31.
Fraeulein Else
box 5/1
. u . 1. 1
— umllaul.
Von der Wiener Zentrale dirigiert.
London, 23. Dezember. Der jugoslawische Ge¬
sandte in London teilte nach Reuter mit, daß die Belgrader
wird: in der Vorrede zu seiner „Verzauberten Seele",
von der bisher zwei Bände vorliegen, sagt Rolland:
„Wenn ich einen Roman schreibe, wähle ich ein Wesen,
mit dem ich Gemeinsamkeiten fühle, oder vielmehr, es
wählt mich. Sowie das Wesen einmal erwählt ist, lasse
ich es ganz frei und habe wohl acht, daß ich nichts von
meiner Persönlichkeit hineinmische. Eine Persönlichkeit,
die man seit mehr als einem halben Jahrhundert trägt,
ist eine schwere Last. Die göttliche Wohltat der Kunst
besteht darin, uns von ihr zu befreien, indem sie uns
gestattet, andre Seelen aufzutrinken, uns in andre
Existenzen einzuhüllen. Unsre indischen Freunde würden
sagen: andre von unsern Existenzen...
Annette Rivière erlebt ihre erste große Zuneigung
und Enttäuschung an ihrer Halbschwester, der kleinen
Schneiderin Sylvie, von deren Existenz sie erst nach dem
Tode ihres Vaters erfährt und für die in ihr nach an¬
fänglicher Eifersucht die leidenschaftlichste schwesterliche
Liebe aufblüht. Aber Sylvie, ein richtiges Boulevard¬
pflänzchen, leichtsinnig und berechnend, schmiegsam und
elbstandig, zärtlich und kühl, denkt gar nicht daran, ihr
eigenes Dasein mit dem ihrer patrizischen Schwester zu
vereinigen, und auch auf eine gelegentliche nette, kleine
Perfidie, der großmütigen Annette gegenüber, kommt
So sieht sich diese mit ihrer großen
es ihr nicht an.
Liebes= und Leidensfähigkeit bald wieder allein. Ein
Mann tritt in ihren Kreis, sie glaubt ihn zu lieben, aber
ihre Klugheit bleibt wach, und sie fühlt, daß es nur ein
Strom von Sinnlichkeit ist, der sie zueinander reißt, daß
ein wirkliches Zusammenleben mit ihm nicht denkbar
st. Dennoch kommt die Stunde, wo ihr Blut sie über¬
wältigt; sie gibt sich ihm und stößt ihn dann von sich,
weil sie spürt, daß er ihrer Seele verderblich wird; sie
ruft ihn auch später nicht mehr, da sie fühlt, daß sie
Mutter werden wird. Sie will ihr Kind in Freiheit zur
Welt bringen und es allein besitzen.
Der Kampf um die soziale Vollwertigkeit der un¬
verehelichten Mutter mutet in deutschen und skandinavi¬
schen Ländern nicht mehr so neu und fremdartig an
wie in romanischen, wo sich das junge Mädchen vom
Schlage Fräulein Elses weit länger konserviert hat. Wir
hin¬
ahnen schon, daß Annette durch alle Demütigungen
durchgehen muß, welche die Gesellschaft zu Beginn des
zwanzigsten Jahrhunderts für Menschen übrig hatte, die
gegen bestehende Sittengesetze anrennen. Der Kampf
wird härter, da Annette ihre materielle Sorglosigkeit
einbüßt, welche sie vom Urteil ihrer Mitmenschen unab¬
hängig machte; nun erst beginnt der ergreifendste Teil
Keine Preiverbebung.
des Werkes. Jetzt erst lernt Annette den erbittertsten
Krieg kennen, der je geführt wurde: den der Arbeitenden
gegen die Arbeitenden, die Konkurrenz, das Weg¬
chnappen des kleinsten Stückchens Brot. Nun lernt sie
begreifen, daß Gedanken, Gefühle, Weltanschauungen
ein Luxus sind, nur dem erreichbar, der weiß, daß er
morgen zu essen haben wird. Sehr drollig steht nun im
Gegensatz zu ihr ihre Schwester Sylvie, die als Besitzerin
eines gut gehenden Schneiderateliers bürgerlich ge¬
worden, solide verheiratet und Annette somit in jeder
Weise überlegen ist.
Sie kämpft für ihr Kind, aber auch um das Kind:
denn dieses kleine Geschöpf, das sie den ganzen Tag
andern Leuten überlassen muß, um seinen Unterhalt zu
verdienen, empfindet die Zärtlichkeitskatarakte, mit
denen es abends von der heimkehrenden Mutter über¬
chüttet wird, als durchaus unangenehm. Was zum Teufel
vill diese fremde exaltierte Frau? Im Schneideratelier
der Tante Sylvie, wo es als Hauskatze der munteren
Nähmädchen herumläuft, ist es viel netter. Mit unbarm¬
herzigen Augen sieht es seine Mutter an, sieht alle ihre
eelischen und physischen Schwächen. Dieses Kind, für
das sie alles hingegeben hat, liebt sie kaum; mindestens
hat es andre lieber. Noch will die verzauberte Seele es
nicht wahr haben; langsam muß sie es begreifen lernen.
Vor der Liebe hat sie Angst. Wer seine Kräfte für
den Lebenskampf braucht, darf sich nicht verlieren. Der
chöne, gesunde Körper der blühenden Frau will sein
Recht, aber sie kennt sich und hat Furcht vor sich selbst.
