31. Fraeulein EIse
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ho. 4 G. S###
F. f. 26.
Die Beraner liest Schnitzler
Gestern, Dichterabend des Verbandes
Deutscher Erzähler, riß das Ingenkum
Elisabeth Bergner Epik hinauf ins
Drama. Freilich mit Schnitzler, der bei allem
Hang ins Seelendetail immer theaterverwandt
bleibt, auch als Erzähler. Ueberdies ist „Frau¬
lein Else“, in der Einheitlichkeit und Knapp¬
heit des inneren, der Schlagkraft des äußeren Ge¬
schehens, und durch die di gische Form geradezu
eine dramatische Novelle. Bergner spricht mit
das Wiener junge
drei Stimmen: Fräulet.
Mädchen, das sich als P## die Rettung ihres
Defraudentenpapas einem Roue nackt zeigen muß
und dann, im Nervenzusammenbruch, Gift nimmt)
— Fräukein Else mit sich, Fräulein Eise mit den
andern, die andern Es wird großes, stilles, be¬
klemmendes Drama, Schnitzlers gescheiter Psycho¬
logismus verläßt, von der immer verschleierten
immer zurückgehaltenen, immer dunkel gespaniten
Kraft dieses Schauspielerwesens getragen, den
Einzelfall. Der Saaf ist dunkel; im schmalen Licht¬
kegel hat die dramatische Müse ihr Gesicht aus dem
Imposanten ins Geängstete gewandelt, die Kraft
dieser Frau braucht für die stärkste Wirkung
gegenwärtiger ###orkunst das schmalste Vo¬
umen, die ger Lungenkraft, den geringlten
Aufwand. Hier, wo nichts mithilft, keine Kulisse,
leine Folie, keine technische Illusion, wird dieses
verschüchterten Dämons Gabe, zu bluten und zu
werben, vollends ein Wunder. Nachher liest
Schnitzler selbst. „Leutnant Gustl“; einfach
ohne Kunst, sehr klar, wienerisch. Sein Haupt
ist grau geworden ...
Walter Steinthal.
box 5/2
Deutsche Allgemeine Zeltung, Serlin
—„
Arthur Schnitzler und Elisadeth Bergner
im Reichstag.
Diese beiden Namen machten, daß der
große Reichstag voll war bis zum fernsten Em¬
porensitz; so besetzt wie wohl kaum sonst je, wenn
auch amtlichster Ernst die bequemen Ledersessel
drückt. Dafür ist aber auch „Dichterabend des Ver¬
bandes deutscher Erzähler“, und Georg Engel,
der Vorsitzende, findet in seinen Begrüßungs¬
vorten die Formel für der Seelen Zwiespalt, als
er etwa sagt, dies Haus sei gewiß ein hohes, aber
heute sei es das Hohe Haus des Geistes. Darauf¬
hin klatschte jemand, was aber auffielweil er der
einzige war, er hatte da offenbar etwes als guten
Witz verstanden, was gar nicht so gemeint war.
Danauf las Fräulein Bergner die Novelle
„Fraulein Else“. Wenn ich dem Präsidentenstuhl,
der an diesem Abend ausnahmsweise phonetischer
Mittelpunkt war, näher gewesen ware, würde ich
sicher sagen dürfen, der Vortrag sei sehr gut ge¬
wesen; würde vielleicht sogar behauptet haben.
man hätte beinahe das Gefühl gehabt, daf
Schnitzler „Fräulein Else“ zum Vortrag durch
Fraulein Bergner geschrieben habe. So aber
pitzte ich die Ohren durch lange Partien — und
s sind sehr lange darin — vergeblich und möchte
wahrhaftig die Ohren der Leutchen auf den
Tribünen haben, die hernach wie rasend klatschten.
