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Fraeulein Else
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jedoch führt noch weiter aufwärts, unter Tolleben ist er Staatssekretär im Aus¬
wärtigen Amt geworden. Er sieht den Krieg kommen, von ungeduldigen Gene¬
rälen immer unausweichlicher heraufbeschworen, die zu führen glauben und
Werkzeuge der Kriegsindustrien hüben und drüben sind. „Endlich mal los¬
schlagen, rufen die Generäle und die Kriegsindustrie antwortet: „Nationalhass
muss sein, woher sonst Geschäfte. Tolleben ist ganz hilflos. Welche bleiche
Angst hoch oben, als der Ernstfall kommt, mit dem man jahrzehntelang gespielt
hat! Als Tolleben am Tage des Kriegsausbruchs verunglückt, wird Mangolf
Kanzler des Krieges, den er gewollt. Zwanzig Jahre des Leids und der Lüge, der
Heuchelei und Zermürbung, seine Ehe verödet: aber er ist oben! An den Sieg
des Kaiserreiches glaubt er keinen Augenblick. Ohnmächtig gegen die Generäle
und die Schwerindustrie, sieht er das Chaos immer näher herankommen, das
alle verschlingen wird. O Geistesreinheit der ersten erwachenden Jugend, du
bist dahm für immer! Ausgebrannt ist auch Terra. Was aus Lug und Trug
geworden, ermisst er schaudernd an der Leiche seiner Schwester Lea, die sich
einst stark genug gedünkt hat, das Leben zu leben, wie es ist, und nach all ihren
Ausschweifungen, die Maske und übertäubte Angst ob der Versäumnis des
Lebens waren, ins Wasser springt. Als er den Todesschrei der Schwester hört,
ist ihm, als rufe die geschändete, abgründig verratene Menschheit, hinab¬
stürzend ins Chaos, nach Rettung... Unerbittlich wie das erste ist auch das
letzte Gespräch der beiden „Freunde, als sie beide fertig sind, — letzte Nackt¬
heit, entsetzenerregende Ironie.
Mangolf: „Weißt du etwa, warum wir gescheitert sind?“
Terra: „Wir sind vor allem gescheitert, weil nicht einzusehen ist, warum
irgend jemand, der Talent hat und es der menschlichen Gesellschaft vorsetzt,
nicht scheitern sollte. Wir im Besonderen sind noch daran gescheitert, dass
wir von unseresgleichen zu viel verlangt haben.
Mangolf: „Du wohl, du hast sie bessern gewollt.
Terra: „Du hast von ihnen in der Richtung des Schlechtseins eine geradezu
übermenschliche Opfertreudigkeit verlangt. Du warst ein noch größerer Idealist
als ich.
Mangolj: „Wir sterben, weil wir geistig ehrenhaft sind.
Terra: „Nein. Sondern weil wir nicht auch die Gegengifte in uns tragen
für unseren anspruchsvollen Geist.
Mangolf: „Welche Gegengifte?“
Terra: „Verachtung und Güte. Du hattest nur die Verachtung.
Mangolf: „Du nur die Güte.
Sie gehören zusammen als die beiden Seiten des korrumpierten Intellek¬
tualismus. Sie erschießen sich beide und fallen kreuzweise übereinander.
Draußen Marschmusik und Tritt der Regimente.: „Hurra! Es ist das letzte
Wort des Buches.
JONAS LESZER
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Fraeulein Else
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jedoch führt noch weiter aufwärts, unter Tolleben ist er Staatssekretär im Aus¬
wärtigen Amt geworden. Er sieht den Krieg kommen, von ungeduldigen Gene¬
rälen immer unausweichlicher heraufbeschworen, die zu führen glauben und
Werkzeuge der Kriegsindustrien hüben und drüben sind. „Endlich mal los¬
schlagen, rufen die Generäle und die Kriegsindustrie antwortet: „Nationalhass
muss sein, woher sonst Geschäfte. Tolleben ist ganz hilflos. Welche bleiche
Angst hoch oben, als der Ernstfall kommt, mit dem man jahrzehntelang gespielt
hat! Als Tolleben am Tage des Kriegsausbruchs verunglückt, wird Mangolf
Kanzler des Krieges, den er gewollt. Zwanzig Jahre des Leids und der Lüge, der
Heuchelei und Zermürbung, seine Ehe verödet: aber er ist oben! An den Sieg
des Kaiserreiches glaubt er keinen Augenblick. Ohnmächtig gegen die Generäle
und die Schwerindustrie, sieht er das Chaos immer näher herankommen, das
alle verschlingen wird. O Geistesreinheit der ersten erwachenden Jugend, du
bist dahm für immer! Ausgebrannt ist auch Terra. Was aus Lug und Trug
geworden, ermisst er schaudernd an der Leiche seiner Schwester Lea, die sich
einst stark genug gedünkt hat, das Leben zu leben, wie es ist, und nach all ihren
Ausschweifungen, die Maske und übertäubte Angst ob der Versäumnis des
Lebens waren, ins Wasser springt. Als er den Todesschrei der Schwester hört,
ist ihm, als rufe die geschändete, abgründig verratene Menschheit, hinab¬
stürzend ins Chaos, nach Rettung... Unerbittlich wie das erste ist auch das
letzte Gespräch der beiden „Freunde, als sie beide fertig sind, — letzte Nackt¬
heit, entsetzenerregende Ironie.
Mangolf: „Weißt du etwa, warum wir gescheitert sind?“
Terra: „Wir sind vor allem gescheitert, weil nicht einzusehen ist, warum
irgend jemand, der Talent hat und es der menschlichen Gesellschaft vorsetzt,
nicht scheitern sollte. Wir im Besonderen sind noch daran gescheitert, dass
wir von unseresgleichen zu viel verlangt haben.
Mangolf: „Du wohl, du hast sie bessern gewollt.
Terra: „Du hast von ihnen in der Richtung des Schlechtseins eine geradezu
übermenschliche Opfertreudigkeit verlangt. Du warst ein noch größerer Idealist
als ich.
Mangolj: „Wir sterben, weil wir geistig ehrenhaft sind.
Terra: „Nein. Sondern weil wir nicht auch die Gegengifte in uns tragen
für unseren anspruchsvollen Geist.
Mangolf: „Welche Gegengifte?“
Terra: „Verachtung und Güte. Du hattest nur die Verachtung.
Mangolf: „Du nur die Güte.
Sie gehören zusammen als die beiden Seiten des korrumpierten Intellek¬
tualismus. Sie erschießen sich beide und fallen kreuzweise übereinander.
Draußen Marschmusik und Tritt der Regimente.: „Hurra! Es ist das letzte
Wort des Buches.
JONAS LESZER
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