reiner, schlichter,
ein wenig empfindsamer Erzählungen, in der Wende des Krieges die bürger¬
liche Welt mit allen ihren Ordnungen und ihrer Heiligkeit der Gegensätze
immer fragwürdiger wurde und zerfiel. Wie dem Seßhaften vor der Sicherheit
der Gemeinschaft und aller Heimatlichkeit zu grauen begann und ihn einsame
Wandernötigung, im Sinnlichen und im Seelisch-Sittlichen, überkam. Damals
geschah es auch, dass seine Prosa intensiver, leidenschaftlicher, leuchtender,
beschwingter wurde, glühend und fiebernd in der Wende Not und Lust, und
dass seine Werke immer bedeutender, immer reicher an Kunst und Geist, an
Dämonie und unerbittlichem Bekenntmis wurden: er suchte und witterte, in
aller Verworrenheit und Zerquältheit der europäischen Seele, Zukunft und
Neuland. War seine Lebens- und geistige Steigerung organisch? Wird er das
neue Land der Seele betreten? Noch sehen wir ihn unterwegs. Sein neuestes
Buch Kurgast!) zeigt ihn noch in der Krise. Es gibt kunstlose Aufzeichnungen
und Bekenntnisse aus des Dichters Badener Kurwochen, dem, in seinem fünften
Jahrzehnt, mit dem „Wissen um die großen Antinomien, um das Geheimmis
des Kreislaufs und der Bipolarität die Ischias und die Gicht kommt, — humo¬
ristisch-besinnliche Selbstgespräche, ein wenig empfindsam wieder, doch ist
die Empfindsamkeit durch Humor und Ironie, durch geistigen Zauber gedämpft;
abschweiferische Betrachtsamkeit, etwa wie dem Dichter bei der Suche nach
einem ruhigen Hotelzimmer die quälende Frage von Schicksal und Freiheit,
von Vernunft und Zufall sich auftut. Tage der Unlust und haltlosen Müdigkeit
kommen ihm, da er sich inmitten der internationalen Zivilisation, die ihm un¬
natürlich, unheimlich, scheusslich und unendlich lächerlich scheint, bürgerlich
werden fühlt. „Das ist nichts für mich, das ist mir verboten, das ist Sünde gegen
alles Gute und Heilige, wovon ich weiß und woran teilzuhaben mein Glück ist.
Er überwindet Müdigkeit und Bürgerlichkeit. Allgefühl klingt wieder auf, der
sich verjüngende Wanderer ersteht wieder. Was wird er sich erwandern? Wohin
wird „die ewige Mutter“ ihn führen? Es will mir scheinen, als liege sein Weg
in die Zukunft in jener heilig-unheiligen Polarität des Lebens, für die er kluge
und ergriffene Worte findet, in jener Wagniswilligkeit, die der Bürger logisch
Widerspruch, moralisch Zynismus nennt, die der sünden- und gnadenvolle
Wanderer als heroische Religiosität empfindet. Wir wollen hoffen, dass es
1) S. Fischer, Verlag, Berlin.
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gefasst, ist ein solches Künstlertum weniger echt, weniger schöpferisch, weniger
liebenswert als irgendwelches großwortige, rauschsüchtige Weltbeglückertum?
Und kann überhaupt je ein sittlicher oder künstlerischer Einwand sein, was
Ehrlichkeit einer Schicksale- und Geistesstufe ist? Schnitzler weiss, was ihm
zukommt: Erkenntnis, Freiheit, Melancholie, Zucht, Duldsamkeit. Sein ist
eine geistige und seelische Grundstimmung der Lebensfrommheit auch ohne
Glauben: Haltung trotz aller aufgelösten Formen, aller abgetanen Bindungen,
aller Zweifel und Zynismen, ein männliches, tapfer-vornehmes Trotzdem, ohne
große Worte und in bescheiden-anständiger Entsagsamkeit.
IV
Man weiß, wie dem Schwaben Hermann Hesse, dem Dichter reiner, schlichter,
ein wenig empfindsamer Erzählungen, in der Wende des Krieges die bürger¬
liche Welt mit allen ihren Ordnungen und ihrer Heiligkeit der Gegensätze
immer fragwürdiger wurde und zerfiel. Wie dem Seßhaften vor der Sicherheit
der Gemeinschaft und aller Heimatlichkeit zu grauen begann und ihn einsame
Wandernötigung, im Sinnlichen und im Seelisch-Sittlichen, überkam. Damals
geschah es auch, dass seine Prosa intensiver, leidenschaftlicher, leuchtender,
beschwingter wurde, glühend und fiebernd in der Wende Not und Lust, und
dass seine Werke immer bedeutender, immer reicher an Kunst und Geist, an
Dämonie und unerbittlichem Bekenntmis wurden: er suchte und witterte, in
aller Verworrenheit und Zerquältheit der europäischen Seele, Zukunft und
Neuland. War seine Lebens- und geistige Steigerung organisch? Wird er das
neue Land der Seele betreten? Noch sehen wir ihn unterwegs. Sein neuestes
Buch Kurgast!) zeigt ihn noch in der Krise. Es gibt kunstlose Aufzeichnungen
und Bekenntnisse aus des Dichters Badener Kurwochen, dem, in seinem fünften
Jahrzehnt, mit dem „Wissen um die großen Antinomien, um das Geheimmis
des Kreislaufs und der Bipolarität die Ischias und die Gicht kommt, — humo¬
ristisch-besinnliche Selbstgespräche, ein wenig empfindsam wieder, doch ist
die Empfindsamkeit durch Humor und Ironie, durch geistigen Zauber gedämpft;
abschweiferische Betrachtsamkeit, etwa wie dem Dichter bei der Suche nach
einem ruhigen Hotelzimmer die quälende Frage von Schicksal und Freiheit,
von Vernunft und Zufall sich auftut. Tage der Unlust und haltlosen Müdigkeit
kommen ihm, da er sich inmitten der internationalen Zivilisation, die ihm un¬
natürlich, unheimlich, scheusslich und unendlich lächerlich scheint, bürgerlich
werden fühlt. „Das ist nichts für mich, das ist mir verboten, das ist Sünde gegen
alles Gute und Heilige, wovon ich weiß und woran teilzuhaben mein Glück ist.
Er überwindet Müdigkeit und Bürgerlichkeit. Allgefühl klingt wieder auf, der
sich verjüngende Wanderer ersteht wieder. Was wird er sich erwandern? Wohin
wird „die ewige Mutter“ ihn führen? Es will mir scheinen, als liege sein Weg
in die Zukunft in jener heilig-unheiligen Polarität des Lebens, für die er kluge
und ergriffene Worte findet, in jener Wagniswilligkeit, die der Bürger logisch
Widerspruch, moralisch Zynismus nennt, die der sünden- und gnadenvolle
Wanderer als heroische Religiosität empfindet. Wir wollen hoffen, dass es
1) S. Fischer, Verlag, Berlin.