Damit ist der elementare Mangel umschrieben,
an dem der Abend litt: Rezitation ist schließlich
doch Wirkung der Stimme im Raum. Und wenn
der Raum zu groß oder die Stimme zu klein ist
dann ist es eben nicht mehr Rezitation, sondern
eine Familienveranstaltung, für den engeren
Kreis der zunächst Sitzenden. So etwas kann auch
sehr fein und von künstlerischer Wirkung sein;
aber wenn man das Platzpech hat, nicht zur Fa¬
milie zu gehören, dann kann man eben über die
Wirkung nichts aussagen, noch darf man gar dar¬
über schreiben.
Fur die nächste Elisabeth Bergner=Ver¬
instaltung im Reichstag — denn als solche ekwies
sich dieser Schnitzler=Abend — bringo ich mir ein
eiserne Ausrüstung mit: entweder en wohl¬
gewölbten Hörtrichter aus Blech oder ein Prismen¬
binocle. Gerechtigkeit aber gebietet, noch dieses
nitzuteilen: Als „Fräulein Else“, die für ihren
traffälligen Vater 30 000 Gulden von einem lebe¬
tüchtigen Vicomte=Greis dadurch ergattaen muß
daß sie sich ihm ohne alle Hülle zeigt, zum Schluß
Veronal nimmt und lallend stirbt — da brauchte
man keine Worte verstehen, Elisabeth Bergner
virkte ohne dies und wirkte gut.
Im Anschluß daran las Arthur Schnitzler
selbst seine Novelle „Leutnant Gustl“ Mit.seinem
teils leicht, teils schwieriger weanerisch gefärbter
Organ stand er tapfer und mit Innerlichkeit
inter seinem Leutnant, den ein Bäckermeister
abends im Konzert einen dummen Bub gescholten
hat, und der sich im Verlaufe einer Nacht derart
n seinen Ehrbegriffen verheddert, daß einzig der
Schlaganfall des Insultanten ihm das Leben
wiedergibt.
Der Beifall war aber nicht so groß wie bei
Elisabeth Bergner.
Maxim.
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4
Neue Berliner 12 Uhr-Zeitung
Die Veraner lieft Schnitz er
Gestern, Dichterabend des Verbandes
Deutscher Erzähler, riß das Ingenium
Elisabeth Bergner Epik hinauf ins
Drama. Freilich mit Schnitzler, der bei aller
Hang ins Seelendetail immer theaterverwandt
bleibt, auch als Erzähler. Ueberdies ist „Fräu¬
lein Else“ in der Cinheitlichkeit und Knapp¬
heit des inneren, der Schlagkraft des äußeren Ge¬
chehens, und durch die dialggische Form geradezu
eine dramatische Nooelle. Die Bergner spricht mit
drei Stimmen: Fräulein Else (das Wiener junge
Mädchen, das sich als Preis für die Rettung ihres
Defraudantenpapas einem Roue nackt zeigen muß
und dann, im Nervenzusammenbruch, Gift nimmt)
Fräulein Else mit sich. Fräulein Ese mit den
andern, die andern Es wird großes, stilles. be¬
kleinmendes Drama, Schnitzlers gescheiter Psycho¬
logismus verläßt, von der immer verschleierten,
immer zurückgehaltenen, nmer dunkel gespannten
Kraft dieses Schauspielerwesens getragen, den
Einzelfall. Der Saa' ist dunkel; im schmalen Licht¬
legel hat die dramatische Muse ihr Gesicht aus dem
Imposanten ins Geängstete gewandelt die Kraft
dieser Frau braucht für die stärkste Wirkung
rkunst das schmalste Vo¬
gegenwärtiger
Lungenkraft, den geringsten
umen, die ger
Aufwand. Hier, wo nichts mithilft, keine Kulisse,
eine Folie, keine technische Illusion, wird dieses
erschüchterten Dämons Gabe. zu bluten und zu
werben, vollends ein Wunder. Nachher liest
Schnitzler selbst „Leutnant Gustl“; einfach,
ohne Kunst, sehr klar, wienerisch. Sein Haupt
ist grau geworden ...
