I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 63

31.
Fraeulein Else
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1 — C. a. e e eeien Ane
Heft 15, 1915
MODERNE WELT
Seite 21
ZWEI BUCHER, VON DENEN MHN SPRICHT
DER NEUE SCHNITZLER DER NEUE THOMHS MHNN
VON DR. JULIHIN STERNBERG
Artur Schnitzler, -Fräulein Else-. Verlag
beugen. An den griechischen Htbene-Mythos von der
Paul Zsolnay, Wien. In seiner neuen Meistererzählung,
Tochter des Zeus, die gewappnet dem Haupte des Olympiers
die der Goetbe'schen Definition von der Novelle als der
entspringt, ist man zu denken geneigt. Und welch tief
Darstellung des unerhörten Geschebnisses auf den Leib
innerliche Keuschbeit atmet Schnitzlers Monna Vanna, die
gescbrieben ist, hat unser repräsentativer deutschöster¬
nur mit dem Mantel bekleidet in den Saal tritt, wo sie
reichischer Dichter stolze und ragende Höben erreicht.
die Hülle fallen läßt, nicht allein vor dem, der es gebeischt,
Kristallklare, reine Lüfte weben dort oben und langsam
nein, vor Hllen, die ja irgendwie unbewußt Mitschuldige
nur gewöhnt sich die Lunge, sie mübelos zu atmen und
jenes Frevlers sind. In dieser Gebärde liegt die große, die
sich an ihrer ganzen Köstlichkeit zu erquicken. Das uralte
flammende Hnklage gegen die heutige Gesellschaft. Dann
Gyges- und Rhodopeproblem in der Gestaltung der
bricht sie ohnmächtig zusammen und auf ihr Zimmer
modernsten Psychologie und gleichzeitig in Verbindung
getragen, gewinnt sie für einen Hugenblick wieder ihre
gebracht mit sozialen Zeitproblemen, die deshalb nicht
Besinnung, trinkt das Veronal, das sie vocher sorgsam in
weniger mit eisenbartem Knöchel an die Pforten unseres
das Glas geschüttet hat und bis zu ihrem letzten Htemzug
Gesellschaftslebens pochen, weil wir uns mit Vorliebe
macht sie sich und ihr Hingleiten durch die schwarze
schwerhörig oder taub stellen und uns den Hnschein des
Pforte des Todes dem Leser verständlich. Die Parallele
frommen Glaubens geben, alle seelischen und physischen
mit Leutnant Gustl zeigt die Entwicklung des Dichters
Nôte des jungen Mädchens aus dem beutigen Mittelstand
vom Standesproblem zu Menschbeitsfragen. Immer wieder
habe ich dieses Buch gelesen, und immer neue verborgene
seien aus dem einen Punkt des manchmal recht pbrasen¬
haften Hinweises auf Beruf und Berufsarbeit zu kurieren.
Schnitzlers -Fräulein Else-, der zugemutet wird, sich in
Blick. In -Fräulein Else- isr Artur Schnitzler nicht nur
blendender Nacktbeit vor einem Geldmann zu zeigen, der
der große Künstler, sondern auch der liebenswerte Mensch,
davon und ausschließlich davon die Rettung ihres Vaters
der gütige Versteber und Verzeiber. Er wäre nicht der
Dichter der er ist, wenn er uns nicht in -Fräulein Else¬
abhängig macht, des Hdvokaten, der Mündelgelder unter¬
schlagen hat, ist nicht das unberührte, dumpf der Hoch¬
seine Maria Magdalena geschenkt hätte.
