I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 84

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31. Fraeulein Eise
Neue Tögliche Rundschau, Berlin
firthur Schnitzler=Abend.
Arthur Schnitzler las am Sonntag im V##en mit
Elisabeth Bergner aus seinen Werken in dem bis zum letzten
Platz gefüllten Plenarsaal des Reichstages.
Mit der Novelle „Fräulein Else“ machte Elisabeth
Bergner den Anfang. Dieses in Monologform gehaltene, sehr
schwer wiederzugebende Werk trug sie mit einer so außerordent¬
lichen Durchdringung vor, daß man von einer Sezierung des
Wortes sprechen könnte, die anderen Dichte zum Nachteil ge¬
reichen würde. Hier bei Schnitzler, dessen Sprachtechnik so über¬
aus sein ist, fast künstlich ziseliert, war diese Verlegung eine neue
Offenbarung. Elisabeth Bergner hielt die gaize Vorlesung fast
auf Flüsterton gestimmt, eine sehr gute Anpassung an das rein
Gedankenhafte dieser Kovelle. Nur hier und da bei dire er An¬
rede, schwoll die Stimme etwas an, um dann wieder ins Un¬
wirkliche zurückzusinken.
Arthur Schnitzler las dann selb't im zweiten Teile des
Abends die Novelle „Leutnant Gust'l“, das Gegenstück zu
„Fräulein Eise“. Bemerkenßwert ist die verschiedene Behandlung
dieser beiden in der Idee vollkommen gleichen Novellen. Während
in „Fräulein Else“ die Tragik auf den Schluß verlegt ist, nach
einem heiteren Anfang, der fast kitschig anmutet in den backfisch¬
albernen Monologen — die einen noch schärferen Kontraft zu dem
verhängnisvallen Ende geben — ist hier die Überreizung gleich
in den einleltenden Worten merkbar, der Konflikt ist nach der
Mitte verlegt, und der Schluß ist eine befreiende, beinahe über¬
mütige Lösung. Zwei sehr schöne Abwandlungen des gleichen
Themas.
Elisabeth Bergner, schon leidenschaftlich begrüßt, erntete so
großen Beifal., daß Arthur Schnitzler fast lörglich dabei fortkam.
Allerdings ist die erste Novelle die stärkere — und da jeder
Künstler seine eigenen Werke gemeinhin nicht gut liest, so lag
das ganze Schwergewicht auf dem ersten Teil. Die Veranstaltung
besorgte der Verband Deutscher Erzähler.
K. H. K.
Kur# e
Schnißler
gelesen von ihm selbst und von Elisabeth Bergner.
Der Verband deutscher Erzähler hatte durch die An¬
kündigung seines Arthur=Schnitzler=Abends den Plenarsaal des
Reichstages nebst sämtlichen Tribünen so zu überfüllen vermocht,
wie man solches nur an den großen Tagen sieht, wenn es sich um Leben
oder Sterben einer Regierung handelt.
Hoch auf dem Gipfel der Estrade in dem gewaltigen Stuhl, wo
sonst der Präfsdent mit der Glocke thront, saß zart und zierlich
Elisabeth Bergner, in weißer Seide, wie eine verwunschene.
Prinzessin, vor dem völlig verdunkelten Saale, während der Schirm
der einzigen Leelampe übe: ihrem Knabenkopf als eine Gloriole
glänzte.
Sie las Schnitzlers virtuoses Meisterstück „Fräulein Else“
(klug gekürzt). jene in der Form eines großen Monologs abrollende
Novelle von dem feinerzogenen jungen Mädchen, das, um die
Finanzen des Vaters zu reiten, sich einem reichen Lebemann nackt
zeigen soll und darüber in hysterischer Verzweiflung stirbt .. las
diese raffinierte seelenzerlegende Prosa ganz zart, mit hoher, ein
wenig singender Stimme, und so sterbenstraurig sie mitfühlend, daß
es während der traurigen Geschichte so mäuschenstill im hohen
Hause ward, wie niemals sonst während der traurigsten Etatrede,
und daß nicht nur die weiblichen Zuhörer, sondern, als es wieder
hell wurde, auch der sonst hier herrschende Präsident Löbe, nebst
vielen anderen Personen der Politik und Verwaltung, Tränen in den
Augen hatten. Kein Reichskanzler hatte jemals mit einer dröhnen¬
den Programmrde solchen triumphalen Erfolg, wie dies kleine
Mädchen im Seidenkleid mit ihrer Seidenstimme.