Walter Steinthal.
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1
ho. 4 G. S###
F. f. 26.
Die Beraner liest Schnitzler
Gestern, Dichterabend des Verbandes
Deutscher Erzähler, riß das Ingenkum
Elisabeth Bergner Epik hinauf ins
Drama. Freilich mit Schnitzler, der bei allem
Hang ins Seelendetail immer theaterverwandt
bleibt, auch als Erzähler. Ueberdies ist „Frau¬
lein Else“, in der Einheitlichkeit und Knapp¬
heit des inneren, der Schlagkraft des äußeren Ge¬
schehens, und durch die di gische Form geradezu
eine dramatische Novelle. Bergner spricht mit
das Wiener junge
drei Stimmen: Fräulet.
Mädchen, das sich als P## die Rettung ihres
Defraudentenpapas einem Roue nackt zeigen muß
und dann, im Nervenzusammenbruch, Gift nimmt)
— Fräukein Else mit sich, Fräulein Eise mit den
andern, die andern Es wird großes, stilles, be¬
klemmendes Drama, Schnitzlers gescheiter Psycho¬
logismus verläßt, von der immer verschleierten
immer zurückgehaltenen, immer dunkel gespaniten
Kraft dieses Schauspielerwesens getragen, den
Einzelfall. Der Saaf ist dunkel; im schmalen Licht¬
kegel hat die dramatische Müse ihr Gesicht aus dem
Imposanten ins Geängstete gewandelt, die Kraft
dieser Frau braucht für die stärkste Wirkung
gegenwärtiger ###orkunst das schmalste Vo¬
umen, die ger Lungenkraft, den geringlten
Aufwand. Hier, wo nichts mithilft, keine Kulisse,
leine Folie, keine technische Illusion, wird dieses
verschüchterten Dämons Gabe, zu bluten und zu
werben, vollends ein Wunder. Nachher liest
Schnitzler selbst. „Leutnant Gustl“; einfach
ohne Kunst, sehr klar, wienerisch. Sein Haupt
ist grau geworden ...
Walter Steinthal.
box 5/2
Deutsche Allgemeine Zeltung, Serlin
—„
Arthur Schnitzler und Elisadeth Bergner
im Reichstag.
Diese beiden Namen machten, daß der
große Reichstag voll war bis zum fernsten Em¬
porensitz; so besetzt wie wohl kaum sonst je, wenn
auch amtlichster Ernst die bequemen Ledersessel
drückt. Dafür ist aber auch „Dichterabend des Ver¬
bandes deutscher Erzähler“, und Georg Engel,
der Vorsitzende, findet in seinen Begrüßungs¬
vorten die Formel für der Seelen Zwiespalt, als
er etwa sagt, dies Haus sei gewiß ein hohes, aber
heute sei es das Hohe Haus des Geistes. Darauf¬
hin klatschte jemand, was aber auffielweil er der
einzige war, er hatte da offenbar etwes als guten
Witz verstanden, was gar nicht so gemeint war.
Danauf las Fräulein Bergner die Novelle
„Fraulein Else“. Wenn ich dem Präsidentenstuhl,
der an diesem Abend ausnahmsweise phonetischer
Mittelpunkt war, näher gewesen ware, würde ich
sicher sagen dürfen, der Vortrag sei sehr gut ge¬
wesen; würde vielleicht sogar behauptet haben.
man hätte beinahe das Gefühl gehabt, daf
Schnitzler „Fräulein Else“ zum Vortrag durch
Fraulein Bergner geschrieben habe. So aber
pitzte ich die Ohren durch lange Partien — und
s sind sehr lange darin — vergeblich und möchte
wahrhaftig die Ohren der Leutchen auf den
Tribünen haben, die hernach wie rasend klatschten.
