I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 147

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31. Fraeulein Else
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Albert Steinrück als Herr von Dorsday in dem Film
„Fräulein Else“
Zeichnung von B. F. Dolbin
Aber der Eindruck erneuerte sich, wenn auch in anderer Art,
da man Steinrück, den noch eben Bestatteten, in dem Film
„Fräulein Else“ wiedersah, und eine eigene Mystik schien die
estakt zu umschweben. Man kannte Steinrück aus harten
Männerverkörperungen, man daihte noch eben seines Alba,
und nun stand er hier, in der unnichähmlichen Ausdruckskraft
eines Spiels, als der gealterte Lüstling. Als schmatzten seine
Lippen bei dem Gedanken in diesen entblößten, unberührten
Mädchenleib, als führte er das Sektglas an den Mund, irgend¬
vie einen Vorgeschmack zu erproben.
Und der Gedanke war da und war unabweisbar geworden.
Er prostet dem Tod Wie anders kann ihm, dem Genießer,
der Tod erscheinen, als in Gestalt der jede Wollust Auf¬
reizenden? Noch weicht sie ihm aus, noch scheint ihn ihr
Anblick zu erschrecken, aber sehr bald schon suchen ihn ihre
Augen, schon schleicht sie ihm nach — sie steht vor ihm,
wirft den Mantel ab, bricht selber tot zusammen — sein Tod,
mit dem er sich wollüstig vermählt.
Es sind mystische Schauer um das Bild des Toten, den man
ins Leben zurückzwingt. Es zuckt um seine Lippen, als wolle
er Verbotenes verraten..
Novalis glaubte zu wissen, daß höchste Wollust um das
Sterben sei.
E. H.
Graphologie im Film
Arthur Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ ist bekanntlich
Ein einztger Mohskog der Heldin — ein einziges Sprechen
Denken, Empfiden, Hin= und Hergeworfenwerden, zu dem
die Partner nur die Stichworte geben, die mit Recht im
Buch durch anderen Druck hervorgehoben werden (wie die
szenische Anweisung vor dem Dialog bei einem Drama)
und an einer Stelle dient ihr die Musik, durch abstrakte Noten¬
schrift wiedergegeben, als Stichwort. Der Einklang mit der
naturalistischen Zeit, in der sich die Geschehnisse dieser No¬
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Ma4 1999
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velle abspielen, wird täuschend geschaffen, jede Nuance des
Wortwerdens eines Gedankens ist festgehalten, in sechs Stun¬
den durchrast Fräulein Else alle Gefühle, ihre Hemmungen
zu überwinden: die Konyention der Gesellschaft, die Unfrei¬
heit der Tat, den Ekel vor dem Erpresser.
Der Film verwendet Schnitzlers Motive in geschmackvoller
Weise. Ein guter Film (Manuskript und Regie: Paul
Lzinner), der sogar, wo er ändert, einmal dichterisch ist:
Fräulein Else hat bereits das Verenal genommen, um ster¬
bend die Bedingung zu erfüllen, die den geliehten Vater von
der Verhaftung befreien soll, da fällt ihr ein, daß ihre Bade¬
wanne überläuft, sie will umkehren und erinnert sich daran,
daß sie sich diesen Aufschub nicht mehr leisten kann, wenn sie
ich Herrn von Dorsday hüllenlos zeigen will. (Man möchte
innehmen, daß diese Wendung von der Darstellerin der
Hauptrolle seiber stammt, in der Elisabeth Bergner eine
ihrer stärlsten Leistungen bietet. Neben solchen Höhepunkten
wirkt die billige Landschaftsymbolik, Abgrund und Wolken,
besonders blaß.)
Schnitzlers Novelle spielt in der Seele der Heldin, noch die
reale Voraussetzung ihrer fraulichen Konstitution, ihr Un¬
wohlsein, dient dazu, den psychischen Zustand Fräulein Elses
zu durchleuchten. Das Geschehen des Films spielt in den
renken Räumen von Wien und St. Moritz — und das Da¬
gewesene, Kolportagehafte der Prämisse drängt sich vor, um
o mehr als das seelchenhafte Etwas der Bergnerschen Erotik
etwas Voyeur=Wünsche Entwaffnendes hat.
Mehr als im Schauspiel, wo dem Dichter das Wort zur Ver¬
fügung steht, ist im Film der Darsteller selbst als drama¬
tische Kraft eingesetzt. Die Art der Bergner läßt es unwahr¬
cheinlich erscheinen, daß man ihr die Bedingung stellt, ihre
Reize zu offenbaren, aber sie macht es glaubhaft, daß sie
diese Bedingung nicht erfüllen kann, ohne zu zerbrechen.
Lbense kann Steirücks Gianzleistung wohl die Neigung
Dorsdays erklären, nicht aber, daß er vor diesem Fräulein
Else seine Wünsche äußert.) Auf der anderen Seite fügt sich
De
Elisabeth Bergner als „Fräulein Eise“.
Zeichnung von B. F. Dolbin