I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 148

Bureau International de coupures de journaux
Traductions de et en teutes langues
box 5/3
31. Fraeulein Els
LLAHHEA

Correspondants dans toutes les grandes villes
Extrait du Journg
le Iiteratur
37 UPTGAR?
Adresse:
m4 1929
Date
das spielerische Wesen der Bergner glücklich als Komponente
Seittheater
Aus einem Briefe Gussav Landauers an Louise Dumont¬
den Bassermann sympathisch und delikat gestaltet).
Lindemann vom 8. Januar 1919)
Die Dimensionen der Erzählung sind weiter als die des
Films: bei Schnitzler ist Fräulein Else auch ein Luder. Sie
Nein, ich bin nicht zu schade fürs Theater; ich kenne keine
erregt Voyeur=Phantasien. Kokettiert mit Erhibitionismus.
olchen Trennungen; die Bühne hat in den Zeiten, die
Weiß wohl abzuwägen, ob der Vater das Opfer wert ist, das
kommen, eine wundervolle Aufgabe; sollen Sie beide mit
sie bringen soll. Und kostet eine gewisse Schadenfreude aus,
ihrem Haus die Vortruppe dessen gewesen sein, was nun ge¬
daß sie den Käufer im Preise betrügt, als sie auf den Ausweg
schaffen werden muß, und nicht mitwirken?. .. Wir fliehen
verfällt, vor den versammelten Gästen des Hotels im Konzert¬
nicht von den Menschen zur Menschheit in die reine Kunst;
raum den Mantel von ihren Schultern gleiten zu lassen.
wir wollen mit Menschen das Kunstwerk des guten Lebens
Von all dem bringt die Fläche der Filmleinwand nichts.
aufbauen; und die Brücke zwischen dem Bild der Menschheit,
Oder am Ende doch? Die Schrift ist deine Verräterin, Fräu¬
wie es die Kunst aufbaut, und den wimmelnden Menschen¬
lein Else! (Eine „aristokratische Schrift“ nennt sie ein Ver¬
haufen, die Gestalt werden sollen, ist die Tühne, die zugleich
ehrer Fräulein Elses bei Schnitzler.)
Kunst und zugleich unmittelbaren Verkehr mit Menschen
Da ist etwas in den Winkeln der langgezogenen Schrift, was
bietet. Sie kommen mehr von der Kunst her; ich komme mehr
zu dem kindhaften Mädchen nicht ganz zu passen scheint, was
von der „Politik“ und dem Sozialismus her; wir sind präde¬
nach einer Disposition zu kleinen Bosheiten aussieht. Wir
stiniert, in diesem Schicksalsmoment zusammen zu arbeiten;
sehen, wie Elisabeth Bergner einen Brief an die Eltern
bleiben wir auf dem Posten und nehmen wir die Dumm¬
schreibt. (Werden Illusionen zerstört?) Wir sehen ein anderes
heit und Sündhaftigkeit dieser Übergangsmenschen sächelnd
Mal, wie die Mutter der Tochter schreibt: wie sie jeden Buch¬
als unvermeidlich; wir arbeiten ja für die kommende Gene¬
staben korrekt rundet, da spricht die Schrift beredt wie die
ration ... Lassen Sie mich — auch solange ich noch fern
Physiognomie der bürgerlich=beschränkten Frau.
bin — mithelfen und bereiten wir wenigstens vor! Für mich
Aus der Tatsache, daß wir zu Zuschauern gemacht werden.
ist das alles ein Ding: Revolution — Freiheit — Sozialis¬
wenn die Schriftzeichen entstehen, erhellt, daß die Physio
gnomie der Schrift bewußt als Kunstgriff gebraucht wird. Er
lichen Leben — Erneuerung und Wiedergeburt — Kunst und
wird hier vielleicht sogar zu häufig angewandt. Aber welche
Bühne.
Möglichkeiten der Filmdramaturgie tun sich auf! Außere
Aktion, die zur Erläuterung eines Charakters not täte, aber
Die Bildung des Journalisten
die Handlung aufschwemmen würde, kann vermieden wer¬
(Aus einem Briefe Fritz Mauthners an Augusie Hauschner
den, indem man die Graphologie zu Hilfe nimmt.
vom 28. Juli 1893)
Neue Erkenntnisse der Charakterdeutung werden einer me¬
dernen Kunst dienstbar.