Damit ist der elementare Mangel umschrieben,
an dem der Abend litt: Rezitation ist schließlich
doch Wirkung der Stimme im Raum. Und wenn
der Raum zu groß oder die Stimme zu klein ist
dann ist es eben nicht mehr Rezitation, sondern
eine Familienveranstaltung, für den engeren
Kreis der zunächst Sitzenden. So etwas kann auch
sehr fein und von künstlerischer Wirkung sein;
aber wenn man das Platzpech hat, nicht zur Fa¬
milie zu gehören, dann kann man eben über die
Wirkung nichts aussagen, noch darf man gar dar¬
über schreiben.
Fur die nächste Elisabeth Bergner=Ver¬
instaltung im Reichstag — denn als solche ekwies
sich dieser Schnitzler=Abend — bringo ich mir ein
eiserne Ausrüstung mit: entweder en wohl¬
gewölbten Hörtrichter aus Blech oder ein Prismen¬
binocle. Gerechtigkeit aber gebietet, noch dieses
nitzuteilen: Als „Fräulein Else“, die für ihren
traffälligen Vater 30 000 Gulden von einem lebe¬
tüchtigen Vicomte=Greis dadurch ergattaen muß
daß sie sich ihm ohne alle Hülle zeigt, zum Schluß
Veronal nimmt und lallend stirbt — da brauchte
man keine Worte verstehen, Elisabeth Bergner
virkte ohne dies und wirkte gut.
Im Anschluß daran las Arthur Schnitzler
selbst seine Novelle „Leutnant Gustl“ Mit.seinem
teils leicht, teils schwieriger weanerisch gefärbter
Organ stand er tapfer und mit Innerlichkeit
inter seinem Leutnant, den ein Bäckermeister
abends im Konzert einen dummen Bub gescholten
hat, und der sich im Verlaufe einer Nacht derart
n seinen Ehrbegriffen verheddert, daß einzig der
Schlaganfall des Insultanten ihm das Leben
wiedergibt.
Der Beifall war aber nicht so groß wie bei
Elisabeth Bergner.
Maxim.
—
4
Neue Berliner 12 Uhr-Zeitung
Die Veraner lieft Schnitz er
Gestern, Dichterabend des Verbandes
Deutscher Erzähler, riß das Ingenium
Elisabeth Bergner Epik hinauf ins
Drama. Freilich mit Schnitzler, der bei aller
Hang ins Seelendetail immer theaterverwandt
bleibt, auch als Erzähler. Ueberdies ist „Fräu¬
lein Else“ in der Cinheitlichkeit und Knapp¬
heit des inneren, der Schlagkraft des äußeren Ge¬
chehens, und durch die dialggische Form geradezu
eine dramatische Nooelle. Die Bergner spricht mit
drei Stimmen: Fräulein Else (das Wiener junge
Mädchen, das sich als Preis für die Rettung ihres
Defraudantenpapas einem Roue nackt zeigen muß
und dann, im Nervenzusammenbruch, Gift nimmt)
Fräulein Else mit sich. Fräulein Ese mit den
andern, die andern Es wird großes, stilles. be¬
kleinmendes Drama, Schnitzlers gescheiter Psycho¬
logismus verläßt, von der immer verschleierten,
immer zurückgehaltenen, nmer dunkel gespannten
Kraft dieses Schauspielerwesens getragen, den
Einzelfall. Der Saa' ist dunkel; im schmalen Licht¬
legel hat die dramatische Muse ihr Gesicht aus dem
Imposanten ins Geängstete gewandelt die Kraft
dieser Frau braucht für die stärkste Wirkung
rkunst das schmalste Vo¬
gegenwärtiger
Lungenkraft, den geringsten
umen, die ger
Aufwand. Hier, wo nichts mithilft, keine Kulisse,
eine Folie, keine technische Illusion, wird dieses
erschüchterten Dämons Gabe. zu bluten und zu
werben, vollends ein Wunder. Nachher liest
Schnitzler selbst „Leutnant Gustl“; einfach,
ohne Kunst, sehr klar, wienerisch. Sein Haupt
ist grau geworden ...
Walter Steinthal.