zeitsnacht entgegenbangende Jüngferchen des Familien¬
Thomas Mann, Der Zauberberg-. Verlag S. Fischer,
romans vergangener Tage. Sie ist eine Wissende in jedem
Sinne des Wortes. Sie hat die ganze Skala der Eventuali¬
Berlin. Vier große Epiker, vielleicht darf man sogar getrost
täten ihrer Zukunft emsig durchstudiert. Sie ist illusionslos
sagen, die vier großen Epiker der deutschen Gegenwart, sind
und sehnt sich nach Ilusionen. Sie ist sich ihrer Huf¬
beinabe gleichzeitig mit neuen Werken vor das Publikum
getreten: Gerbart Hauptmann und Thomas Mann, Artur
geklärtheit, ihrer traurigen Kenntnis um Menschen und
Dinge wobl bewußt, und gerade das bereitet ihr tiefstes
Schnitzler und Jakob Wassermann. Schnitzler stürmt seinen
Weh, so daß sie sich selbst Frivolltät und Zynismus vor¬
Weg dahin, Hauptmann schlendert, Wassermann wandelt,
spielt, dies aber wahrlich nicht mit genießerischer Selbst¬
zelebriert und weibevoll als bewußter Vertreter der Gott¬
gefälligkeit. Eine Blume, die den Kelch hängen läßt, weil
heit den Hltar umkreist, muß man unwillkürlich denken,
sie der raube Lebenswind zu entblättern droht. Mit meister¬
will man zunächst einmal sich selbst den Eindruck klar
lichem Gelingen ist das Hin und Her ihrer Stimmungen,
ihrer Hoffnungen und Befürchtungen dargestellt. Keiner
neuen Werke durch die Hrt seines Vortrages hervorruft.
der großen Seelenschilderer der internationalen Literatur,
Ungemein schwierig übrigens, eine tragbare Brücke zu
kein Balzac und kein Dostojewski hat restloser, mit
schlagen zwischen dem berühmten Entwicklungs- und Ge¬
sichereren und erbarmungsloseren Strichen ein Seelen¬
schlechterroman Thomas Mann’s und seiner letzten Schöpfung,
gemälde skizziert. In dieser Novelle ist nicht ein Wort zu
in der, trotz der verwirrenden Fülle der Gestalten doch
wenig und keines zu viel. Sie bedeutet den stärksten
nur ein Einzelschicksal restlos abgewandelt wird, das des
Triumph einer ebenso eigenartigen wie fabelhaften Technik.
Hamburger Patriziersohnes Hans Castorp, der auf dem
die alles innerliche und äußerliche Gescheben mit zugleich
Zauberberge, in einem Sanatorium in Davos zu der wahren
geschmeidigen und muskelbarten Händen in den Rahmen
Erkenntnis von den eigentlichen und letzten Hufgaben des
eines Selbstgespräches zwängt, innerhalb dessen Else's
Menschen gelangt, der alle inneren Kämpfe seelischen Zwie¬
Untergang sich atemraubend, zwingend, mit der ganzen
spaltes zuvor siegreich besteben muß, die Thomas Mann,
UInabwendbarkeit des antiken Pathos vor den Hugen des
der Denker und Essayist in seinen -Betrachtungen eines
Lesers abspielt. Zu dieser Technik, die zum ersten Mal im
Unpolitischene mit so glübenden, aus der Zeit und ihren
Leutnant Gustl- die literarische Weit in ehrfürchtige Be¬
Nöten bervorgeholten Farben geschildert hat.
Zuvörderst die Bemerkung, daß es eigentlich so aussiebt,
zurückgekehrt. Er hat seither nichts eingebüßt von jener
als habe Thomas Mann sich diesmal das Ziel gesetzt, in
kraftvollen, federnden Gladiatorenart, die sich der Sprache
seinem 1200 Seiten starken Roman zu zeigen, daß der
als unbesiegbarer Überwinder entgegenstellt und mit ihr,
Roman als Kunstform, wie ihn seine erlauchten Hhnen,
die sich willenlos beugt, in einer glübenden Umarmung
die Balzacs und Dostojewskis, als Rahmen für künstlerische
verlebmilzt. Diese intensivste Ichform unterscheidet sich
und ethische Glaubensbekenntnisse benützt haben, endgiltig
wesenneft von jeder anderen Erzäblerart. Nirgends siebt
ausgespielt hat.
man den Dichter sich soufflierend über sein Geschöpf
Fortsetzung auf Seite 24
GRAMNOFHON
ANAUSCHEA
WIEN, I., NEUER MARKT 3
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LERHALTUNATAUTTR.