Alsdann trat Schnitzler selbst, sein berühmter Vollbart ist schon
ergraut, bei strahlendem Licht an jenes andere Pult, von dem aus
sonst die Abgeordneten sprechen, und las (klug gekürzt) in forsch¬
ironischem Wienerisch, die Geschichte vom „Leutnant Gustl“,
sein dreißig Ja##e altes Frühwerk, das bereits genau dieselbe mono¬
logische Technik aufweist wie das Spätwerk „Fräulein Else“, aber,
während diese viel klügere und edlere Heldin daran glauben muß,
mit dem fröhlichen Nicht=Selbstmord des dußligen Leutnants endet.
Auch Schnitzler wurde stark applaudiert. Selbst die Bänke des Reichs¬
tags riefen: „Hört, hört!“, weil sie da eine ganz andere Kunde von
der Seele des Volks verna###en, als sie sonst zu hören gezwungen
K. P.
nd.
Der Tag
Berlin SW. 68
Ausschnitt aus der Nummer vom:
ER
„Arthur=Schnitzler=Abend.
Im Plenarsaal des Reichstages.
Durch den weiken dunklen Raum sticht das
Grünihereinzelnen Lampe. Daneben, im weißen
Kleide, #e sitzende Figur eines jungen Weibes.
Ein zalses, helles Stimmchen dringt durch den
Saal, wunderbar fein und deutlich, so daß man
selbst Geflüstertes versteht. Elisabeth Berg¬
nersitzt am Vorlesetisch und liest Arthur Schnitz¬
ers Novelle „Fräulein Else“. Jald sind
die Zuhörer ganz im Bann und werden eine
Stunde lang nicht losgelassen. Mit unerhörter
Kunst wird aufs behutsamste in das zerrissene
Seelenleben eines jungen Mädchens hinein¬
geleuchtet, eines Mädchens das schwankt zwischen
der Bewahrung ihrer jungfräulichen Ehre und
der Pflicht zur Rettäng ihres von schwerster¬
Strafe bedrohter Vaters. Sie kann ihn retten.
Die dreißig, oder auch fünfzigtausend Gulden,
die der Vater aus

um die es sich handelt
Leichtsinn unterschlagen hat und die ersetzt wer¬
den sollen —, will einer aufbringen, der dafür
nur ein kleines Opfer verlangt. Aber was in
seinen Augen klein ist, ist in Fräulein Elses
Augen riesengroß: nackt soll sie sich vor 'hn hin¬
tellen und sich mit Gierblicken betrachten lassen!
Sie wird darüber irre. Wund rbar wußte die
Bergner durch Stimmodulierungen, durch Ver¬
haltenheiten, Wierheiten, Pansen ausfühlen zu
lassen, wie das arme Kind allmählich die Herr¬
chaft über sich verliert. Wie sie sich an falscher
Stelle und zwecklos prostituiert, nackt vor vielen
Menschen, und schließlich in Veronal Betäubung
— ohne natürlich den
ucht und Tod findet
Vater gerettet zu haben!
Diese schneidende Ironie im Spielen mit dem
Tode durchzieht auch die zweite Novelle „Leut¬
nant Gustl“ die Schnitzler selbst zur Vor¬
lesung brachte. Diesmal war der Saal hell er¬
An
leuchtet. Man sah plötzlich wo man war.
der bekannten Stätte historischer Redeschlachten.
Nur daß diesmal, auf Einladung des Verban¬
des Deutscher Erzähler, alles friedlich
und gedämpft vor sich ging. Nur in den Seelen
der Menschen spielten sich schwere Kämpfe auf
Tod und Leben ab. Indes ganz ohne Pathos,
vielmehr mit jener melancholischen und doch leise
lers Eigenart ist. Ein Leutnant schießt sich tot,
weil er von einem mehr ungeschickten cas bös¬
willigen Rüpel an seiner Offiziersehre gekränk.
worden ist und weil es die Berufskorrektheit ver¬
langt, daß er dieses nicht überlebt. Man spürt
aus der ganzen Art dieser Erzählung die müde
und fatalistische Zeit vor dem großen Weltkriegs:
als in den Gehirnen der Intellektuellen der Wert
eincs Offiziersdaseins als et## höchst Proble¬
matisches erschien, gerade gut genug, sich für
einen Popanz von Ehrbegriff zu verbluten. Auch
hier die feinste, subtilste Analyse von Empfindun¬
gen, wenn auch sich vollziehend am denkbar un¬
ruchtbarsten Objekt. Der Dichter las schlicht und
prägnant und, ohne viel Kunst, immerhin ein¬
prägsam. Lauter Beifall, wenn auch naturgemäß
ner, legte Zeugnis ab, welch warme Sympathien
der Wiener Dichter auch im kühlen Berlin, bei
einer den weiten Saal nebst Tribünen füllenden
F. S. 4
Verehrerschar, genießt.