L. W.
„Mit Deinem Bücherhunger bringst Du mich in Verlegen¬
heit und auf das Thema unseres letzten Gespräches scheinst
Du ein wissenschaftliches Werk zu verlangen. Und das möchte
Kulturgeschichte in Brieken
ich Dir nicht in die Hand zwingen, da ich Dich nicht gegen
Wenige Wochen trennen die Veröffentlichung zweier Brief¬
Deinen Willen zu ernsthafter Arbeit verlocken möchte. Meine
bände: der Briefe von Gustav Landauer (Rütten & Loe¬
ning, Frankfurt) und der Briefe an Auguste Hauschner (Ernst
auf der Höhe der Bildung seiner Zeit stehen müsse, sowie je¬
mand, der anderen auf den Kopf spucken will, eben auch ben
von Menschen, der zu einer bewegten Zeit in die Weit wirkte,
tehen muß. Ich stehe mit dieser Ansicht wohl allein unter
beide bezeichnen den Schlußstein einer Epoche, die inzwi¬
unseren gemeinsamen schreibenden Bekannten. In der Ju¬
chen versunken ist: Gustav Landauer, Auguste Hauschner,
gend nur glaubt man, man könnte die Bildung seiner Zeit
Fritz Mauthner, Maximil'an Harden deckt der Rasen. Mit
vom Lehrer kaufen, fertig wie ein Pfund Kirschen. In Wirk¬
ihnen ist die Zeit dahingegangen, der ihre Opposition galt.
lichkeit gibt es aber keine ewigen Wahrheiten. Man kann also
Und wir haben, vergleichen wir unsere Zeit mit dem in diesen
nichts lernen, sondern nur durch eigene Arbeit erfahren, auf
Briefen festgehaltenen Zeitalter (1882—1923) durchaus nicht
welchem Wege wir zu dem Glauben unserer Zeit gekommen
das Gefühl, wie wir es herrlich weit gebracht!
sind. Das heißt die ganze Geschichte aller Wissenschaften stu¬
Die Briefe an Auguste Hauschner sind das Denkmal einer
dieren. Statt dessen genügt es schon, etwa mit der „Kritik der
großen Gebenden, einer Menschenfischerin, die immer opfer¬
reinen Vernunft“ anzufangen, sich mit ihr 1—2 Jahre
bereit ist ohne eigenes Geltungsbedürfnis. Der Mensch lebt
herumzuschlagen und dann reif zu sein für die Erkenntnis¬
in diesen Außerungen, nachdem die Romanschriftstellerin,
theorie und für die Erkenntnisse der Gegenwart. Das ist
die ihrer Zeit Genüge tun wollte, längst vergessen ist. In den
meine unmaßgebliche Meinung und die „Kritik der reinen
Briefen Gustav Landauers bekennt sich edles Rebellentum
Vernunft“ nimm gefälligst selbst in die Hand, wenn Du Lust
eines lauteren Herzens, diese Dokumente, in denen sich der
ast. Dann kannst Du sie wieder ruhig fortlegen, sooald Du
äußere Lebensgang eines tätigen und erkennenden Men¬
L. W.
willst.“
chen vor uns abrollt, zeigen, wie die Tragödie des Wider¬
pruchs sich vollendet: in Gustav Landauer ist Ahnen um die
Unerfüllbarkeit seiner Ideen und aus einem herrlichen Ge¬
Plochoanalpie des jüdilchen Witzes
ühl, dennoch zum Helfen verpflichtet zu sein, stürzt er sich
In „Imago“ (XV, 1) schreibt Theodor Reik „Zur Psycho¬
in die Zeitwirren, ein siets um Klarheit der letzten Dinge
analyse des jüdischen Witzes“ beklagt sich zum Schluß, daß
Bemühter kommt in der Hetze der Tagespolitik um, auf
er der Aufgabe nicht bis in ihre Tiefen gerecht geworden sei,
einem Gebiete, in dem er sich noch nicht zu letzter Klarheit
und erweist doch in Art der Fragestellung ans der seelischen
durchgerungen hat.
K438 „