Dennoch kommt die Liebe; sie kommt, wie es bei einer
starken Frau fast selbstverständlich ist, in Gestalt eines
schwachen Mannes, der sich in ihre Kraft verliebt und
den sie doch erschreckt. Wie traurig, zu wissen, daß man
den Geliebten um Haupteslänge überragt! Es ist ein
trostloses Hin= und Herzerren, dem sie endlich ein Ende
macht. Ihr ganzes Leben ist ein Kampf um ihre Seelen¬
kraft, die jeder, der in ihre Nähe kommt, zerbrechen
will. Und sie braucht sie doch so nötig. Häusliches Un¬
gemach bricht über sie herein, nichtssagend bei Leuten,
welche Geld haben, zerschmetternd bei solchen, die mit
edem Groschen rechnen müssen. Sie entzweit sich mit der
in sorglosen Verhältnissen lebenden Schwester und steht
nun ganz allein, mesquinen Sorgen preisgegeben,
vissend, da, ihr heranwachsendes Kind den ganzen Tag
unbehütet und allein bleibt. Mit der Hand des Meisters
legt Rolland die Seele dieses einsamen kleinen Jungen
bloß, des verbitterten, grübelnden, frühreifen Kindes,
Deamtenregierung
Parteien würden ei
eine Beamtenra
Regierung. Wer
Neuwahlen sta
das seiner Mutte
steht. Er gehört:
gehört nirgends
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tragisch da, wo die
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ist. Wer Mensch
Mensch; wer es
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Von der Wiener Zentrale dirigiert.
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sandte in London teilte nach Reuter mit, daß die Belgrader
wird: in der Vorrede zu seiner „Verzauberten Seele",
von der bisher zwei Bände vorliegen, sagt Rolland:
„Wenn ich einen Roman schreibe, wähle ich ein Wesen,
mit dem ich Gemeinsamkeiten fühle, oder vielmehr, es
wählt mich. Sowie das Wesen einmal erwählt ist, lasse
ich es ganz frei und habe wohl acht, daß ich nichts von
meiner Persönlichkeit hineinmische. Eine Persönlichkeit,
die man seit mehr als einem halben Jahrhundert trägt,
ist eine schwere Last. Die göttliche Wohltat der Kunst
besteht darin, uns von ihr zu befreien, indem sie uns
gestattet, andre Seelen aufzutrinken, uns in andre
Existenzen einzuhüllen. Unsre indischen Freunde würden
sagen: andre von unsern Existenzen...
Annette Rivière erlebt ihre erste große Zuneigung
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Schneiderin Sylvie, von deren Existenz sie erst nach dem
Tode ihres Vaters erfährt und für die in ihr nach an¬
fänglicher Eifersucht die leidenschaftlichste schwesterliche
Liebe aufblüht. Aber Sylvie, ein richtiges Boulevard¬
pflänzchen, leichtsinnig und berechnend, schmiegsam und
elbstandig, zärtlich und kühl, denkt gar nicht daran, ihr
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vereinigen, und auch auf eine gelegentliche nette, kleine
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Liebes= und Leidensfähigkeit bald wieder allein. Ein
Mann tritt in ihren Kreis, sie glaubt ihn zu lieben, aber
ihre Klugheit bleibt wach, und sie fühlt, daß es nur ein
Strom von Sinnlichkeit ist, der sie zueinander reißt, daß
ein wirkliches Zusammenleben mit ihm nicht denkbar
st. Dennoch kommt die Stunde, wo ihr Blut sie über¬
wältigt; sie gibt sich ihm und stößt ihn dann von sich,
weil sie spürt, daß er ihrer Seele verderblich wird; sie
ruft ihn auch später nicht mehr, da sie fühlt, daß sie
Mutter werden wird. Sie will ihr Kind in Freiheit zur
Welt bringen und es allein besitzen.
Der Kampf um die soziale Vollwertigkeit der un¬
verehelichten Mutter mutet in deutschen und skandinavi¬
schen Ländern nicht mehr so neu und fremdartig an
wie in romanischen, wo sich das junge Mädchen vom
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zwanzigsten Jahrhunderts für Menschen übrig hatte, die
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des Werkes. Jetzt erst lernt Annette den erbittertsten
Krieg kennen, der je geführt wurde: den der Arbeitenden
gegen die Arbeitenden, die Konkurrenz, das Weg¬
chnappen des kleinsten Stückchens Brot. Nun lernt sie
begreifen, daß Gedanken, Gefühle, Weltanschauungen
ein Luxus sind, nur dem erreichbar, der weiß, daß er
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Gegensatz zu ihr ihre Schwester Sylvie, die als Besitzerin
eines gut gehenden Schneiderateliers bürgerlich ge¬
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Weise überlegen ist.
Sie kämpft für ihr Kind, aber auch um das Kind:
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nicht wahr haben; langsam muß sie es begreifen lernen.
Vor der Liebe hat sie Angst. Wer seine Kräfte für
den Lebenskampf braucht, darf sich nicht verlieren. Der
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Dennoch kommt die Liebe; sie kommt, wie es bei einer
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nun ganz allein, mesquinen Sorgen preisgegeben,
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bloß, des verbitterten, grübelnden, frühreifen Kindes,
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